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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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C. T. Newton über die olympischen Funde
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Berggruen, Oscar: Die Jahres-Ausstellung im Wiener Künstlerhause, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5789#0253

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493

Die Jahres-Ausstellung im Wiener Künstlerhause.

494

schicklichkeit und Ungeschick, welche ganz und gar von
dem feinen und reifen Stil der Nike abstechen. Da-
neben muß man zugeben, daß trotz dieser seltsamen
Mängel und trotz der durchgängigen Rohheit und Un-
geschlachtheit in der Ausfnhrung die Bewegung der Fi-
guren, so weit man nach den leidlich erhaltenen urtheilen
kann, originell und kräftig ersunden ist; es läßt sich
kaum bezweifeln, daß, wenn wir sür das Ganze eine
wohlgelungene Komposition annehmen (eine Annahme,
snr die wir bisher noch nicht genügende Anhaltspunkte
haben), die Gesammtwirkung bei einer Ansicht von unten
und bei geschmackvoller Hervorhebung durch Farbe sehr
mächtig gewesen sein wird. Ziehe ich alle die Erschei-
nungen, welche diese Skulpturen darbieten, in Erwägung,
so komme ich zu dem Schluß, daß Päonios zwar den
Entwurf dieser Giebelgruppen lieferte, daß aber die
Ausführung der einzelnen Figuren nach seinen Modellen
peloponnesischen Künstlern überlassen blieb, deren Schu-
lung nicht ausreichend gewesen war, um ihnen die Wieder-
gabe der Feinheiten attischer Kunst im Marmor zu er-
möglichen. Diese Ansicht bestätigt sich mir, wenn ich
mich von diesen neuentdeckten Torsen zu den Metopen
im Louvre wende, welche 1828 von den Franzosen aus
Olympia mitgebracht wurden. Jn ihnen sinde ich die
gleiche Kraft und OriginalitLt in der Erfindung der
Figuren, die gleiche stilistische Großartigkeit im Typus,
den gleichen Zwang und das gleiche Ungeschick in der
Bewegung; als ob die Künstler, welche diese Werke aus-
zuführen hatten, über die feineren Einzelheiten der Mo-
delliruug hinweggehuscht wären, außer Stande das
wiederzugeben, was die besser geschulten Bildhauer des
Parthenon mit leichter, aber sicherer Hand hingeworsen
haben würden. Weiter bemerken wir in den Metopen,
wie in den Giebelskülpturen, wie viel der Ergänzung
durch die Farbe überlassen blieb; bei beiden sind endlich
in der Behandlung gewisser Detarls des Körpers selt-
same Archaismen vorhanden, welche Phidias als Ueber-
bleibsel einer veralteten Schule entsernt haben würde.

Daß Skulpturen, welche zum Schmuck eines Tem-
pels dienen sollten, selbst in der Glanzzeit attischer Kunst
nicht nothwendig von hervorragenden Künstlern ausge-
sührt wurden, wissen wir aus der athenischen Jnschrist,
welche die Baurechnung des Erechtheion enthält. Der
Fries dieses Tempels ward Figur für Figur von einer
Anzahl von Bilohauern angefertigt, deren Namen ohne
diese Aufzeichnung uns ganz unbekannt sein würben,
und in denen wir nach der Geringfügigkeit der ihnen
gezahlten Summen bloße Arbeiter erkennen dürfery
welche in der Schule eines großen Meisters herangezogen
waren.

Der Fries des Tempels von Phigaleia ist ein
weiteres Beispiel solchen Zusammenarbeitens an einer
Skulptur. Die dramatische Kraft und seurige Energie

der Kämpfer in diesem marmornen Schlachtenbilde und
das Geschick der Komposition sind der großen attischen
Meister würdig, unter deren Leitung jener Tempel er-
baut ward; aber die Durchsührung bleibt weit hinter
der Erfindung zurück und beweist, daß die Ausführung
der Entwürfe untergeordneten Händen anvertraut ward.
Vermuthlich verwandte man hier einheimische arkadische
Künstler. Die Friese und Statuen des panthischen
Monuments aus Lykien (des sog. Nereidenmonuments)
bieten noch ein vorzügliches Beispiel provinzialer Kunst
nach schönen Entwürfen dar."

Endlich bemerkt Newton über eine andere Statue:
„Die weibliche Statue, welche man nach ihrer Aehnlich-
keit mit der Vesta Giustiniani Heftia genannt hat, ist
eher von hieratischem als echt archaischem Stil. Die
Arme, Füße und Hände fehlen. Die Gewandung ist
schwer und konventionell behandelt, und die Rückseite
der Statue ist unbearbeitet geblieben."

Die hochgespannten Erwartungen, welche in diesen
Giebelgruppen ebenbürtige Seitenstücke zu den Skulp-
turen des Parthenon zu erhalten und zu bewundern
hofften, werden durch Newton's Besprechung des Kunst-
charakters derselben einigermaßen enttäuscht sein. Ob
es sich mit dem Westgiebel, dem Kentaurenkampf von
Alkamenes, den wir unbedingt alsPhidias bedeutendsten
Schüler betrachten dürsen, wesentlich anders verhält,
wird der Versolg der Ausgrabungen lehren; bisher ist
kein Stück zum Vorschein gekommen, das sich mit einiger
Sicherheit jenem Giebel zuschreiben ließe. Wie dem
nun aber auch sei, für die Kunstgeschichte werden die
Tempelskülpturen jedenfalls von höchstem Jnteresse sich
erweisen, nnd es ist sicherlich nicht zu befürchten, daß
die Nike das einzige Stück bleiben werde, welches auch
den höchsten Ansorderungen genügt. N.

Die Iahres-Fusstellung im Wiener Künstler-
hause.

i.

Die vorausgegangene redaktionelle Notiz über die
gegenwärtige Jahres-Ausstellung im Wiener Künstler-
hause, deren kritischem Jnhalte wir uns vollständig an-
schließen, mag es rechtsertigen, wenn wir den Spezial-
bericht diesmal kürzer fassen, als sonst. Jn der That
finden wir unter den ausgestellten 42 t Nummern ver-
hältnißmäßig nur sehr wenige, welche zu einer Be-
sprechung Anregung bieten, ganz abgesehen davon, daß
einige der besten Bilber, wie Passrni's „Kürbißver-
käufer", Defregg er's „Zitherspieler" und Kaulbach's
„Zeichnungen zur Shakespeare-Galerie" keine Novitäten
sind und offenbar nur aus Mangel an anderen An-
ziehungskräften herhalten mußten. Die Ursache dieser
bedauerlichen Erscheinung liegt zunächst in der unbe-
 
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