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Kimstlitteratur.
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oberen Kursen zur Meisterschule wird, die, von ver-
hältnismäßig nur wenig Schülern besucht, diese wenigen
zur künstlerischen Reife heranbildet, soweit die Schule
eine solche überhaupt verleihen kann.
Die vorliegende sehr beachtenswerte Publikation
ist denn auch unter denselben ungünstigen Verhältnissen
zu Stande gekommen, wie so manche andere, ja unter
besonders erschwerenden Umständen. Der Herausgeber
sagt im Vorwort, sie sei auf den Wunsch von Studi-
renden der technischen Hochschule entstanden; er giebt
seit 1878 einen ausführlicheren Unterricht in der Archi-
tektur gotischen Stiles, mußte ohne Assistenten und
ohne irgend welchen Lehrapparat eiue Schüleranzahl
bis zu 94 im Semester bewältigen, und es handelte
sich bei den publizirten Arbeiten allcrmeist um die
ersten Versuche der Studirenden, mittelnlterliche Formen
zu Papier zu bringen, und um das Ergebnis einer sehr
beschränkten Zahl wöchentlicher Übungsstunden.
Der vorliegende erste Band von 60 Lichtdruck-
tafeln ist dem Kirchenbau gewidmet, ein zweiter Band
mit Entwürfen für den Profanbau besindet sich in der
Vorbereitung. Untcr dcn vorgelegenen erschwerenden
Verhältnissen kann man diese Publikation nur aner-
kenncnd benrteilen und dcm Verfasser wünschen, es
möchten bei seiner erfolgreichen Wirksamkeit als Lehrer,
die in den weitesten Kreisen ungeteilten Beifall fand
und ihm eine stets wachsende Schüleranzahl sichcrte,
ihm alle diejenigen Erleichterungen zu teil werden,
welche jeder gcdiegene Unterricht mit Recht bean-
spruchen kann.
Das Werk hat große Vorzüge. Mit richtigem
Verständnis des Lehrproblems eines jeden Unterrichts
über mittelalterliche Baukunst hat C. Schäfer sich der
strengen Gotik angeschlossen, in deren Geist einzudringen
ohne Kenntnis des romanischen Stiles nicht möglich ist.
Ans demselben Grunde hat er das Hausteinmaterial
begünstigt, „weil seine Formen die originalen und des-
halb von der Schule zuerst zu berücksichtigen sind."
Anders verfährt bei seinen Schülerentwürfen Pro-
fessor Otzen, der mehr als moderner Gotiker wirkt und
den norddeutschen Backsteinbau bevorzugt, was an der
Hauptlehranstalt Preußens in zweiter Linie gewiß seine
Berechtigung hat, da der Reichtum des Landes an
wertvollen Denkmälern dieses Stiles ein Eingehen auf
denselben unter allen Umständen wünschenswert er-
scheinen läßt.
Die von C. Schäfer publizirten Schülerentwürfe
sind durchwegs solid bearbeitet und gezeichnet, dabei
sind die Holzkonstruktionen des Dachwerks stcts wohl-
durchdacht und instruktiv behandelt, nicht minder, sozu-
sagen selbstverständlich, alle Steinkonstruktionen, so daß
man sagen kann, es ist keine falsche Steinfuge in diesen
Entwürfen. Originatität in derAnlage, gute Verhcilt-
nisse, eine vollständige Beherrschung der Formenwelt
dcr strengercn Gotik sprcchen uns in sänitlichen Ent-
würfen an. Daß Herr C. Schäfer, der Schüler
Ungewitters, sich vielfach an die reizvollen Denkmäler
des oberhessischen Gebietes mittelalterlicher Baukunst
angeschlossen hat, berührte uns besonders wohlthuend;
Anklänge an Marburg, Haina, Wetzlar ic. finden sich
vor. Doch auch die eigentliche Quelle der Gotik, der
große Bezirk französischer Kathedralstädte mit Paris
als Centrum, lieferte zu diesen Studienblättern reich-
liches Material, das bei Entwürfen zu größeren
Kirchen wie kleineren Kapellen Verwertung fand.
Manches Motiv, welches den Beschauer dieser Blätter
bei flüchtiger Besichtigung frappirt und im ersten
Moment etwas gesucht erscheint, gewinnt bei ge-
nauerem Studium Berechtigung und verliert von
seinem bcfremdenden Charakter, der uns ja anch bei
dcn besteu Werken des Mittelaltcrs nicht selten ent-
gegentritt. Ganz besonders gelungen sind die Turm-
entwickelungcn, originell die Vorhallen, Portalanlagen
und anderes. Jm ganzen zeugen alle diese Entwürfe
von dem Streben, eine gediegene, klare, sichere und
edle Gotik zur Geltung zu bringen, und so werden
dieselben zweifellos auch außerhalb der Schule die ver-
diente Anerkennung sinden. Die Grundrisse, Durch-
schnitte, Ansichten und Perspektiven sind geschmackvoll
in der Schraffirmanier vorgetragen. Daß die Pro-
jekte als Schulentwürfe nicht ganz frei von Mängeln
sind, thut ihnen im ganzen keinen Eintrag; unter
günstigeren Bedingungen werden auch sie sich wohl in
Zukunft vernieiden lassen.
Rudolf Redtenbacher.
x. Die Kassettendecke im Schlosse zu Jever ist bekanntlich
eins der reichsten Schnitzwerke, welche die Renaissance auf
deutschem Boden aufzuweisen hat. Eine solche Fülle von
reizvoll erfundenen und mit meisterlichsr Sorgfalt ausgeführ-
ten Ornamenten, dis sich über 28 Kassetten in immer neuen
Motiven ausbreiten, findet sich an keinem anderen nordischen
Bauwerke des lk. Jahrhunderts und hat nur jenseits der
Alpen ihresgleichen. Bis vor wenigen Jahren kaum be-
achtet und nur in engsren Kreisen gewürdigt, ist diese
wunderbare Schöpfung des Schnitzmessers erst infolge der
Gipsabgüsse allgemeinsr bekannt geworoen, welche auf Ver-
anlassung des Schloßherrn, des Großherzogs von Oldenburg,
von dem Bildhauer Boschen im vorigen Jahre gefertigt
wurden. Um die Abformungen machen zu können, mußte
die ganze Decke herabgenommen werdsn, wss denn auch mit
Zustimmung des genannten hohen Herrn geschah. Boschen
veranstaltet nunmehr auf Wunsch und mit Genehmigung
des kunstsinnigen Fürsten eine Publikation der Jeverschen
Renaissancedecke in Lichtdruck, mit textlichen Erläuterungen
aus der Feder des Galeriedirektors Freiherrn von Alten.
Das Wsrk wird in 25 Foliotafeln im Seemannschen Ver-
lage erscheinen und zwar in fünf Lieferungen, jede zu 5 Blatt.
Künstler und Kunstfreunde werden es dem Herausgeber
Dank wissen, daß er ihnen den Anblick und das Studium
der amnutigsten und geschmackvollsten Erfindungen vermittelt,
welche die ornamentale Bildnerei im deutschen Norden auf-
zuweisen hat. Jnsbesondere aber wird allen Kunstgewerbe-
schulen die Publikation willkommen sein, da sie einen Formen-
schatz darbietet, dessen Motive zu unmittelbarer praktischer
Verwendung geeignet sind.
Kimstlitteratur.
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oberen Kursen zur Meisterschule wird, die, von ver-
hältnismäßig nur wenig Schülern besucht, diese wenigen
zur künstlerischen Reife heranbildet, soweit die Schule
eine solche überhaupt verleihen kann.
Die vorliegende sehr beachtenswerte Publikation
ist denn auch unter denselben ungünstigen Verhältnissen
zu Stande gekommen, wie so manche andere, ja unter
besonders erschwerenden Umständen. Der Herausgeber
sagt im Vorwort, sie sei auf den Wunsch von Studi-
renden der technischen Hochschule entstanden; er giebt
seit 1878 einen ausführlicheren Unterricht in der Archi-
tektur gotischen Stiles, mußte ohne Assistenten und
ohne irgend welchen Lehrapparat eiue Schüleranzahl
bis zu 94 im Semester bewältigen, und es handelte
sich bei den publizirten Arbeiten allcrmeist um die
ersten Versuche der Studirenden, mittelnlterliche Formen
zu Papier zu bringen, und um das Ergebnis einer sehr
beschränkten Zahl wöchentlicher Übungsstunden.
Der vorliegende erste Band von 60 Lichtdruck-
tafeln ist dem Kirchenbau gewidmet, ein zweiter Band
mit Entwürfen für den Profanbau besindet sich in der
Vorbereitung. Untcr dcn vorgelegenen erschwerenden
Verhältnissen kann man diese Publikation nur aner-
kenncnd benrteilen und dcm Verfasser wünschen, es
möchten bei seiner erfolgreichen Wirksamkeit als Lehrer,
die in den weitesten Kreisen ungeteilten Beifall fand
und ihm eine stets wachsende Schüleranzahl sichcrte,
ihm alle diejenigen Erleichterungen zu teil werden,
welche jeder gcdiegene Unterricht mit Recht bean-
spruchen kann.
Das Werk hat große Vorzüge. Mit richtigem
Verständnis des Lehrproblems eines jeden Unterrichts
über mittelalterliche Baukunst hat C. Schäfer sich der
strengen Gotik angeschlossen, in deren Geist einzudringen
ohne Kenntnis des romanischen Stiles nicht möglich ist.
Ans demselben Grunde hat er das Hausteinmaterial
begünstigt, „weil seine Formen die originalen und des-
halb von der Schule zuerst zu berücksichtigen sind."
Anders verfährt bei seinen Schülerentwürfen Pro-
fessor Otzen, der mehr als moderner Gotiker wirkt und
den norddeutschen Backsteinbau bevorzugt, was an der
Hauptlehranstalt Preußens in zweiter Linie gewiß seine
Berechtigung hat, da der Reichtum des Landes an
wertvollen Denkmälern dieses Stiles ein Eingehen auf
denselben unter allen Umständen wünschenswert er-
scheinen läßt.
Die von C. Schäfer publizirten Schülerentwürfe
sind durchwegs solid bearbeitet und gezeichnet, dabei
sind die Holzkonstruktionen des Dachwerks stcts wohl-
durchdacht und instruktiv behandelt, nicht minder, sozu-
sagen selbstverständlich, alle Steinkonstruktionen, so daß
man sagen kann, es ist keine falsche Steinfuge in diesen
Entwürfen. Originatität in derAnlage, gute Verhcilt-
nisse, eine vollständige Beherrschung der Formenwelt
dcr strengercn Gotik sprcchen uns in sänitlichen Ent-
würfen an. Daß Herr C. Schäfer, der Schüler
Ungewitters, sich vielfach an die reizvollen Denkmäler
des oberhessischen Gebietes mittelalterlicher Baukunst
angeschlossen hat, berührte uns besonders wohlthuend;
Anklänge an Marburg, Haina, Wetzlar ic. finden sich
vor. Doch auch die eigentliche Quelle der Gotik, der
große Bezirk französischer Kathedralstädte mit Paris
als Centrum, lieferte zu diesen Studienblättern reich-
liches Material, das bei Entwürfen zu größeren
Kirchen wie kleineren Kapellen Verwertung fand.
Manches Motiv, welches den Beschauer dieser Blätter
bei flüchtiger Besichtigung frappirt und im ersten
Moment etwas gesucht erscheint, gewinnt bei ge-
nauerem Studium Berechtigung und verliert von
seinem bcfremdenden Charakter, der uns ja anch bei
dcn besteu Werken des Mittelaltcrs nicht selten ent-
gegentritt. Ganz besonders gelungen sind die Turm-
entwickelungcn, originell die Vorhallen, Portalanlagen
und anderes. Jm ganzen zeugen alle diese Entwürfe
von dem Streben, eine gediegene, klare, sichere und
edle Gotik zur Geltung zu bringen, und so werden
dieselben zweifellos auch außerhalb der Schule die ver-
diente Anerkennung sinden. Die Grundrisse, Durch-
schnitte, Ansichten und Perspektiven sind geschmackvoll
in der Schraffirmanier vorgetragen. Daß die Pro-
jekte als Schulentwürfe nicht ganz frei von Mängeln
sind, thut ihnen im ganzen keinen Eintrag; unter
günstigeren Bedingungen werden auch sie sich wohl in
Zukunft vernieiden lassen.
Rudolf Redtenbacher.
x. Die Kassettendecke im Schlosse zu Jever ist bekanntlich
eins der reichsten Schnitzwerke, welche die Renaissance auf
deutschem Boden aufzuweisen hat. Eine solche Fülle von
reizvoll erfundenen und mit meisterlichsr Sorgfalt ausgeführ-
ten Ornamenten, dis sich über 28 Kassetten in immer neuen
Motiven ausbreiten, findet sich an keinem anderen nordischen
Bauwerke des lk. Jahrhunderts und hat nur jenseits der
Alpen ihresgleichen. Bis vor wenigen Jahren kaum be-
achtet und nur in engsren Kreisen gewürdigt, ist diese
wunderbare Schöpfung des Schnitzmessers erst infolge der
Gipsabgüsse allgemeinsr bekannt geworoen, welche auf Ver-
anlassung des Schloßherrn, des Großherzogs von Oldenburg,
von dem Bildhauer Boschen im vorigen Jahre gefertigt
wurden. Um die Abformungen machen zu können, mußte
die ganze Decke herabgenommen werdsn, wss denn auch mit
Zustimmung des genannten hohen Herrn geschah. Boschen
veranstaltet nunmehr auf Wunsch und mit Genehmigung
des kunstsinnigen Fürsten eine Publikation der Jeverschen
Renaissancedecke in Lichtdruck, mit textlichen Erläuterungen
aus der Feder des Galeriedirektors Freiherrn von Alten.
Das Wsrk wird in 25 Foliotafeln im Seemannschen Ver-
lage erscheinen und zwar in fünf Lieferungen, jede zu 5 Blatt.
Künstler und Kunstfreunde werden es dem Herausgeber
Dank wissen, daß er ihnen den Anblick und das Studium
der amnutigsten und geschmackvollsten Erfindungen vermittelt,
welche die ornamentale Bildnerei im deutschen Norden auf-
zuweisen hat. Jnsbesondere aber wird allen Kunstgewerbe-
schulen die Publikation willkommen sein, da sie einen Formen-
schatz darbietet, dessen Motive zu unmittelbarer praktischer
Verwendung geeignet sind.