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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 10.1875

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Holländische Kunstzustände, [2]
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Abrest, Paul d': Der Salon, [8]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4970#0400

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789

Der Salon.

790

unser absoluter Mangel an PortrLtmalern, und das in
einem Lande, welches auf diesem Kunstgebiete sich un-
vergleichlichen Ruhm erworben halte. Wer sollte es
jetzt wagen können, unsere derzeitigen Gemeinderäthe,
Schützengildenvorstände so zu malen, wie es ein Rem-
brandt, van der Helst, van Ravestein, Hals und so viele
andere gethan haben, die Schöpfer der Regenten- und
Doelenstücke? Freilich, unsere Zeitgenossen bestellen sich
auch eher für sechs Gulden ein Dutzend Photographien,
und das um so lieber, da die Clichss für Nachbestellungen
aufbewahrt werden, als daß sie sich von Meisterhand
malen ließen." — Thorbeke's berühmter Ausspruch hat
traurige Folgen gehabt, das blickt überall hervor. Nicht
genug, daß die Kunst in Verfall gerieth oder blieb, mehr
noch, jedes aufrichtige Bestreben, die Kunst zu heben,
wird bekämpft, in häßlicher Weise verdächtigt, dahinter
entweder lächerliche Alterthümelei gesucht oder bigotte
Tendenzen, und — das Publiküm stimmt am liebsten
demjenigen bei, der die Kunstbestrebungen verhöhnt und
ihre Hauptträger angreift und beschimpft.

Der Salon.

VIII.

(Schluß.)

Eine Wanderung durcki die Bildhauerabthei-
tung läßt uns einen Fehler wahrnehmen, den man kon-
statiren darf, ohne daß den französischen Künstlern Un-
recht geschähe, um so mehr, da gediegene französische
Kritiker denselben ebenfalls wahrgenommen und gerügt
haben. Es ist der Mangel an Erfindung, die Dürftig-
keit der Originalität, welche es viele selbst von den
Besten nicht verschmähen läßt, mit ein und demselben
Gegenstande mehrere Jahre hindurch vor das Publikum
zu treten. So erblicken wir dasjenige, was wir anno
1873 in Ghps gesehen und 1874 in Marmor goutirt
haben, heute in Bronze gcgossen. Diescs gcistige Ar-
muthszeugniß, welches sich unscre Bildhauer selbst aus-
stellen, läßk darauf schließen, daß diese Künstler ihren
Beruf mehr als ein höheres Handwerk auffassen, wo
Fertigkeit vor allen Dingen am Platze ist, und wo die
geistige Thätigkeit sich auf ein Minimum beschränken
darf. So kommt es auch, daß „Kompositionen" in des
Wortes höherer Bedeutung nicht vorhanden sind; die
„dloriü viotis" von Mercis, durch welche wirklich
ein poetisch-patriotischer Hauch weht, ist selbst blos die
Kopie einer Marmorgruppe, die wir voriges Jahr ge-
sehen haben. Wahrscheinlich schloß der Bildhauer aus
dem warmen Empfang, dessen sich sein Werk damals
erfreute, daß er auch heuer dasselbe den bewundernden
Blicken der Ausstellungsbesucher nicht entziehen dürfe.
Das Metall verleiht unbedingt dem Werke einen ener-
gischeren Effekt. Eine Göttin, welche die Einen für eine

Viktoria halten, während es eher die Personifikation
des Vaterlandes ist, zeigt einem zu ihren Füßen dahin-
gestreckten Helden einen Lorbeerkranz. Die Figur der
Göttin ist vielleicht, weil der Künstler hier noch Kor-
rekturen vornehmen konnte, in Bronze weit sprechender
als in Marmor. Dagegen war die Gestalt des todten
Jünglings in der ersten Gruppe viel effektvoller — was sich
bei dem Unterschiede des Materials leicht begreift. Wenn
ich nicht irre, ist die Gvuppe bestimmt, später auf einem
öffentlichen Platze in Paris zu figuriren; sie wird dem-
selben zur Zierde gereichen, wenn auch die Berührung
des patriotischen Nervs ihren Antheil an dcm Erfolge
dieser Gruppe beanspruchen darf, so ist dieser Moment
doch nicht der ausschließliche Grund des wohlverdienten
Triumphes des Künstlers. Seine Statue ist von jedem
übertriebenen Chauvinisiuus frei.

Dasselbe kann nicht von einer anderen kleinen Gyps-
gruppe bemerkt werden, vie einem Herrn Detrez ihre
Entstehung verdankt und deren Lob man gewiß nur aus
Deutschenhaß singt. Diese Gruppe stellt einen Bauern
vor, der mit den Armen nnd Beinen an einem Baume
festgebunden ist. Die Legende im Katalog ist so gütig,
uns zu erklären, daß es sich hier ja nicht etwa um eine
bloße Studie handelt, sondern um die Darstellung einer
barbarischen Kriegs- und Gränelscene. Der an dem
Baum festgehundene Landmann ist von einem preußischen
General zum Tod durch Erstarrung verurtheilt, weil
er seine Mitbürger nicht angeben wollte. Jn den Tagen,
wo der Zeugnißzwang so üppige Blüthen treibt, mag
wohl die sinnreiche Gruppe auch auf ein deutsches Ge-
müth den Reiz der Aktualität ausüben. Jn der That
war es mit dem Anbinden an die Bäume — eine aller-
dings ungemüthliche Strafabart — nicht so arg gemeint;
die renitenten Bauern wurden wohl ein oder zwei
Stunden lang in solche nahe und unliebsame Berührung
mit einem Eichenstamme oder einer Linde gebracht, doch
dauerte die Strafe nicht bis zum Erstarren. Aber
Herr Detrez wollte pathetisch sein und zeigt das cham-
penesische BLuerlejn im verzweifelten Ringen mit den
Todeskrämpfen. Es windet und reckt sich wie ein rö^
mischer Gladiator im Cirküs. Man sucht übrigens ver-
gebens iu der Physiognomie des angeblich Gemarterten
nach einem Typus der französischen Bauern, sei es aus
Ost-, Nord- oder Westfrankreich. Es muß irgend ein
zufälliges Modell bei der Anfertigung seiner Gruppe vor
Herrn Detrez gesessen haben, so daß die lokale Farbe kaum
mehr geachtet wird als die historische Wahrheit.

Eine andere Erinnerung an die unheilvolle Kriegs-
periode finden wir in der allegorischen Figur von Chapu:
„Die Jugend", einer Marmorstatuc. Die anmuthige
und mit besonderer Feinheit ausgeführte Figur ist für
das Grabmal Regnault's bestimmt, dcs unglücklichen, so
viel versprechenden Jünglings, der bei der Metzelei von
 
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