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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 14.1879

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Die akademische Kunstausstellung in Berlin, [1]
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Die akademische Kunstausstellung in Berlin.

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gegenüber und seine Frische und Unmittelbarkeit der
Auffassung gehören zu den besten und anziehendsten
Seiten seines kllnstlerischen Charakters. Den koloristischen
Theil seiner Aufgabe hat Defregger nun freilich in
glänzender Weise gelöst. Einige Partien des Bildes
sind nnt fabelhafter Vollendung gemalt. Das Wort
Virtuosität wäre bei der soliden, nicht auf raffinirte
malerische Esfekte ausgehenden Technik unseres Künstlers
nicht am rechten Orte. Daneben finden sich aber auch
Stellen, die so aufsallend flllchtig behandelt und so
wenig durchgearbeitet sind, daß man versucht ist, zu
glauben, es gebräche dem Maler doch vielleicht an der
geistigen Kraft, um eine Komposition von solchem Um-
fange gleichmäßig zu durchdringen und zu beherrschen.

Die ergreifende Scene spielt sich in einem Corri-
dore ab, der von dem Gefängniß Hofer's llber eine
Treppe nach dem Hofe führt, wo ein Peloton franzö-
sischer Soldaten unter dem Commando eines Offlciers
den Verurtheilten erwartet. Mitten auf dem Wege
wird der Freiheitskämpfer, der mit ruhiger Heiterkeit
das edle Haupt stolz emporgerichtet, dem Tode ent-
gegengeht, von seinen mitgefangenen Landsleuten aufge-
hälten, die sich wehklagend um ihn drängen und krampf-
haft seine Hände fassen. Einige sind, voni Schmerze
übermannt, vor ihm in die Kniee gesunken, andere
blicken ihn fragend an, als zweifelten sie noch immer
an der furchtbaren Wahrheit. Zwei dieser braven
Männer tragen die Spuren des Kampfes. Der Eine
ist am Bein verwundet, das mit blutigen. Tüchern
bandagirt ist, und humpelt mit einer Krllcke heran.
Der Andere trägt den Arm in der Binde. Er hat sich
mühsam die Stufen hinaufgeschleppt, die in den Hof
hinabfllhren, uud blickt mit einem Ausdruck unsäglichen
Schmerzes zu seinem Helden empor, der sogleich an
ihni vorüber muß. Jni Hintergr.unde sieht man einen
Geistlichen, der trauernd und Voll Theilnahme auf die
Abschiedsscene blickt, und einen Soldaten, der zur Be-
deckung gehört. Seine Kameraden sind nicht mehr
sichtbar; aus der Dämmerung des Corridors blinken
nur ihre Bajonette hervor.

Auf den Kopf und die edle Gestalt Hofer's fällt
ein breiter, vom Hofe aus hineingeführter Lichtstrom,
der auch noch die vor und neben ihm knieenden trifft.
Alle llbrigen Figuren, es sind im Ganzeu zwölf, sind
in den Halbschatten gerückt, so daß sich das erste Jn-
teresse des Beschauers auf die Hauptgruppe concentrirt,
die zugleich die Mitte der Komposition einnimmt. Aber
es bleibt nicht lange daran haften. Gerade in dem kunst-
vollen Aufbau der Hauptgruppe, der ganz nach der
akadernischen Regel vollzogen ist, vermissen wir die
frische Unmittelbarkeit und die Natürlichkeit Defregger's.
Der Alte, der an der linken Seite des Helden kniet
und im Uebermaaß des Schmerzes die Hand an das

Haupt drückt, das ihm zu zerspringen droht, dieser alte
wettergebräunte Tiroler mit der ties durchfurchten Stirn
ist ohne Bergleich fesselnder und von viel tieferer Wahr-
heit als Hofer, der etwas theatralisch den linken Fuß
vorgesetzt hat. Und dasselbe gilt von dem Manne, der
dicht vor ihm kniet und sein Angesicht in seinen Händen
verborgen hält, und vor allen Dingen von den beiden
Verwundeten, die von einer ungemein scharfen Beob-
achtungsgabe zeugen. Man sieht das an einzelnen
kleinen Zügen, so an der Manier, wie der Lahme
zuckend den Fuß nachschleppt, wie er vorsichtig auftritt,
wie der andere die Last seines Körpers von dem kranken
Arme fern hält. Um so bedauerlicher ist die Pose der
Hauptfigur. Wenngleich Hofer kurz vor seinem Ende
schrieb, er sähe dem Tode entgegen, ohne daß ihm die
Augen naß würden, so hätten wir doch in dem Momente,
den der Maler gewählt, eine stärkere innere Erregung
erwartet, als sie Defregger zum Ausdruck gebracht. Es
Wäre dadurch jener fo mächtig ergreifende, hoch drama-
lische Zug in das Bild hineingekommen, der das
„Letzte Aufgebot" trotz seines ungleich geringeren Um-
fanges zu einem der besten deutschen Historienbilder
gemacht hat.

Leider scheint die geistige Kraft Defregger's noch
vor der völligen Bewältigung seiner großen Aufgabe
erlahmt zu sein. Denn die franzvsischen Soldaten mit
ihrem Offizier sind so auffallend flüchtig und sorglos
behandelt, daß man sich diese Thatsache nicht anders
erklären kann. Hier scheint dem Maler, der die herr-
lichsten Tirolergestalten nur so aus dem vollen Leben
heraüsgegriffen hat, jede Natnranschauung zu fehlen.
Sonst würde er unmöglich solche steisbeinige, hölzerne
Kerle hingestellt haben. Auch trugen die Offiziere des
ersten Napolevn noch nicht jenen charakteristischen Bart,
den der Neffe des großen Oheims in die Mode brachte.
Dieser Mißklang stvrt in empfindlichster Weise die'
Harmonie des großen Bildes, das ohne Frage den be-
deutendsten Schöpfungen der neueren deutschen Kunst
angereiht werden muß. Darin steckt denn doch ein
ganz anderes Stück Arbeit, als in dem riesigen Einzug
Karl's V. in Antwerpen von Makart oder in einem
anderen Senfationsgemälde ähnlichen Schlages. Ob
aber Defregger nicht ein gut Theil seiner uns so lieb
gewordenen Eigenart einbüßen wird, wenn er auf
diesem Gebiete fortschreitet, ob er sich nicht noch tiefer
in die verhängnißvollen Schwierigkeiten des Kompo-
nirens im großen Stil verwickeln wird, das ist eine
andere Frage, deren Beantwortung wir der Zuknnft
überlassen wollen. Sie mag uns aber die Freude am
Genuß des Gegenwärtigen nicht verderben.

Defregger hat auch noch zwei höchst interessante
Studienköpfe ausgestellt, den eines Tirolers in mitt-
leren Jahren, der, sv charakteristisch und lebensvoll er
 
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