Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 17.1882

DOI Artikel:
Lützow, Carl von: Ein Vermächtnis von Anselm Feuerbach, [2]
DOI Artikel:
Verschiedenes / Inserate
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5808#0218

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
431

Korrespondenz aus Venedig.

432

zu leben". — Prägnant schildert er den Gegensatz
unserer deutschen gegen die klassische Kunst: „Der
deutsche Künstler scingt mit dem Verstande und mit
leidlicher Phantasie an, sich einen Gegenstand zu bilden
und benützt die Natur nur um seinen Gedanken, der
ihm höher dünkt, als alles äußerlich Gegebene, aus-
zudrücken. Dasür nun rächt sich die Natur, die ewig
schöne, und drückt einem solchen Wedke deu Stempel
der Unwahrheit auf. Der Grieche, der Jtaliener, hat
es umgekehrt gemacht; er weiß, daß nur in der voll-
kommnen Wahrheit die größte Poesie ist. Er nimmt
die Natur, faßt sie scharf ins Auge, und indem er an
ihr schafft und bildet, vollzicht sich daS Wunder, welches
wir Kunstwerk nennen". — Aber am beredtesten wird
Feuerbachs Mund, am feurigsten sein Ausdruck, indem
er den Aufenthalt in Rom schildert, auf „dieser gottbe-
gnadeten Jnsel des stillen Denkens und Schaffens". —
„Bei dem Namcn Rom hört alles Träumen auf, die
Selbstkenntnis fängt an". Hier verlebt er „Stunden
stiller Schöpsungsfreuden", von denen zu erzählen auch
das ganze Buch nicht ausreichen würde. Aus dieser Zeit
stammen die tiefsten Einblicke in das eigene Wesen, die
lehrreichsten Selbstbeurteilnngen seiner Werke: „Jch
habe mich immer bemüht, typisch und jeder Konven-
tion ferne zu bleiben". — „Eiue genialisirende Eitel-
keit habe ich nie gehabt und was ich nicht fühlte, habe
ich nicht gemalt". — „Alle meine Werke sind aus der
Verschmelzung irgend einer seelischen Veranlassung mit
einer zufälligen Anschauung entstanden". — „Der Ur-
sprung meiner Pietu war auf den Stufen der Peters-
kirche gefunden; eine Frau vom Lande, ob schlafend
oder weinend, wußte ich nicht". — Jn den Briefaus-
zügen aus der ersten Zeit wogt es von Stimmungen
auf und nieder, aus denen Erinnerungen an schöne,
glücklich verlebte Tage und Visionen, Motive zu neuen
Bildern, emportauchen: „Jn Frascati gewesen. Dunkle
Laubgänge, wandelnde verschleierte Frauen; auf der
Fahrt das blitzende Meer, die weite, weiche, Lämmernde
Campagna! Schöne Gedanken ziehen wie Musik durch
die Seele". — Die Lektüre von Dante's vitu nuovu
führte zu einer von Feuerbachs herrlichsten Schöpfungen:
„Dante im Garten wandelnd, sprechend mit edeln
schönen Frauen. Die jüngste Tochter Beatrice an seine
Schulter gelehnt. Es wird wie ein Andante Mozarts
sein", — schreibt der Künstler. — Wir verfolgen dann,
ebenso wie bei der erwähnten Pietü, das allmähliche
Wachsen und Bollenden des Bildes. — Am eingehend-
sten aber berichtet uns Feuerbach von der Entstehung
seiner Jphigenia. — „Jch hatte ein Modell gefunden"
^— schreibt er im Mai 1861 — „das nicht übel für
eine Jphigenia wäre. Du solltest nur die hohe Ge-
stalt in den antiken Gewändern sich bewegen sehen!
Jch bin das erstemal erschrocken zurückgewicheu, weil

ich glaubte cine Statuc von Phidias vor mir zu
haben". — Die beiden crsten Entwürfe entstehen:
Jphigenia, aus dem Walde tretend, hält plötzlich im
Schreiten inne beim Anblick des Meeres; und dann
in etwas veränderter Stellung, an eine Säule gelehnt,
versunken in Gedanken an die serne Heimat. — End-
lich kommt die dritte und schönste Auffassung: die
sitzende Jphigenia. — „Nun ist das Jphigeniarätsel
gelöst", — schreibt der Künstler — „der Gefühlszu-
stand, welchen wir Sehnsncht nennen, bedarfkörper-
licher Ruhe. Er bedingt ein Jnsichverseuken, ein
Sichgehen oder Fallenlassen. Es war ein Momcnt
der Anschauung und das Bild ward geboren, nicht
Euripideisch, auch nicht Goetheisch, sondern einfach
Jphigenia am Meeresstrande sitzend und allerdings
„das Land der Griechen mit der Seele suchend".
„Was sollte sie auch anderes thun?" — Und ein
halbes Jahr später: „Jch habe bisher alle Sorgen,
so gut ich es vermochte, hinter mich geworfen und so
ist es mir gelungen, die Gestalt hinzupflanzen, in ihrer
vollen Einfachheit, ohne alle Sentimentalität, die ja
den Griechen ferne lag und welche die Klippe.ist, an
welcher derartige Borwürfe zu scheitern Pflegen. Das
wäre nun einmal ein Bild, mir aus der Seele ge-
sprvchen". — „Es ist das größte und beste, was ich
bis jetzt gemalt habe".

Kann sich das Seelenlebeu und zugleich die künst-
lerische Eigentümlichkeit eines Meisters völliger und klarer
uns enthüllen, als es in diesen Worten geschieht? Es
ist der klassische Lyriker in aller Bestimmtheit und Tiefe
seines Wesens! Und als solchen hat ihn die Welt auch
durch die begeisterte Aufnahme der Jphigenia aner-
kannt; sie hat in diesem Punkte das Urteil, welches
er selbst gesällt, vollauf bestätigt. — Nicht so war es
mit den großen Werken dramatischen oder epischen
Stils, welche dem römischen Aufenthalt ebenfalls ihr
Entstehen verdankten. Hierbei trat der Konflikt mit
der Welt in voller Schärfe hervor, in welchen Feuer-
bach von Jugend auf sich gedrängt sühlte, ein Kon-
slikt, in welchem er schließlich vor der Zeit sein tragi-
sches Ende gefunden hat. Jch spreche davon in einem
letzten Artikel. Carl v. Lützow.

Aorrespondenz.

Venedig, I. April 1882.

Am 22. März wurde hier auf dem Campo di
Santo Stefano das marmorne Standbild des Niccolo
Tommaseo enthüllt, jenes Vorkämpfers für die Einigung
Jtaliens, der nicht weniger als Manin bei den Vene-
tianern in teurem Andenken steht. Daher gestaltete
sich die Enthüllung mit vollem Rechte zu einem Er-
 
Annotationen