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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 10.1875

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Abrest, Paul d': Der Salon, [6]
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Der Salon.

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zu finden sind, begeistert eben jeden erfindungsreichen
Rapin. Fügen wir jedoch hinzu, daß hier Ammon
bereits verschwunden ist, und das Opfer seinem Bruder
Absalon im Beisein zweier Nubierinnen ihr Leid klagt.

Auch fehlt es nicht an Christusbildern, aber keines
kommt jenem Christus von Bourneuf gleich, der vor
cinem Jahre so viel Aufsehen erregte und nun den
neuen Assisensaal schmückt.

Die Porträts bilden seit einer Reihe von Jahren
eine der besuchtesten und am besten gepflegten Abthei-
lungen dcs Salon. Es greift hier eine merkwürdige
Erscheinung Platz, die einige Beachtung verdient. Seit-
dem ncue Erfindungen die Photographie allmählich auf
die heutige hohe Stufe brachten, hatte sich der Porträt-
maler ein leichtbegreiflicher Pessimismus bemächtigt.
Sie dachten, daß ihre Rolle ausgespielt wäre, und daß
alle Welt sie im Stiche lassen würde, um den Mit-
arbeitern der Sonne nachzulaufen. Anfänglich schien
es auch wirklich so, und ein Decennium lang galt es
für einen Anachronismus, seine werthe Gestalt durch
Farbe und Pinsel reproduziren zu lassen. Ein gemaltes
Porträt schien vielen ebenso Roccoco, als wenn man zu
einer Reise die Eisenbahn bei Seite gelassen hätte, um
mit dcm Stellwagen der guten alten Zeit nach dem
Orte der Bestimmung hinzurumpeln. Zum Glück für
die Porträtmaler trat bald eine Reaktion ein. Man
erinnerte sich bald wieder, daß neben der Photographie
im Bildfache etwas Anderes geschaffen werde, daß neben
der mathematischen Präcision der Apparate für die ideale
Auffassung und Wiedergabe einer menschlichen Gestalt,
eines Charakters Raum sei. So wurde denn nach einer
kurzen Pause ein neuer Porträtkultus geschaffen, dessen
erster Levite eine Priesterin war, Fräulein Jacque-
mart, deren Beispiel und Erfolge manche Männer an-
spornten. Nach und nach wurde die Porträtmalerei
wieder Modesache. Jn den Kreisen der Besitzenden be-
trachtete man die Photographie als das alltägliche Brod,
welches Iedermann zugänglich, während das Oelporträt
den Leckerbissen darstellte, der nur auf vornehme Ta-
feln passe, dafür aber auch auf denselben obligatorisch
ist. Ein gutes Stück persönlicher Eitelkeit kam der
Mode zu Hilfe, die gemalte Schauspielerin, der repro-
duzirte Künstler, Schriftsteller oder Spießbürger wollte
die werthen Züge nicht dcn etlichen 100,000 Besuchern
des „Salon" entgchen lassen. Folglich war es oft bei
der Uebernahme eines Porträtauftrags entweder selbst-
verständlich oder kontraktlich ausbedungen, daß das Bild
ftir den Salon reif hergestellt werden müsse. Ein neuer
mächtiger Sporu, der es nach und nach bewirkte, daß
dieses Fach eine Kunst ward, während es lange ein
Meticr gewesen.

Heuer zogen nicht die Abbildungen politischer No-
tabilitäten am meisten die Aufmerksamkeit an: die Bild-

nisse zweier Schauspielerinnen waren es, die sich des
größten Erfolges erfreuten. Die eine ist Mme. Pasca,
eine begabte Künstlerin des Gymnase-Theaters, die sich
aber droben im Norden so wohl fühlt, daß sie heute in
Petersburg stabil ist und in Paris nur Gastrollen giebt.
Mme. Pasca mag vielleicht keine Schönheit im faden
und vulgären Sinne des Wortes sein; aber ihre Er-
scheinung imponirt, ihre Züge sind regelmäßig, die Hal-
tung, was die Franzosen „1s xort" nennen, ist edel, und
die ganze Gestalt athmet Geschmack, Eleganz und künst-
lerisches Gefühl. Der Künstler, L. Bonnat, kleidetc
Mme. Pasca in ein helles seidenes Kleid und entblößte
ihre üppige marmorne Schulter.

Das Nämliche hütete sich wohl der Porträtist der
Frl. Sarah Bernhardt von der „Ooinsäis truntzniss"
zu thun. Diese ausgezeichnete Künstlerin ist durch ihre
Magerkeit in Paris populär geworden, während ihr
Talent sie berühmt machte. Sie ist eine jener Gestalten,
deren Fuß kaum den irdischen Boden zu berühren scheint,
und für die man befürchten müßte, daß sie der leiseste
Windhauch knicken könnte, wie einen Strohhalm. Die
schmächtigen Glieder sind in ein eng anliegendes Seiden-
kleid gehüllt. Eine Garnitur weißer Alenyons bricht
angenehmer Weise den finsteren Ton, uud auf dem Busen
ruht eine prachtvolle Rose. Aber was für ein zierliches,
niedliches, zärtliches Köpfchen aus dieser Maria-Stuart-
Krause hervorblickt! Solche Köpfchen glaubt man nur
aus Medaillons zu finden. Alles harmonisirt da so
pünktlich, um den Gesammteindruck der Liebe und Grazie
herzustellen: das rosige Mündlein, durch welches kamn
eine Kirsche schlüpfen könnle, die leuchtenden Aeuglein
mit ihrem poetisch melancholischen, zu Boden nieder-
geschlagenen Blick, die Stirne, welche nie für Falten
bestimmt zu sein scheint, auf der sich die krausen Locken
schnippisch herabschlängeln. Alles in dieser Figur athmet
den höchsten Ausdruck sentimentaler Weiblichkeit, und
Alles ist trefflich wiedergegeben. Man findet sie ganz
wieder, die graziöse Gestalt, wie man sie als Königin
Maria von Spanien über die Bretter des Odeons oder
als Fräulein von Belle Jsle über jene des Illsätrs
Iranqnis schweben sah. Jhr fatalistisch dreinblickender
Partner, Herr Mounet-Sully, der düstere Orestes, dessen
zwei Augen nie müde werden, Feuer zu speien, ist
seiner Kollegin vom Misütrs trun^nis gegenüber abge-
bildet. Der Kopf hat etwas Gespensterhaftes, und die
berühmten Augäpfel, welche den Lorgnetten der Habi-
tuss der Balkonsperrsitze so viel Beschäftigung verur-
sachen, bewegen sich in ihren Höhlen, als wären sie
in einen Todtenkopf eingefaßt. Das moderne braune
Gewand, in das die Büste des Schauspielers gekleidet
ist, bringt erst recht den überirdischen Anflug der Ge-
stalt zur Geltung.

Auch die Herren von der Feder geizten diesmal
 
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