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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 12.1877

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Die akademische Kunstausstellung in Berlin, [5]
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99

Die akademische Kunstausstellung in Berlin.

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Äahren die Augen von ganz Europa auf die Gemälde
der belgischen Schule lenkte? Wohl ruht auf diesen
Gestalten der niederländischen Edlen noch die alteNoblesse,
der geistige Adel von früher, aber das Kolorit ist krank
und schwach und schwächlich auch die Charakteristik der
Köpfe. A. de Vriendt, der eine von den beiden
Brüdern, welche vor ein paar Jahren das Programm
eines neuen unabhängigen Kunststils aufstellten, hal
seinem hochtönenden Wort noch keine, auch noch so be-
fcheidene That folgen lassen. Sein Karl V. im Kloster
von S. Just steht unter dem Einfluß de Biöfve's und
leidet an derselben Kränklichkeit. Noch ein anderer von
den älteren belgischen Malern, der von der Höhe seines
Ruhms jedoch noch nicht herabgestiegen ist, Emile
Wauters, hat ein Bild ausgestellt, aber em wenig
rühmliches, das Porträt eines Knaben, zwar von guter
Haltung und voll Leben und Natur, aber erschrecklich
schwach im Kolorit, was doch sonst immer die Stärke
der belgischen Schule war. Alma-Tadema scheint be-
rnfen, ihren alten Glanz wieder aufzufrischen. Bis jetzt
ist es ihm mit solchem Erfolge gelungen, daß die alten
Herren mit ihrcr alten Gloriole völlig in den Hinter-
grund geschoben worden sind. Sonst pflückt von den
Belgiern in Berlin nur noch de Schampheleer, der
unübertrcffliche, poesievolleWasserlandschafter, seine wohl-
erworbenen Lorbeern. Auch auf der diesjährigen Aus-
stellung sind zwei Bilder von seiner Hand zu sehen,
von denen besonders das eine — Weg von Loosdrecht
nach Hiltersum — den besten deutschen Landschaften
nahe kommt.

Jn den Jdeenkreis des 15. Jahrhunderts führt uns
GustavSpangenberg mit einer ernstcn, imponirenden
Schöpfung, welche die Jury durch die große Medaille,
das Publikum durch die lebhafteste Theilnahme aus-
gezeichnet hat. Spangenberg gemahnt an jene Meister
der alten Schule, denen der Gedanke die Hauptsache ist
und bleibt, auch wenn er auf Kosten mancher Aeußer-
lichkeiten herausgearbeitet werden soll. Sein Kolorit ist
hart und bunt, wie das der alten deutschen Meister,
eines Dürer, eines Baldung Grien. Aber in den Köpfen
seiner Figuren offenbart sich eine ähnliche Kraft, eine
ähnliche Größe der Charakteristik, wie sie jenen deutschen
Meistern zu eigen war. Keine archäologische Grille hat
in dem Künstler den Gedanken zur Reife gebracht, den
Zug des Todes nach der volksthümlichen Anschauung
des Mittelalters zu malen, wie sie sich in den Todten-
tänzen aussprach. Er suchte in dem uns fern liegenden
Symbol nur den Ausdruck, die Lösung eines tiefen
Schmerzes, welcher seine Seele zerriß. Die zwei Kinder,
welche vor dem grausigen Glöckner einherschreiten, sind
die Abbilder seiner eigenen, die ihm der Tod nach einander
entriß. Und nun suchte er sich durch den demokratischen
Gedanken des Mittelalters zu trösten und bildete einen

langen, unabsehbaren Zug, der einem läutenden Gerippc
im Mönchsgewande folgt und sich weit in die nächtige
Landschaft hineinzieht. Der Papst und der Kaiser, der
Ritter hoch zu Roß und der Krämer, die Nonne und
der Mönch, die Braut mit dem Myrthenkranz — all'
die bekannten Typen, die wir in den Standesreihen der
Todtentänze sinden, sind in dem langen Zuge vertreten-
Krähen und Rabcn, die Vögel des Todes, umflattern
krächzend die stumme Procession. Links am Wege sitzen
Bettler, Kranke und Krüppel, welche flehend die Hände
ausstrecken. Aber der Tod geht an ihnen vorüber, uiu
dem blühenden Landsknechte zu winken, der traurig von
seiner weinenden Dirne Abschied nimmt. Außer v.Heyden's
Märtyrer ist dies die einzige ideale Komposition von
Bedeutung, welche die Ausstellung aufzuweisen hat. D
Volk der Denker und Dichter, wo sind deine Jdeale
geblieben? Mahnt Cornelius vergeblich von den WändeN
der Natioualgalerie?

Die handfeste Piloty-Schule ist im historischen Genre
nur durch wenige mittelmäßige Bilder vertreten, mitee
denen Gaupp's Brandschatzung eines Klosters wohl
am besten gemalt ist. Defregger ist ihr nicht niehn
zuzuzählen, da er längst eine eigene Richtung eingc^
schlagen hat. Auf ihn entfiel die zweite große goldene
Medaille, und sie hat wiederum einen getroffen, der ste
redlich verdient hat. Die Ausstellung zeigt ein PendaNt
zu dem Auszuge der Tiroler gegen die Franzosen 1809,
welches vor zwei Iahren zuerst den Namen Defregger'd
in Berlin allgemein bekannt machte. Auf dem neueN
Bilde, welches die Nationalgalerie angekauft hat, kehreN
die siegreichen Tiroler mit den eroberten Fahnen »nd
den gefangenen Franzosen in ihr Gebirgsdorf hc"N'
Die Männer und Greise an der Spitze des Zug^
schauen ernst und trübe vor sich hin, in die uebelhastc
Zukunft, während die jungen Leute sich ausgelasscner'
Siegesfreude hingeben. Mit der Stimmung hat st^
auch das Kolorit Defregger's gehobeu: es ist nicht ineist
so stumpf und trüb, sondern klarer und fröhlicher g^
worden. Seitdem Vautier leider etwas in den Hinte^
grund getreten ist, rückt Defregger immer näher u»d
näher neben den ersten der deutschen Genremaler, nebcn
Knaus. Ist sein Kolorit auch nicht von derselben Krast
und Tiefe, von derselben eigenthümlichen Gluth, so
seine Auffassung der Natur vielleicht eine gesündere
unmittelbarere. Sie ist freier und natürlicher, währeud
die Auffassung der Natur, die sich Knaus im Laust
der letzten Jahre eigen machte, mehr und mehr von ihr^
Unbefangenheit eingebüßt hat. Ich werde diesen Umsti"'d
bei der Besprechung des Knaus'schen Genrebildes uech
näher erörtern. Für jetzt will ich nur noch crwähne^
daß Defregger's Genrebild, die Bestrafung eines ung^
zogenen Hundes, der eine Gans getödtet hat, iu ^
freien Natürlichkeit dem Knaus'schen Genrebilde elwa
 
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