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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 13.1878

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Benndorf, Otto: Der Hermes des Praxiteles
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https://doi.org/10.11588/diglit.5787#0395

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779

Der Hermes des Praxiteles.

und dcr gmize ünke Arnu Das Wcrk ist nicht be-
trächtlich übcr Lcbensgröße gcarbeitct. Der Gestalt
seines spätern Jdcals entsprechcnd zeigt sich Hermes
nnbekleidet, in voller jugendlicher Schvnhcit. Er stand
auf dem rechtcn Beine, in ähnlichcr Haltung wie dcr
Antiiwns voin Bclvedcre, an dcn er anch svnst viel-
sach erinnert, dcn Fnß des (linken) Spielbeines etwaS
znriickgesctzt. Scin linker Arni, im Ellenbogcn recht-
Ivinklig nach vorn gebogen, ruht anf einem Baum-
stainm, dcn ein malerisch herabfallendcs Gcwand be-
deckt; die geschlossenc Hand hält cin schwach cylindri-
schcs Attribut, vielleicht den Heroldsstab. In der Beugc
dieses linkenArnis sitzt der jngendliche Dionysos, knaben-
haft klein gebildet, die Beine mit einem besvndern
Gewandstück nmhüllt, der Brust des schützcndcn Gottes
zngewandt. Jndem er an dcr linken Schnltcr des-
selbcn sich init der rechten Hand festhält, scheint er den
fehlcnden linkcn Arm nach einem Gcgenstande — etwa
einer Tranbe, wie Hirschfeld ansprcchcnd voraussetzte —
erhoben zu habcn, welche die Rechte des Hermcs ihm
in der Hvhe cntgegenhielt: ein höchst lebendiges, offcn-
bar mit großer Gefälligkeit dnrchgcführtes Motiv,
wie es sehr verwandt in eineni Relief dcs Mann-
heinier Anticiuarinms sich wiederhvlt, Ivelches gegen-
ständlich, namentlich was die Haltnng des Knaben
betrifft, untcr den crhaltcncn ähnlichen Wcrken am
treusten zu cntsprechen scheint. Dcr rechte Untcrarm
des Hermes, oberhalb dcr Stirn etlva horizontal an-
gchalten, mag bcim Falle der Statuc vom Postament
Ursache gelvesen sein, daß das Gesicht des Hcrmes sich
nnversehrt, ohne irgcnd eine Verletzung selbst dcr
Nascnspitze, erhaltcn kvnnte.

Ans dem Gesagten erhcllt ohne Weitcres das
Anßerordentliche dcS ganzcn Fundes. Nach sriiheren
Enttänschungen frcnt nian sich doppclt der Bedentnng,
die er für kiinstlerische und ivisscnschaftliche Studicn zn ge-
Ivinnen verspricht. Diese Bedcntnng freilich gcgcnlvärtig
zn vcrfolgen, nach den Verschiedcncn9iichtnngen, in denen
nene Aussichtcn sich cröffnen, Iväre hicr kanm der Ort
nnd ist keincsfalls schon an dcr Zcit, da billiger Wcise
das Eintreffen der ersten bereits in Angriff genomme-
nen Gipsabgüsse abznlvartcn ist, welche allcin genancre
eigeue Vergleiche ermöglichcn können. Abcr für fcrnere
Untcrsnchnngen, welche in dicsem Falle rasch anf-
tauchen nnd sich mit vorausznsehcndcm Gcwinne ans-
breitcn werden, möchte ich in kurzer Begriindnng eine
nvch nicht aufgewvrfcne Vorfrage stellcn, deren Er-
ledigung, wenn ich rccht sehe, für die kunstgeschicht-
liche Wiirdignng des ncnen Fnndcs von Belang ist.

Das nnvcrgleichlich frnchtbare Lebcn dcr Knnst
ans griechischcm Bvden und scine crstaunliche Daucr,
die es jahrhnndcrtclang wie gefeit gegcn Abnahme nnd
Verfall, mit srischen Trieben nach imnier ncnen Seiten

78l»

anSgreifend crscheinen läßt, wird histvrisch begrciflicher,
>vinn ivir in ihni, wic in dcr Ansübung sv viclcr
anderer Thätigkeiten Lei den Griechcn, Ivohlthätig das
Element der Familientradition ivalten schcn. Jst cs
natnrgemäß in einfachen Zeiten, daß dcr Sohn dcm
^atcr auch in dcr Wahl dcs Bernfcs fvlgt, sv schcint
sti) anf eine Fortsetznng dieses BerhältnisscS von Gc-
schlecht zn Geschlccht wie zum Lvhn ein bcsonderer
Ecgen zu hänfcn. Handgriffe, technische Erfahrnngc»,
mühsam erivvrbene Kenntnisse, die dcr Ansiibende im
wivußtsein ihres Wcrthcs znweilen Ivie ein Geheim-
>">, hütet, Pcrsönliche Beziehnngen nnd materielle Bvr-
t nile eincs angeschen alten Geschäftsbetricbes gehcn
nmingcschränkt anf dcn natürlichcn Nachfvlger übcr,
wic eine Pvsitive Hinterlassenschaft scine Existenz cr-
tcichtcrnd. Jene eigenthümlichc Anffassung der Wclt,
ans der das- Schaffen des Künstlers fast Ivie cinc
Nothwendigkeit entspringt, ist ihm von Kind an ein-
-cit ich eigcn; aus übernvmmener Ehre erwächst ihm
cni gewaltigcr Sporn für ncne Thätigkeit,- uiibcivnßt
und ungewollt bildet sich ih„, das fpccicll cntwickcltc
c»- ^uters an. Wcnn irgendwo mvchte man
ini cünstteibernfe glanbcn, daß Vererbnng nicht blvß
Erhaltnng svndern zeitlveise Steigernng der Kraft bc-
H'tundliche Bereichernnge», welche dic griechischc
cunltlcrgeschichte in dcn letzten Decennien erfahren hat,
a >en dieses Sachverhältniß immer dcntlicher zn Tagc
"'b tückenhaft anch die Ueberlicfernng >!>-

"ver die Ivir versügen, sv bietet sie doch schvn jetzt mchr
^""^lcrgenealvgie- in manchen andercn
i)a cn läßt jich ein Familieiiznsammenhang mit Gr»»d
^ciaiissetzin, nnd cs ist gcwiß keine znsälligc Fiignng,
°aß wir in einen, svlchcn Znsammenhange initnnter
eu crsten Namcn begegnen. So gehvrt Praritelcs
nai nvei.stich ^i„^r Uthen ansäßigen Bildhanerfaini'lic
.. i Ichlvcrlich bcdentnngslvsen Spnr dcr Ucbew

uierniig znfolge war sic aus dcm marmvrreichen Parvs
Geiieratioiien hindnrch hat sic dann >"
-tthen den glänzcnden Nnhm vvrbereitet nnd an dc„>
g anzenden Nnhme mitgcwirkt, ivelckicr wie immer n»d
untergeordneteres Berdienst verdunkclnd !>ck)
ihrem grvßten Bertreter vereinigtc'
Obschvn wir vvn dcm Leben des Praxiteles ivcnig
c)ii.nolvgische Daten bcsitzen, sv reicht doch das Bc-
^ Sicherheit hin, die Hvhe sciner künstlcri-
lchen -vhätigkeit gegen die Mitte deS vierten Iahr-
hnndertS etwa 370-350 v. Chr. anzusetzcn, nahcz»
» Menschcnaltcr Vvr LysippoS, dcm BildhanerAlcxm»-
mr s deö Grvßen. Ein Sohn deS Praxiteles, Keph'-
Ivcvtos war mit cincm anschcinend jüngern Brndcr
^iniarchoS Erbe dcr Praxitclischen Knnst. Ein ältcrcr
Mcljter der berühmtcn svgcnanntc»
.eukothea (Eirenc „nd Plntvs) in der Münchcncr
 
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