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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 18.1883

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Zum Raffaeljubiläum
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Valentin, Veit: Laokoonstudien, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5806#0216

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427

Laokoonstudien,

428

Les Giorgio Mantuano) in Faksimiles beigefügt sind,
und wirft schließlich einen Blick auf die Stiche, welche
verwandten Jnhaltes mit der Schule vvn Athen sind
und früher für Vorarbeiten Raffaels galten (Marco ^
Dente, Caraglio, I. B. Franco). Auch diese werden
durch Zinkographien zur Anschauung gebracht. Jeden-
salls erscheint in Springers Abhandlung das ganze
Material zur WUrdigung dcs Raffaelschen Werkes voll-
ständig gesammelt und hat die Schule von Athen eine
litterarische Behandlung erfahren, wie sie so eingehend
und umfassend noch keiner Schöpfung der Renaissance-
knnst zu teil geworden ist.

Laokoonstudien.

(Schluß.)

Welche Konsequenzen die Annahme des „wirklich
Darstellens" nach sich zieht, davon giebt Blümner ein
sehr merkwllrdiges Beispiel (S. 94). Er lobt die
Alten, welche nicht galoppirende Pferde durch einen
Banmstamm unter Lem Bauche unterstützt hätten:
„Dieser Baumstamm vernichtet von vornherein die
Jllusion". Steht er aber zu technischem Zweck unter
einem ruhig Lahinschreitenden Pserde, so ist das ganz
anders: „denn bei diesem ruht die Last des Tiers
nicht auf dem Stamm swozu ist er denn da?s, son-
dern auf den Füßen: wir können uns recht wohl vor-
stellen, daß das Tier nun eben gerade in aller
Ruhe llber einen solchen Baumstamm hinweg-
schreitet"! Es wäre interessant zu wissen, wie es die
Vorderbeine bewegt hat, um den Baumstamm zu
umgehen, oder ist es in der Quere hergekommen?
Auch ist es eine recht geschmackvolle Vorstellung,
den Bauch des ruhig nber den Stamm wegschreiten-
den Pferdes doch in so intimer Berührung mit dem
Baumstamm zu sehen, daß es sich notwendig die Haut
wird schinden müssen. Jmmerhin wäre es ein Reiter-
kunststückchen, dessen Zweck man freilich z. B. bei dem
Vater Balbus und Sohn nicht recht erkennen kann,
das aber einem Cirkus zur Ausführung als Novität
empfohlen werden mag.

Steht fest, daß die Bildkunst das Transitvrische
andeuten d. h. den ihr zukommenden Mitteln entspre-
chend darstellen kann, steht fernerhin fest, daß die Fähig-
keit der Andeutung des Transitorischen sich auf cine
kontinuirende Handlung, welche sich ohne neuen Anstoß
innerhalb deutlich empfindbarer Raumbegrenzung von
einem Anfang zu einem Ende hin bewegt, so fragt es
sich, welcher Moment innerhalb der räumlich und zeit-
lich fortschreitenden Handlung der fiir die Andeutung
geeignetste, oder, wie sich Lessing ausdrückt, der „frucht-
barste", der „prägnanteste" ist. Da nach Lessing nur
das fruchtbar ist „was der Einbildungskraft freies Spiel

läßt", in dem ganzen Verfolge des Affektes aber kein
Augcnblick diesen Vorteil weniger bietet als „die höchste
Staffel desselben", so schließt er diese hvcbste Staffel,
über welcher „weiter nichts" ist, von der Darstellung
aus. Diese höchste Staffel ist bei Laokoon sein Tod,
bei Medea der Augenblick der Ermordung der Kinver,
also der Moment, in welchem das Begonnene znr
Vollendung kommt. Bei dem rasenden Ajas ist es
nicht etwa der Höhepunkt der Handlung, sein Wüten
gegen die Herde, sondern sein Selbstmord, der Augen-
blick, in welchem das Begonnene, die Schani und Ber-
zweiflung, zur Vollendung kommt. Deshalb hat ihn
der Künstler so dargestellt, wie er den Anschlag über-
sinnt sich selbst umzubringen, also vor der höchsten
Staffel des Affektes. Blümner macht das seltsame
Mißverständnis, daß er die von Lessing so deutlich be-
zeichnete „höchste Staffel des Affektes", über welcher
es „weiter nichts" giebt, als gleichbedeutend nimmt mit
„dem Lußersten Moment einer Handlung" (S. 2), daß
er überhaupt den aktiven Begriff „Handlung" und den
passiven „Affekt" einander gleichsetzt (S. 5) und dadurch
zu Ler Auffassung kommt, als habe Lessing mit seinem
Beispiel des rasenden Ajas zeigen wollen, „daß auch ein
späterer Augenblick in diesem Sinn fruchtbar sein
könne, indem die arbeitende Phantasie rückwärts geht"
(S. 5), und daß er weiter unten hinznsügt, es komme
darauf an „daß der fruchtbare Moment die höchste
Staffel des Affektes ausschließt; sonst kann sowohl ein
der Zeit nach dieser vorhergehender als ein ihr folgen-
der Angenblick für die Kunst geeignet sein". Nach
Lessing, welcher Handlnng und Affekt unterscheidet, folgt
aber auf die höchste Staffel des Affektes überhaupt
„weiter nichts" mehr. Dieses Mißverständnis zieht sich
durch die ganze Arbeit. S. 20 spricht Blümner von
Laokoon, „welcher in der That ja nicht, wie Lessing meinte,
eine unter dem Höhepunkte stehende Stufe der Aktion
uns vorführt, sondern grade diesen Höhepunkt selbst".
Lessing spricht aber nicht von Aktion, sondern von
Afsekt, und bezeichnet ausdrücklich als die höchste
Staffel des Affektes den Tod Laokoons. Ebenso S. 24
bei der Erwähnung des Opfers der Jphigenia: der
Höhepunkt des Affektes, dessen letzte Staffel, ist daö
Opfer selbst: dafür wird ganz einfach wieder,,der Höhe-
Punkt der Handlung" gesetzt. Der Lessingsche Grund
der Wahl des Momentes ist daher durchaus richtig:
bei diesem Augenblick wird unsere Phantasie zur Fort-
bildung der Handlung angeregt, bei dem vollzogenen
Opfer bleibt der Einbildungkraft nichts zu thun übrig,
der Augenblick wäre also nicht fruchtbar. Ebenso ist
in der Alexanderschlacht der gewählte Moment in der
That der „Wendepunkt der Schlacht" (S. 24) und da-
mit der Höhepunkt der Handlung, aber keineswegs „die
höchste Staffel des Affektes" welche „die wilde Flucht und
 
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