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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 14.1879

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Die akademische Kunstausstellung in Berlin, [1]
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Die akademische Kunstausstellung in Berlin.

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auch sein mag, doch nunmehr durch die von starken
Empfindungen bewegten Physiognomien auf dem großen
Bilde in den Schat.ten gestellt wird, und den eines
bildhübschen Tiroler Mädchens, das sich nm seines un-
beschreiblichen kvloristischen Reizes willen auch noch
neben dem großen Bilde behauptet. Das blasse ovale
Gesicht, welches ein Zug tiefer Schwermuth beherrscht,
ist von einem schwarzen Schleier umrahmt, der nur
die kastanienbraunen Haare über der Stirn etwas frei-
läßt. Mit nur drei Tönen, schwarz, weiß und braun,
ist eine frappirende Wirkung erzielt worden. Jch möchte
sagen, Defregger hat nie etwas Besseres gemalt. Da
ist keine Spur von jenem fatalen gelblichen, wächsernen
Fleischton zu sehen, dem wir leider auch auf dem Hofer-
bilde wieder begegncn und der sich durch die gleichmäßige
Beleuchtung der Hände dort besonders stark markirt.

Der akademischen Kunstausstellung ein zweites
Meisterwerk ersten Ranges zu liefern, war Gustav
Richter vorbehalten. Mit dem Bilde der Gräsin Ka-
rolpi, der Gattin des österreichischen Botschafters am
Berliner Hvfe, hat der Meister ein Werk hingestellt,
deni absolut nichts AehnlicheS an. die Seite zu setzen ist,
nicht einmal eines von Richter's früheren Bildnissen,
auch nicht das an und für sich brillante Porträt der
Fürstin Carolath, welches sich gegenwärtig in Paris
bestndet. Jch sagte absichtlich: er hat ein Werk hin-
gestellt, nicht gemalt vder geschaffen. Denn dieseni
Werke, das man als eine der vollgültigsten und am
meisten charakteristischen Offenbarungen der modernen
Kunst betrachten muß, sieht man in keinem Zuge mehr
den Prozeß des Werdens an. Da wird man auch
nicht mehr die leiseste Spur des Experimentirens ge-
wahr: Ton ist neben Ton nnt einer geradezu stupenden
Sicherheit hingesetzt und mit einander verschmolzen.
Alles Technische ist dem Ange völlig entzogen, man
sieht nur das Gewordene. Die scheinbare Mühe-
losigkeit des Machens war von jeher eine der charak-
teristischen Eigenschaften Richter's: sie ist aber nie
zuvor so glänzend zu Tage getreten, wie aus dem
Bildniß der Gräfin Karolpi. Mit diesen technischen
Qualitäten, die hinter keinem Porträtmaler Europa's
zurückstehen, auch nicht mehr hinter Bonnat, kvrre-
spondirt eine Noblesse der Auffassung bei aller
Naivetät, die nach meineni Gefühl uoch kein Franzose
erreicht hat. Die Abwesenheit jeglichen Raffinemcnts
macht einen der Hauptreize des köstlichen Bildes aus.

Kann es ein einfacheres Arrangement geben? Die
Gräfin stützt den interessanten Kopf mit den großen
ausdrucksvollen Augen, denen ein gewisser Anflug von
Blasirtheit einen pikanten Reiz verleiht, auf den rechten
Arm, dessen Ellenbogen auf der hohen Lehne eines mit
gepreßtem Leder überzogenen Sessels in steifen gerad-
linigen Formen ruht. Den feinen, schlanken Oberkörper

umschließt ein Oberkleid aus grünem, ebenfalls ge-
preßtsm Sammet mit herzförmigem, spitzengarnirteni
Ausschnitt. Die Spitzen fallen breit rechts und links
auf die Schultern. An der linken steckt eine Rosen-
knospe von zarter blaßrvther Farbe. Das Unterkleid,
dessen Vorderbreite durch den Schnitt des Obergewandes
ganz sichtbar ist, besteh't aus stumpfer dunkelgrüner
Seide. Auf den Lehnen des Stuhles liegt, von dem
Arme gehalten, ein rother Sammetmantel mit breitem
Pelzbesatz, der um den Rücken der Gräsin geschlungen
ist und von ihr mit der linken herabhängenden Hand,
die in einem feinen hellgrauen Handschuh steckt, fest-
gehalten wird. Den Kopf bedeckt ein schwarzer breit-
krämpiger Rembrandthnt mit einer großen weißen
Feder, unter dem die leicht gekräuselten schwarzbraunen
Haare auf die Stirn herabguellen.

Die Modellirung des Angesichts ist zart wie cin
Hauch und doch vollkommen plastisch. Von deni por-
zellanartigen oder vielmehr glasigen, harten Fleischton,
den Richter niemals ganz uberwinden konnte, ist auf
diesem Bilde keine Spur mehr vorhanden.

Weniger glänzend, aber ebenso wohlthuend durch
seine Einfachheit und ebenso charakteristisch ist ein
Brustbild des Kaisers, welches den Monarchen im Haus-
kleide darstellt, d. h. soweit von einem solchen bei
Kaiser Wilhelm die Rede sein kann. Der Uniformrock
ist aufgeknöpft, und die weiße, bis zum Hals hinauf-
gehende Weste, die der Kaiser stets zu tragen pflegt,
ist in ihrer ganzen Breite sichtbar. Um den Hals ist
das blaue Band des Ordens pour 1s uisrits gezogen.
Das große Galabild, welches der Künstler vor zwei
Jahren für das Offizierkorps der Breslauer Kürassiere
gemalt hat, war in seinem physiognowischen Theile
ungleich weniger gelungen als dieses schlichte Porträt,
das fortan der kleinen Zahl der wirklich guten Kaiser-
bildnisse anzureihen ist. Die gewinnende Herzensgüte
und Leutseligkeit, der hervorstechendste Charakterzug
des seltenen Mannes, vereint sich mit der auch im
Negligs bewahrten straffen, ritterlichen Haltung zu
einem Bilde von vollendeter Harmonie.

Es ist begreiflich, daß neben solchen Schöpfungen
iiors äs 1i§us auch bessere Arbeiten unserer geschätzten
Porträtmaler Graef, Biermann, Plockhorst, O. Begas,
Hummel, O. Heyden u. s. w., als wir sie in dieseni
Jahre leider zu sehen bekommen, nicht bestehen würden.
Nur Fritz Paulsen, ein Genremaler, dem als solchem
mancher glückliche Wurf gelungen, ist mit einem weib-
lichen Bildnisse von großer Zartheit der Formengebuiig
und Distinktion so, stark in den Vordergrund getreten,
daß man von seinen weiteren Leistungen Gutes er-
warten darf. Freilich bleiben seine koloristischen Fähig-
keiten noch weit hinter Richter zurück, aber sie bewegen
sich doch in derselben Richtung. k.
 
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