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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Architekturbericht aus Bremen
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https://doi.org/10.11588/diglit.5789#0157

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301

Architekturbericht aus Bremen.

302

Ärchitekturbericht aus Gremen.

Bremen, im Februar 1876.

Keine deutsche Stadt von gleicher Größe wird viel-
leicht weniger von Touristen besucht als unser altes
Bremen, das überhaupt trotz seiner mehrfachen Eisen-
bahnverbindungen noch bis heute so ziemlich abseits des
großen Fremdenstromes liegt. Nur wer Geschäste doct
hatte oder über Bremerhaven nach Amerika ging oder
allenfalls den Seebädern von Norderneh und seinen
Nachbarinseln zustrebte, bekam Bremen zu sehen, und so
war es natürlich, daß seine Baudenkmale wie sein
ganzes neueres Kunst- und Kulturleben, bei Weitem
unbekännter Llieben, als sie es verdienten. Um so ge-
rechtfertigter ist es daher, wenn den Lesern dieser Zeit-
schrift von Zeit zu Zeit darüber berichtet wird.

Seit meinem letzten Berichte vor drei Jahren und
überhaupt seit Heinrich Müller's Prachtbörse und
Rambertikirche kann ich von monumentalen Bauwerken
nichts weiter melden; denn der kastellartige Bau der neuen
Wasserkunst, so wie der eben vollendete des mächtigen
Schulgebäudes haben mit der wahren Kunst äußerst
wenig zu thun, sondern stellen sich vor Allem als ziemlich
charakterlose Nutzbauten dar, und nur die große gebäude-
reiche Strafanstalt im nahen Oslebshausen, ein reich
gegliederter gothischer Backsteinbau, hat wenigstens ma-
lerischen Werth.

Ein mannigfaltiges Jnteresse gewährt dagegen in den
letzten Jahren die reich entwickelte Privatbaulhätigkeit,
welche nebst mancher anderen Erscheinung beweist, daß
sich im letzten Jahrzehnt in Bremen auf's Entschiedenste
die Wandlung vom kleinbürgerlichen Leben einer Mittel-
stadt zur modernen Großstadt vollzieht. Die Art und
Weise dieser Wandlung aber ist so gesund und wohl-
thuend, wie wohl in wenigen Stävten gleichen Ranges.
So ist Bremen z. B. vom widerwärtigen Gründer-
schwindel der letzten Jahre vollkommen unberührt ge-
glieben, und erstanden auch keine Monumentalbauten, so
erwuchsen dagegen eben so wenig die unerquicklichen
Riesenkasten der Wohnungskäsernen, welche leider heut-
zutage das untrügliche Kennzeichen unserer modernen
Großstädte geworden sind.

Bei uns in Bremen wird fast jedes Haus nur von
einer einzigen Familie bewohnt, und bedeckt auch mit-
unter ein gemeinsames Dach mehrere Wohnungen, so
hat doch jede ihren eigenen Eingang und ihr besonderes
Vorgärtchen. So gewähren diese nur mäßig großen
Häuser einen äußerst wohlthuenden Eindruck, der so sehr
mit dem ganzen übrigen gediegenen und soliden Wesen des
hiesigen Lebens im Einklange steht. Freilich herrscht
in den neuen Stadttheilen, im entschiedenen Gegensatze
zu Hannover, der Putzbau vor, aber die Zierlichkeit und
der Formenreichthum, in welchem er hier austritt, ist

höchst erfreulich. Wohl entsteht noch manche Verirrung,
manch' unverstandene Anordnung, manch' unharmonischer
Ausbau — im Großen und Ganzen jevoch herrscht eine
wohlthuenve Feinheit und Reinheit der Formen.

Vorzugsweise gehören diese der modernisirten Re-
naissance an, die mit ihren Balkonen, Veranden,
Gartenterrassen und osfenen Loggien oft einen südlich
heiteren Charakter entsaltet, deren Reiz durch die immer-
grünen Gebüsche und farbenleuchtenden Teppichbeete der
oben erwähnten Vorgärtchen vollends gehoben wird.
Die Hauptvertreter dieses Stils sind jedenfalls der
Börsenerbauer Heinrich Müller und Gustav Runge,
während Poppe sich der französischen Renaissance, dem
sogenannten Louvrestil, vorzugsweise zuwendet, und zwar
mit außerordentlichem Talent, Rippe endlich, der Er-
bauer des zierlich gothischen zweiten Bahnhofes, in erster
Linie Gothiker ist, indeß selten Gelegenheit sindet, seinen
Lieblingsstil bei Privatbauten zu entfalten. Weitaus
entwickelt die Stadt in ihrem östlichen Theile ihre be-
deutendste Bauthätigkeit und Ausbreitung, und eine Wan-
derung hier durch die baumbeschattete Humboldtstraße,
den sreundlichen Dobben entlang 'oder auf dem präch-
tigen Osterdeich mit seinem Blick aus den Weserstrom,
oder auch an den schon älteren Häuserreihen der schönen
Contrescarpe mit ihrer großartigen Umgebung gewährt
jetzt dem Architektursreunde eine Fülle genußreichster
z Unterhaltung und Anregung.

Ungleich weniger ersreulich und interessant war seit
längerer Zeit die Bauthätigkeit in der Altstadt, und
zwar nicht allein dadurch, daß sie durch ihre modernen
und noch dazu meistens höchst nüchternen Gebäude den
alterthümlichen Charakter der Stadt von Jahr zu Jahr
mehr zerstörte, sondern daß derselben auch noch so manches
interessante Baudenkmal der Vergangenheit zum Opser
fallen mußte. Am Marktplatze, an der Langenstraße
und der Schlachte, den Hauptorten des Handelsverkehrs,
reihte sich noch vor 20 oder 30 Iahren mit reichstem
Schmucke von Säulen und Pilastern, Figuren und Orna-
menten, Zinnen, Spitzen und goldenen Wettersahnen,
bald im zierlichsten Renaissance-, bald im üppigsten
Barockstil ein stolzer Giebel an den anderen, ein Bild
von so malerischer Wirkung, daß Einem das Herz
aufging. Weitaus die meisten davon mußten den tählen
charakterlosen Häusern der späteren Jahre Platz machen,
so daß jetzt nur noch hier und dort- ein solcher Pracht-
giebel zwischen den nüchternen Neubauten von alter
prachtliebender Hansazeit erzählt.

Aber — mit wahrer Herzenssreude schreibe ich's
nieder — mit dem letzten Jahrzehnt hat das traurige
Unwesen sein Ende erreicht; wie Schuppen ist es plötzlich
den Bewohnern von den Augen gefallen; aufgegangen
ist wieder der Blick für die ganze Schönheit und Be-
deutsamkeit dieser würdigen Reste der Vergangenheit.
 
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