Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 16.1881

DOI Artikel:
Schönfeld, Paul: Raffaels Tag- und Nachtstunden und das Badezimmer des Kardinals Bibbiena
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5793#0221

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
437

Raffaels Tag- und Nachtstunden und das Badezimmer des Kardinals Bibbiena.

438

Raffaols Tag- und Nachtstunden

Badezimmcr des Aardinals Bibbiena.

Nachdem im Laufe des vorigen Jahres der Le-
kannte Cyklus angeblich von Raffael herrührender
schwebender weiblicher Gestalten, welche die zwölf Tag-
u»d Nachtstunden darstellen, durch das Brockmannsche
Atelier eine, freilich nur auf die Köpfe sich beschränkende,
Photographische und später durch die artistische Anstalt
von Gustav W. Seitz in Wandsbeck eine chromolitho-
graphische Reproduktion erfuhren, werden gegenwärtig
gleichfalls in Lichtdruck vervielfältigt, „Raffaels Tag-
»nd Nachtstunden, zwölfFrauenköpfe nach den Wand-
gemälden ini Vatikan" durch die Verlagshandlung
von Edw. Schloemp in Leipzig angekündigt. Ohne
darüber urteilen zu wollen, welchen Wert diese ver-
schiedenen Publikationen, insbesondere diejenigen, die
nur die Köpfe wiedergeben, etwa haben, möchte ich,
hauptsächlich veranlaßt durch den oben angeführten
Titel des jüngsten Unternehmens, der mil absoluter
Bestimmtheit die Originale als im Vatikan bcfindlich
bezeichnet, die Gelegenheit ergreifen, darauf hinzuweisen,
daß die Frage nach der Provenienz der in Rede stehenden
Figuren eine völlig offene ist. Jch würde diesen Hin-
weis für überflüssig halten, wenn nicht die Thatsache,
daß man es wagen darf, dem Publikum diesen Figuren-
cyklus auf die angegebene Weise aufzutischen, darauf
schließen ließe, daß in weiteren Kreisen denn doch ein
ziemliches Dunkel über den Gegenstand herrschen muß.

Daß die zwölf Allegorien, die sich unverkennbar
als Nachahmungen antiker Dekorationsmalereien doku-
inentiren, auf Entwürfen von Raffaels Hand beruhen,
ist eine Annahme, die zumal in solcher Allgemeinheit
wyhl von keinem Kundigen geteilt werden wird, wenn
auch teilweise Anklänge an Raffael sich bemerken lassen.
Figuren Lagegen, wie die mit Fackel und Rosen aus-
gestattete erste Tagesstunde, oder die andere, die mit
der Rechten nach dem Monde deutet, zeigen vielmehr
jene oberflächliche, kalte Anffassung, wie sie bei den
Nachahmern des Guido Reni sich breit macht, und die
Allegorie des Mittags (die Figur mit dem Rauchfaß),
die sich auf den ersten Blick als eine im Gegensinne
gezeichnete Kopie der raffaelischen Galatea erweist, von
der sie lediglich in den unteren Extremitäten und einem
unwesentlichen Gewandmotiv abweicht, fällt natürlich
bedeutend gegen die Urheberschast Raffaels ins Gewicht.
Am eh?sten läßt sich noch bei der schwungvoll bewegten
Gestalt des Morgens, der Personifikation der Abend-
dämmerung und der ersten und vierten Nachtstunde,
die sch durch Einfachheit und edeln Linienrhythmus
auszeichnen, raffaelischer Einfluß annehmen, während
es bei der Gestalt der Mitternacht, die dichtverhüllt

unter dem Zeichen Saturns daherschwebt, und der
anderen Nachtstunde mit der Sanduhr sehr gewagt
sein möchte, einen solchen zu konstatiren.

Die farbigen Wiedergaben, die von Michelangelo
Maestri und — im Auftrage der Königin von Eng-
land — von Consoni angefertigt wurden, fußen, um
dies nebenbei zu bemerken, auf älteren Kupferstichen,
und können also keine Authenticität beanspruchen.

Ob und wo nun aber diese Fignren als Wnnd-
dekorationen — denn als solche sind sie ja offenbar
gedacht >— gedient haben, darüber ist bis zu diesem
Tage schlechterdings nichts bekannt geworden. Passa-
vant glaubt sie in seinem Raffaelwerke (Deutsche Äus-
gabe III, 173; sranzös. Ausg. II, 353) „in irgend
einem Palaste Roms ausgeführt", eine Annahme, die
weder zu beweisen noch zu widerlegen ist; es ist jedoch
kaum vorauszusetzen, daß die fraglichen Originale, wenn
jemals in Rom befindlich, noch jetzt daselbst existiren,
da sie in diesem Falle wohl schwerlich bis znm heutigen
Tage verborgen geblieben wären. Sie aber in den
Vatikan zu verlegen, wie es noch immer ab und zu
geschieht, das beruht auf einer groben Verwechselung mit
einem anderen Freskencyklus, der ehemals, wie wir
wissen, das Badezimmer des Kardinals Bibbiena
schmückte.

Hinsichtlich des Badezimniers (der sogen. stntsttn),
das sich im dritten Stockwerk des vatikanischen Palastes
befindet und im Auftrage des Kardinals Bibbiena,
wie aus dem bekannten Briefe Bembo's vom 19. April
1516 hervorgeht, von Raffael mit mythologischen
Fresken erotischen Jnhalts versehen wurde, sind wir
ausschließlich auf die Angaben Passavants angewiesen
(D. A. I, 285 ff; II, 277 ff.), die nach Maßgabe
einzelncr spezieller Notizen auf Autopsie zu beruhen
scheinen. Neuere Mitteilungen besitzen wir nicht; alle
späteren Kunstschriftsteller, die über das Badezimmer
handeln, solgen vielmehr der Passavantschen Beschreibung,
da der Zutritt zu dem Raume seit langer Zeit ein
Ding der Unmöglichkeit ist. Jch selbst machte im
Sommer vergangenenÄahres die größtenAnstrengungen,
mir die Erlaubnis zur Besichtigung desselben zu er-
wirken, erfuhr indes von Giacometti, dem Direktor
der vatikanischen Sammlungen, daß dieses Privatzimmer
absolut unzugänglich sei, „xsr svitnrs o§ni oliius-
ollisrn", da die Fresken wahrscheinlich sich nicht im besten
Zustande befänden. Von einem höheren Geistlichen,
Msg. Don Marcello Massarenti, der in demselbcn
Stockwerk des Vatikans wohnt, in dem sich die «tuksttn
befindet, nnd der beiläufig bemerkt eine sehr rcichhaltigc
und zum Teil wertvolle Gemäldesainmlung besitzt,
ward mir sodann die wiederholte Versicherung, daß
die Malereien des kleinen, von einem einzigen Fenstcr
erhellten Badezimmers, in dem er unter dem vorigen.
 
Annotationen