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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 17.1882

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Laokoonstudien, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5808#0273

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541

Laokoonstudien.

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ihrer Berechtigung in der Kunst, hat die Frage nach
der Schönheit der Gestaltung der Allegorie zunächst
gar nichts zu thun, ganz abgesehen davon, daß hier
so nebenbei als ganz selbstverständlich ein Grundsatz
herbeigezogen wird, der doch nicht ohne weiteres gelten
kann, zumal nicht sür den Forscher vom kunsthistorischen
Standpunkt aus. Lessing hat sich wenigstens damit
begnügt, die Schönheit als bewußt erstrebtes Kunst-
prinzip nur für die griechische Kunst in Anspruch zu
nehmen, und der Kunsthistoriker von heute weiß sehr
wohl, mit welchem Unrecht. Hier aber wird das ganz
einfach für die Kunst überhaupt postulirt, gerade als
vb der Begriff „Lchönheit" ein so klarer, ein so an-
erkannnter wäre, daß man ihn an jede Kunstschöpfung
als objektiv giltigen Maßstab anzulegen vermöchte-
Welches Autodafö müßte der Verfasser halten, wenn
er mit diesem Maßstab in der Hand „verurteilen"
wollte! Da sielen die Opfer noch ganz anders, als
wenn er die Allegorien „verurteilt". Hier sind nun
sreilich auch die nicht sicher vor ihm, welche nicht gegen
„die erste Forderung an die Kunst" verstoßen und
welche „sich in der That das Bürgerrecht in der Kunst
errrungen" haben. So „die Poesie, die Kllnste, Glaube,
Liebe, Hosfnung u. s. w. — wer erkennt sie ohne ihre
charakteristischen Symbole? — Es wäre daher gewiß
besser, wenn man auch diese, obgleich heute allgemein
verständlichen Personisikationen wieder aufgeben könnte".
Warum? Sie sind allgemein verständlich, sie sind —
was indes doch wohl im einzelnen Falle zu prüfen
wäre — schön — und doch „wäre es besser", nur
weil sie Allegorien sind, während der Versasser nirgends
erklärt hat, warum eine Allegorie nur als solche schon
verwerflich ist? Er sieht auch ein, daß eine solche rigo-
rose Forderung einen praktischen Wert nicht haben
kann, und er sügt mit einem Seufzer hinzu: „aber es
muß eben leider zugestanden werden: die Kunst, namcnt-
lich die Skulptur, kann sie vielfach nicht mehr ent-
behreu". Die Schuld daran tragen die Anforderungen,
welche an die Kunst gcstellt werden. Es wäre daher
„besser, den Künstlern gar nicht dergleichen Aufgaben
zu stellen, die sie ohne Hilfe der Allegorie nicht lösen
könven". Das ist nun leichter gesagt als gethan, weil
man dann in den meisten hierher gehörigen Fällen auf
künstlerische Ausschmückung vielfach verzichten müßte.
Daher „muß man doch mit den thatsächlichcn Ver-
hältnissen rechnen", aber keineswegs ohne Einschrän-
kung. Die Künstler dürfen besonders keine neuen Alle-
gorien schaffen, wenn sie nicht verständlich sind: so klug
werden wohl die Künstler von selbst sein — will doch
keiner in seiner Schöpfung unverständlich bleiben. Ver-
kehrt aber ist es, von vornherein und ohne die Probe
abzuwarten, Urteile zu fällen wie dies, daß „die Alle-
gorien der Wissenschaften streng genommen absolut zu >

verwersen sind", oder „kein Künstlcr wird imstande
sein, durch den seelischen Ausdruck die einzelnen Wissen-
schaften auseinander zu halten". Hat da der Künstler
nicht das Recht von seinem Werke zu sagen: „Des
Kritikers Laune verneint es", und hinzuzufügen „es
irrt sich der Gute, so scheint es?" Die Deutlichkeit
der Allegorie beruht zunächst nicht auf dem Mittel des
seelischen Ausdrucks, sondern aus der Anwendung der
charakteristischen Attribute. Ist durch diese dem Bc-
schauer der Weg gezeigt, so wird er auch bald den
Gesichtsausdruck, den der KUnstler — und ich setze
natürtich einen svlchen im vollen Sinne des Wortes
voraus — darzustellen verstanden hat, mit dem Charak-
ter der betreffenden Wissenschaft in Einklang sinden.
Jch verweise z. B. auf das Werk eines neueren Künst-
lers, Schmidts von der Launitz, die sein Gutenberg-
denkmal umgebenden Gestalten von Wissenschaften, der
Philosophie, der Mechanik, der Astronomie, welche in
Vcrständlichkeit und seelischem, sehr wohl die vcr-
schiedenen Richtungen auseinander haltendem Ausdruck
nicht hinter der vierteu Allegorie, der der Poesie, zurück-
stehen. Wenn der Künstler nur ein Poet ist, so wird
er schon das rechte Mittel erfinden: die Möglichkeit
aber 1n ubstraoko vorher absprechen, ist ebenso falsch
wie ungerecht. Nicht minder willkürlich ist das, hier
einmal unbedingt gelassene, Verdammungsurteil Uber
die Verbindung „wirklicher oder historischer Persönlich-
keiten mit allegorischen in einer Darstellung". Der
Grund ist wieder merkwürdig. Der Künstler „verläßt
das Gebiet der historischen Kunst, um dafür ein durch-
aus unsicheres, nebelhaftes Terrain zu betreten; anstatt
einen bestimmten historischen Vorgang für jedermann
verständlich vorzustellen, verliert er sich in rebusartige
Gedankenmalerei". Wer kann denn aber den Künstler
zwiugen, das Gebict der historischen Kunst festzuhalten?
Jst er nicht frei in der Wahl seiner Darstellungsart?
Wenn Siemering den Auszug zum Kriege darstellt
und damit einen die Kriegsfanfare blasenden Herold
als allegorische Figur verbindet, oder wenn Henneberg
in seiner Jagd nach dem Glück eine ähnlichc Ver-
mischung vornimmt, hätte das Verweilen bei dem
„dem Leben entnommenen Vorgang, sei er nun histo-
risch oder ersonnen", die Darstellung nicht aller dichteri-
schen Kraft, nicht jeder tieferen Bedentung beraubt?
Jener Auszug erschiene nicht als einer der zu blutigem
Ernste führt — er fände bei jedem Manöver ebenso
statt; diese Jagd erschiene als Thorheit oder als Roheit,
wenn nicht eben jene Figuren uns darau erinnerten,
den ganzen Vorgang symbolisch zu nehmen. Aber
nach des Berfassers Meinung scheint eine „in die reinste
Symbolik sich verlierende Allegorie" weder „Poetisch"
noch „verständlich" zu sein. Um darüber zur Klar-
heit zu kommen, hätte er eben, wie Lessing, „die Sache
 
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