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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 18.1883

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Wittmer, Gustav: Denkmal Johann Winckelmanns, [2]: eine ungekrönte Preisschrift Johann Gottfried Herders aus dem Jahre 1778
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https://doi.org/10.11588/diglit.5806#0064

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Denkmal Johann Winckslmanns.

Gefühl für sie, für ihre Tugenden und Lebensweise,
knrz ohne auch praktisch etwas von ihrem Sinne zu
haben, gibt bei aller Gelehrsamkeit und Wortkänntniß
ewig dumme Sophisten und Pedanten. Jsts nicht ein
falsches Lob und eine Lüge, die sie uns höhnisch ins
Gesicht zurllck wersen würden, wenn wir ihre Denkart ^
loben und von Jugend auf als Antipoden ihrer Denk-
art leben? ihre Werke nnd Geist bewundern und den
völlig entgegengesetztcn Geist in unsern Werken dar-

stellen und der Nachwelt zu verachten geben?-^

Dieser Sinn und Geist für die Alten, auch im
Gebrauch der Gelehrsamkeit und in der Anwendung I
seines Lebens, war Winckelmanns Wurzel, der Punkt, j
wo er ausging und auf den er immer zurückkam. Er
betrachtete sich als einen Alten, der wie sie schreiben,
leben und denken sollte. Ohne Zweifel gehört Winckel-
manns Armuth und Mäßigkeit, in der er sich das
Ansehn eines Griechischen Weisen zu geben wußte, auch
hieher, leider! der gewöhnliche Weg, wie, in Deutsch-
land zumal, gute Leute werden müssen. — — —
Aber so ists in Deutschland lange gewesen und wird
vielleicht noch lange, weder zum Nuhni, nvch zum
Vortheil der Nation, so bleiben. Denn woher kommts,
daß das Sprüchwort: 8iv vos, non vobis! von jeher
der Dentschen Schicksal gewesen? woher kommts, daß
sie immer die besten Erfindungen gemacht und nicht
genutzt haben? und am Ende nur immer die Stiege,
der Fußtritt gewesen sind, auf die eine andere Nation
mit leichter Mühe steigt, um sich darauf mit schwerem
Anstande zu brüsten? Nichts und die liebe Dürftig-
keit ist der Punkt, von dem der Literator, das Genie,
der Mann von Talent und Fleiße ausgeht, und oft
derselbe Punkt, wohin er am Ende wieder gelangt,
wenn er nichtNebendingen als dem Hauptwerk fröhnet".

Herder verbreitet sich alsdann über die seinerzeit
auch Winckelmann gegenüber von künstlerischer Seite
geltend gemachte Forderung, daß niemand als ein
Künstler selbst von Knnst reden, schreiben, urteilen
oder beinahe nur Kunst genießen und ansehen dürfe,
und führt diese verkehrte Ansicht gebührender Maßen
uä ubsuränin. Es sei dasselbe, wenn man verlangen
wolle, daß der Koch nur für Köche kochen und der
Straßenfsger nur für Straßenfeger fegen dürfe.

Winckelmanns Erstlingswerk enthält seine Ge-
danken über die Nachahmung der griechischen Werke
in der Malerei und Bildhauerkunst und wird von
Herder sehr hoch gehalten. „Die Schreibart dieses
Werkchens, sagt er unter anderem, ist wie der Keim
zu seiner künftigen Schreibart und übcrhaupt hat man
mit diesen Gedanken heinahe den Umriß von Winckel-
manns Seele und römischem Leben: den Punkt, von
dem er ausging, die Liebe deS Schönen in der Kunst
der Griechen, und den Punkt, wohin er wollte,

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ihre natürliche und schöngebildete Denkart wieder
rege zu machen in dem Zeitalter, worin er lebte".

Winckelmanns Auffassung des Apoll vom Belvedere
als des Schlangentöters bekämpft Herder und erklärt
das berühmte Werk als Bild des zürnenden und strasen-
den Gottes, wie er am Eingang der Jlias so treffend
geschildert ist.

Über dessen kleine Schrist von der Fähigkeit, das
Schöne in der Kunst zu empfinden urteilt Herder
wiederum sehr günstig. Er bemerkt dabei u. a.: „Man
hats ihm verübelt, daß er sich seit Plato für den Ersten
Lehrer des Schönen halte; auf die Weise aber wie ers

meint dörfts gerade keine Lästerung sein. —-

Freilich finden sich selbst iu den barbarischen, scholasti-
schen Zeiten, selbst, wo man es am wenigsten suchen
würde, in Kirchenvätern, Brocken oder Goldkörner
darüber; aber einen Plato des Schönen, der Griechi-
schen Kunst, wie Winckelmann ihn im Sinn hatte, wo
findet man ihn? Die Künstler lehrten nicht, oder sie
lehrten als Künstler, jeder in seiner Kunst, aus
seinem Gesichtspunkt, in seiner Werkstätte, bis, wie
Winckelmann meinte, Er und sein Freund Appelles-
Mengs lehrten".

Herder kommt nun zu Winckelmanns Hauptwerk,
zu seiner Kunstgeschichte, die er gegen die unbe-
rufenen Krittler energisch verteidigt. „Es gehörte
Winckelmanns erhabener, kühner, kleine Mängel und
Fehler völlig verachtender Genius dazu, schreibt Herder,
an solch ein Werk nur denken, geschweige als Frenid-
ling, nach dem Fleiß einiger wenigen Jahre daran
Hand legen zu wollen, und siehe, gewißermaasse hat
ers vollendet. Jn dem Walde von vielleicht 70 000
Statuen und Büsten, die man in Rom zählet, in dem
noch verwachsenen Walde betrüglicher Fußtapfen, voll
schreiender Stimmen rathender Deuter, täuschender
Künstler und unwißender Antiguare durch ziemlich
lange Zeiten hinunter, endlich in der schrecklichen Ein-
öde alter Nachrichten und Geschichte, da Plinius und
Pausanias, wie ein paar abgerißene Ufer dastehn, auf
denen nian weder schwimmen, noch ernten kann; in
einer solchen Lage der Sachen ringsumher an eine Ge-
schichte der Kunst des Alterthums denken, die zugleich
Lehrgebäude, keine Trümmer, sondern ein lebendiges
Volkreiches Thebe von sieben Pforten sei, durch deren
jede Hunderte ziehen; gewiß das konnte kein Kleinigkeit-
krämer, kein Krittler an einem Zeh im Staube".

Winckelmanns Geschichte der Kunst sollte nicht
blos Geschichte, sondern Lehrgebäude der Kunst des
Alterthums sein und das ist sie, zumal dem Ersten
Theil nach, historisches Lehrgebäude. Nur dies sei
Winckelmanns Zweck gewesen und hätte es nur sein
können, weil eine eigentliche Geschichte der Kunst zu
schreiben für ihn noch nicht möglich war. „Er hinter-
 
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