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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 11.1876

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Abrest, Paul d': Der Salon von 1876, [4]
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Der Salon von 1876

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monie zwischen der ländlichen Dekoration und der leben-
den Figur hergestellt. Man würde darauf schwören,
daß die liebliche Kleine ein Kind des Sommers ist, nur
für den Sommer geschafsen, daß der Aufenthalt in der
freien Natur der einzige ist, der ihr behagt, und daß
sie in der düsteren engen Kammer dahinwelken würde,
wie ein Paradiesvogel, ven man in den Käsig gesetzt hat.

Noch anmuthiger präsentirt sich die ländliche Scene
von Paul Vayson, ein Kapitel modernisirter Georgica.
Eine junge hübsche Schäferin ist ani Fuße eines Baumes
eingeschlafen. Wie sanft ruht das liebliche Kind in
Morpheus' Armen! Schlummere sanft, während dich
Unschuldträume wiegen und deinen geschlossenen Lippen
das Lächeln der Seligen aufdrücken. Der treue, große
Hund hält gute Wache, er wacht über dich und über
die Schafheerde, die auf den Abhängen des Hügels
weidet.

Es ist gut, bei den beiden Bildern eine starke
Provision Zufriedenheit und treuseligen Sonnenlichtes
acquirirt zu haben, wenn man dort das „Verlassene
Schifs bei Gravesend" betrachten will. Es muß dem
Maler gewiß schwer um's Herz geworden sein, als er
die Sandebene entdeckte und sich entschloß, sie auf die
Leinwand zu fipiren. Sand, Koth und Nebel, die drei
Hauptelemente sind schauerlich treu wiedergegeben.

Wie sröhlich lacht dagegen das Gestade der an-
muthigen Schclde in dem panoramaartigen Bilde des
Hrn. Mols, eines Antwerper Malers, der eine fast voll-
ständige Ansicht seiner Vaterstadt ausstellte!

Uebrigens haben sich auch Franzosen an die leb-
lose vlämische Natur herangemacht — meistens mit
vielem Glück; ich will nur das Seeufer bei Berk des
Hrn. Artau und „Wind auf der Schelde" desHrn.Arthur
Bouvier anführen, die aber beide so sein, so elegant
gearbeitet sind, daß sie die derbe vlämische Natur zu
sehr rafsiniren.

Paris hat seine Enthusiasten unter den Malern.
Es giebt eine Schule, die unverholen erklärt, daß es
ein Frevel — und eine kostspielige Naivetät wäre, die
„Stofse" dem Herkommen gemäß am Tiber, in Andalusien,
auf Sicilien oder im Orient zu suchen. Die Seine mit
ihren Brücken, die reiche Abwechselung des Boulevard-
lebens, die alten und modernen architektonischen Wunder-
bauten, auf die Paris so stolz ist, sind würdig, das Ge-
hirn und die Hand von Künstlern und darüber zu
fesseln! Man kann dieser Schule nicht Unrecht geben
— und die Werke, die sie während des vorigen Salons
producirte, würden jeden zu einer milderen Beurtheilung
dieser Pariser Jtalien- und Orientfahrten aufmnntern.
Allerdings sind bis jetzt die Materien mehr anekdotisch
im Genrefach behandelt worden, als vom Standpunkte
der großen Kunst. Die heurigen Versuche der Wieder-
gabe Pariser Architektur sind ziemlich geglückt, nament-

lich jene Kompositionen, bei denen die Seine das
Hauptmotiv ist. Führen wir den Uont äo Tour-
nollo des Herrn Lecomte und den tTuui ä'Ivr^ des
Herrn Lepore an! Das letztere Bild ist eine recht leb-
hafte amüsante Photographie des in seinen bescheidenen
Verhältnissen „rührigen Hafenlebens" von Paris. Der
Pyramidenplatz des Hrn. Nittis zeichnet sich durch die
gelungene Wiedergabe der stark angefeindeten und viel
besprochenen Statue des Herrn Fremiet aus.

Das intime Landleben fand heuer seineu Ausdruck
in dem „Dorfeingang" des Hrn. Deliphard. Es ist
hier der Kontrast der untergehenden Sonne und der
eins nach dem anderen sich entzündenden Gemächer
im Jnnern der Häuser dargestellt. Die Fensterlein
präsentiren sich wie lauter röthliche Punkte. Dazu ist
Winter, und Schnee bedeckt die Erde. Die weißen
Tauben, die schaarenweise vor dem Pflug des Bauern
emporflattern, sind naturgetreu, das Bild verdient viel-
leicht von allen heurigen Landschasten am meisten Be-
wunderung.

Auf dem Gebiete der Plastik begrüßen wir zwei
charaktervolle Schöpfungen von I. F. Coutan. Eine
Sphinx mit weiblichem Kopf. Sie hält den Oedipus
umschlungen; man würde viel eher darauf rathen, daß
sie ihn verführen, als daß sie ihn einfach ausfragen
will. Das Profil ist von besonderer Schönheit und der
Blick des Ungethüms hat etwas Verführerisches — viel-
leicht mehr Modernes als Antik-Aegyptisches, aber es
liegt in der ganzen Komposition eine derbe Kühnheit,
welche die Aufmerksamkeit erzwingt.

Der „Eros" des nämlichen Künstlers hat dagegen
einen recht eleganten nervigen und in seiner Specialität
recht bedeutsamen Typus. Es ist ein junger Mann,
das Jdeal altgriechischer Schönheit; er wendet sich um
auf einem seiner leichten Füße, holt aus seinem Köcher
einen Pseil, und während er die Armbrust anlegt, lächelt
er süß und verschmitzt; zwei Turteltauben, die sick be-
nehmen, und wie es bei dieser Sorte von Thieren usu8
ist, Schmetterlinge schwärnien um das niedliche Haupt
des Jünglings.

Die „Zögerung" von A. Schoenewerk macht dem
Namen dieses Künstlers alle Ehre. Die gefällig Zö-
gernde ist eine junge Dame, die im Begrifs steht, die
Glieder im Naß eines Baches zu baden. Alle Kleidungs-
stücke sind weg; es bleibt ihr nur uoch die letzte leinene
Schutzwehr weiblicher Scheu, aber auch diese wird bald
fallen, wenn der scharf spähende Blick keinen allzu neu-
gierigen Aktäon zeigt.

Der „Heilige Paul auf dem Wege nach Damaskus"
von A. E. Lepsre giebt eine neue Version der biblischen
Scene. Der zukünftige MLrtyrer fällt von seinem
Pferde und wird vom Licht des Glaubens bis zur Er-
blindung getrofsen.
 
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