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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 19.1884

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Engelmann, R.: Die Inschriften der Wandgemälde von Oberzell auf der Reichenau, [1]
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Die Jilschriften der Wandgemiilde von Oberzell auf der Reichenam

8

Die ^nschriften der lvandgemälde von Oberzell
auf der Reichenau.

Die höchst interessanten Wandgemälde, welche 1880
und 1882 in der Kirche von Oberzell auf der Reichenau
besonders durch die liebevolle Sorgfalt des dortigen
Psarrverwesers Herrn Feederle entdeckt worden sind,
haben nicht verfehlt in weiteren Kreisen Ausmerksam-
keit zu erregen; von den bis jetzt darüber erschienenen
Besprechungen ist ohne Zweifel die von Prof. Kraus
in Freiburg in dem Aprilheft der „Deutschen Rnndschau"
(S. 37) veröffentlichte, von der ein Auszng auch in
Nr. 36 der Kunst-Chronik gebracht ist, die eingehendste
nnd aussührlichste. Jm Anschluß an diesen Artikel
möge es mir gestattet sein, einige Bemcrkungen hier
vorzubringen, Bemerkungen die ich zum größten Teil
schon gleich nach dem Erscheinen des Kraus'schen Auf-
satzes gemacht hatte; daß ich so spät damit ans Licht
trete, ist größtenteils durch verschiedene außer mir
liegende, hier unwesentliche Umstände veranlaßt; hoffent-
lich kvmmen aber die paar Worte, die ich zu sagen
habe, namentlich für die große von seiten der Regierung
geplante Publikation, die noch im Laufe dieses Jahres
erscheinen sollte, nicht ganz zu spät.

Wie große Aufmerksamkeit die ncu entdeckten Ge-
mälde unter den verschiedenartigsten Gesichtspunkten
verdienen, ist von Herrn Prvf. Kraus in der „Rund-
schau" genügend hervorgehoben worden; auch wird
jeder, der an der mittelalterlichen Kunst Anteil nimmt,
ihm für die gelehrten Nachweise und Bemerkungen,
durch welche er den Oberzeller Denkmälern ihre Stellung
innerhalb der christlichen Kunst anweist, den gebühren-
den Dank wissen. Aber einer Seite, die sür die vor-
liegenden Gemälde, ja sür die ganze Art der Aus-
schmückung dieser und anderer Kirchen durchaus nicht
unwichtig erscheint, ist der Herr Verfasser meines Er-
achtcns nicht ganz gerecht geworden. Es sind dies die
Jnschriften, welche den Jnhalt jeder einzelnen Dar-
stellung näher bezeichnen. Er scheint mir nicht bloß
an einzelnen Stellen nicht das Richtige gelesen und
gesunden, svndern auch über ihren allgemeinen Charak-
ter sich einigen Jrrtümern hingegeben zu haben.
Gestützt auf ein Facsimile, das Herr Pfarrverweser
Feederle aus Oberzxll die Freundlichkeit gehabt hat,
mir znzustellen, und gestützt auf die Billigung, welch^
ich bei Herrn G. B. de Rossi in Rom, der erst vor
kurzem als „Bater der christlichen Archäologie" nnt
vollstem Recht gefeiert worden ist, für meine Bedenken
gegen die Kraus'schen Lesungen und meine Nenvorschläge
gefunden habe, wage ich es, solgende Bemerkungen den
geehrten Lesern zu unterbreiten.

Wollen wir den Charakter der Jnschristen, die
sprachlichen und metrischen Kenntnisse ihres Verfassers,

oder znnächst des Malers, recht würdigen, dann müssen
wir natürlich von denen ausgehen, die vvllkommen er-
halten vder wenigstens mit Sicherheit zn ergänzen oder
zu ändern sind. Nlit dem aus diesen Unterschriftcn
gewvnnenen Material ausgerUstct, kann man weiter ver-
suchen, die weniger gut auf uns gekommenen einiger-
maßen zu heilen und zu vervollständigen. Jch beginne
mit den Worten, durch welche Lie Heilung des Wasser-
süchtigen bezeichnet wird; die Jnschrift heißt vhne Zweifel:
Obvins oeonrrsns snnntur ^äroxious nnus
blno onsratns näit, liino sins knsos rsckit.

Die Lesung ist sicher, da Spuren des lnno nach dem
Facsimile nvch deutlich zu crkennen sind; nur das t
von näit ist einigermaßen fraglich, dvch dem ganzen
Jnhalt nach mit Sichcrheit zu ergänzen. Wir lernen
daraus, 1) daß die Sprache durchaus korrekt ist; 2) daß
auch die Metrik genau beobachtet wird, denn daß
g-äit mit langer Ultima gemessen wird, dürfte am Ende
der ersten Hälfte des Pentametcrs kaum als Unregel-
mäßigkeit empfuuden werden; 3) cs ist klar, daß es
sich nicht nm zwei Hexameter handelt, wie Prof. Kraus
meinte (er liest: lino onsratns näit äominnm, sins
Insos rsosäit), sondern nm ein Distichvn, und zwar
zeigt sich 4), daß der Dichter die zwei Hälften des
Pentameters unter einander reimen läßt (aäit — roäit).
Letzterer Umstand tritt auch sosort bei den andercn
Versen hervor; so reimt sich in der Jnschrift, welche
der Auferweckung von Jairus' Tvchterlein beigeschrieben
ist, volo mit inoäo, in der des Jünglings von Nain
viänno mit nbols. Wir können alfo festhalten, daß
dem Dichter sprachliche und metrische Versehen nicht
ohne weiteres zuzutrauen sind, und ferner, daß die
Überschriften aus Distichen bestehen, in wclchen die
beiden Hälften des Pentameters sich untereinander
reimen. Gegen die erstere Schlußfvlgerung scheint aller-
dings der Hexameter der Jnschrift, welche der Auf-
erweckung des Jünglings von Nain beigesetzt ist, zu
sprechen, denn dort heißt es:

Uortns, snrZs oitris, obsiäsnsgus locxusnsgus rovivs
8io ni-rtris viäuns tristin ounotn nbols,
dvch ist hier der Fehler leicht zu heben; es ist keine
Frage, daß der Sinn svwohl als auch das Metrum rssi-
äsnsgus verlangen; nur sv kann der Dichter geschrieben
haben, und daß trvtzdem obsiäsnsgus (also
für klar dasteht, läßt uns erkennen, daß die

Jnschriften nicht fllr die Kirche in Oberzell angefertigt
sind, sondern daß der Maler schon vorher existirende
metrische Formeln benutzt und teilweise ungenau kopirt
hat. Eine gleiche Wahrnehmung läßt uns der Penta-
meter des „Sturmes" machen; dort steht klar und
deutlich geschrieben: nmjsstats fubst, vsntus st unäns
sinits, mit Aufhebung eines jeden Metrums. Ofsen-
bar hat hier den geistlichen Maler seine Bibelkenntnis
 
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