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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Vom Christmarkt
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Berggruen, Oscar: Die Selleny-Ausstellung im Wiener Künstlerhause, [1]
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135

Die Selleny-Ausstellung im Wiener Künstlerhause.

136

Tragödie der Liebe wegen der Einsachheit der Charaktere
und des in Ursache nnd Folge vollendeten Realismns
der Handlung.

Nicht dasselbe kann man von Goethe's Faust
behaupten, zu dessen Bewältigung die zeichnende Kunst
so oft schon seit Cornelius' Frnhzeit ihre volle Kraft
eingesetzt hat. Die beiden gewaltigen Träger der Hand-
lung sind nicht Fleisch von nnserm Fleisch, nicht Bein
von unserm Bein, und der gedankenhafte, weltnmfassende
Grundzug der Dichtnng läßt sich nicht ohne Rnckstand
in den strengen Umriß sichtbarer Formen zwängen.
Diese Ansicht drängte sich nns von Neuem auf, als wir

und der modernen Klassieität der Form und des Ge-
dankeninhalts, uber welchen der Dichter sich mühelos
hinwegsetzt, wird für den Maler eine Klippe, an der
das Schifslein seiner Phantasie, anch wenn sie uns präch-
tige Bilder voll malerischen Reizes, wie z. B. der Spa-
ziergang, vorzaubert, nur gar zn leicht strandet. Trotz
alles mittelalterlichen Apparats in Kostüm, Architektur
unv gothisirendem Ornanient stiehlt sich die Modernität
herein, sobald die Persönlichkeit, nicht die Scenerie vas
erste Wort reden. UnV immer spricht das Aeußerliche,
Thatsächliche viel zn stark vor, während es doch bei
dem Dichter nnr der seine Goldfaden ist, aus den er

Aus „Storm, Hausbuch", Verlag von W. Mauke.

Kreling's „Bilder und Zeichnnngen" zu dem größten
Meisterwerke moderner Poesie durchmusterten. Das
äußerlich in ganz ähnlicher Weise wie Piloty's „Romeo
und Jnlia" angelegte Prachtwerk, dessen Format nur
noch bedeutend nmfänglicher ist und gespaltenen Satz
des Textes bedingte, ist bis zur vierten Lieferung ge-
diehen. Die drei in diesem Jahre erschienenen Hefte
bringen folgende sechs größere photographirte Kompo-
sitionen: Margaretha in Martha's Garten, die Garten-
seene zwischen Faust und Gretchen, Margaretha vor
dem Mnttergottesbilde, die Hepenküche, die Walpurgis-
nacht, der Spaziergang. Der Zwiespalt zwischen der
realen Welt, die sich auf mittelalterlichem Boden bewegt,

die glänzenden Perlen erhabener Weltweisheit aufge-
reiht. Immerhin ist Kreling's Faustillustration na-
mentlich in ihren phantastischen Elcmenten, die sich in
freier Weise ohne den Anspruch der Raumwirklichkeit
an einzelne Zierbuchstaben oder an die Bildaphorismen
im Tepte anhängen, nicht .zu unterschätzen, und gern
wird man auf die schwanke Brücke treten, die von den
Gestalten und Formen des Künstlers zu den Gedanken
des Dichters hinüberführt. Die Behandlung der Holz-
schnitte, von denen die meisten auf bildmäßige Selb-
ständigkeit mit malerischer Wirknng angelegt sind, ist
dem großen Format entsprechend mehr auf Massen-,
als auf Detailwirkung berechnet. 8n.

Die Selleny-Fusstellung im Mener Künstler-
hause.

i.

Wenn gegenwärtig, in der Epoche des Realismus
aus allen Hauptgebieten der Kunst, hin und wieder in
modernen Kunstwerken eine bei aller realistischen Treue
dennoch idealen Zielen zugewendete Naturdarstellung uns
entgegentritt, so haben wir dies blos Künstlern zu ver-
danken, denen ein so tiefer Blick in die Natur, ein so
sicheres Erfassen und Darstellen des Wesentlichen und
Charakteristischen der Dinge beschieden ward, daß ihre
Leistungen unwillkürlich an jenes philosophische Prinzip
Plato's gemahnen, welches allen Objekten der Sinnen-
welt ein ideales Urbild zuschreibt. Ein Künstler dieser

seltenen Art war Josef Selleny, und die an sechs-
hundert Nummern umfassende Ausstellung seiner Werke
bietet, obschon sie kaum den dritten Theil dessen umsaßt,
was der frühverstorbene Meister in rastlosem Eiser ge-
schaffen, nicht bloße Abbilder, sondern in Wahrheit
Urbilder der Natur unter allen Himmelsstrichen. Der
große Globus, welcher neben dem Bildnisse des Meisters
aufgestellt wurde, ist nämlich kein eitles Prunkstück, son-
dern ein voll berechtigtes Symbol der über den ganzen
Erdball sich erstreckenden Thätigkeit des Künstlers, und
will man den Zusammenhang der geographisch abge-
grenzten Abtheilungen der Ausstellung sich vergegenwär-
tigen, so muß man in der That an den Globus treten.
So zahlreiche und so treffliche „Ansichten der Natur"
wie diesmal, sind kaum je beisammen zu sehen, und
 
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