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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 19.1884

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Vom Christmarkt
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Vom Christmarkt.

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und Skizzen alter Meister, von denen wohl kaum einer
je daran gedacht hat, daß sie nach hundert und aber
hundert Jahren jüngeren Geschlechtern zum Genuß und
zur Lehre dienen würden, — daneben die Erzeugnisse
moderner Phantasie in Holzschnitten, deren Technik
hin und wieder ans Wunderbare streift, und auf einem
Papier, dessen Seidenglanz und Weichheit der Zlylo-
graphie den Wetteifer mit Kupferstich und Radirung
möglich zu machen scheint. Bei svlchen Mitteln und
solcher Ausstattung gewinnt auch das Unbedeutende
und Unzulängliche gar leicht den Schein des Echten
und Vollendeten. Die Technik wird zur holden
Schmeichlerin, deren verführerische Blicke den Be-
schauer bestricken, den Künstler aber zur Selbsttäuschung
über den Wert seiner Schöpfung verleiten. Darum
ist es gut, den Blick immer wieder vom Neuen zum
Alten hinüberschweifen zu lassen, von Thumann zu
Dürer, von Liezenmayer zu Raffael, und sich an das
mit „Demut" überschriebene Epigramm Goethe's zu
erinnern:

Seh' ich die Werke der Meister an,

So sehe ich, rvas sie gethan,

Betracht' ich meine Siebensachen,

Seh' ich, was ich hätt' sollen machen.

Es ist nichtZufall, daß wir diese Umschau auf dcm
Christmarkt mit einem Worte Goethe's eröffnen. Den
Anlaß dazu gab die neue Prachtausgabe der Werke
des großen Dichters,*) welche die Deutsche Verlags-
nnstalt in Stuttgart herauszugeben begonnen hat. Jn
ihrer Gesamterscheinung bildet das Unternehmen cin
Seitenstück zu der unsern Lesern bekannten Pracht-
ausgabe von Schillers Werken, die vor etlichen Jahren
in demselben Verlage erschienen ist. Vor uns liegen
die beiden ersten Bände, der eine gefüllt mit den lyri-
schen Gedichten, denen „Hermann nnd Dorothea" an-
geschloffen ist, der andere die Dramen Götz, Egmont,
Jphigenie, Taffo, Die natürliche Tochter, und Faust,
erster und zweiter Teil, umfaffend. Wie bei der vor-
erwähnten Schillerausgabe, hat die Verlagshandlung
auch in diesem Falle eine ganze Phalanx deutscher
Jllustratoren aufgeboten. Wenn infolgedessen nament-
lich der erste Band in Bezug auf den Charakter der
Bilder ein etwas buntscheckiges Ansehen gewinnt, so
kann man sich dabei mit dem Sprichwort varistas
äslsotat in sofern trösten, als es ungemein interessant
ist, die Handschrift der verschiedenen Künstler, wie sie
uns aus ihren gemalten Werken bekannt ist, in den
Hvlzschnitten wieder zu erkennen. Der Holzschnitt findet
sich eben heutzutage mit jeder Art der Behandlung ab.
Die Forderung, die schon Menzel an ihn stellte, nicht

Goethe's Werke mit mehr als 8Ul> Zllustrationeu erster
deutscher Äünstler, herausgegeben von Heinr. Düntzer.

nur den Strich der Zeichnung, sondern auch die
Wirknng unbestimmt hingesetzter Töne genau wieder-
zugeben, hat gegenwärtig unbestrittene Geltung. Es
wird mit Feder, Kreide und Stift gezeichnet, es wird
getuscht, gewischt und gemalt. Der eine arbeitet fein
und sauber bis in das Detail hinein, der andere legt
die Zeichnung in festen Konturen an und begnügt sich
mit einer Andeutung des Nebensächlichen, ein dritter
giebt fast nur eine Skizze mit getuschtem Hintergrund,
ein vierter nähert sich mit seiner Darstellungsweise
dem Teppichstile und verzichtet aus die Wirkungen der
Luftperspektive. An Abwechselungen und Überraschungen
fehlt es also nicht. Jm ganzen herrscht der schwere
malerische Tvn vor, was bei dem größtenteils der
Münchener Schule angehörigen Mitarbeitern nicht
wunder nehmen kann. Die Rvllen smd von der Ber-
lagsbuchhaudlung durchweg mit Glück und Verständnis
ausgeteilt, so daß jeder mit seinen Gaben so ziemlich
an den rechten Ort gestellt ist. Mehr Melodie als in
dem Zusammenspiel so verschieden gearteter Jllustra-
toren findet sich bei der nicht minder reichen typographi-
schen Dekoration, Znitialen, Zwischentiteln, Kopf- und
Schlußstücken, die hin und wieder mit symbolischen und
allegorischen, selbst illustrativen Gedanken an den voraus-
gehenden oder nachfolgenden Text anknüpfen. Hier
sind die Formen der späten Renaiffance vorherrschend,
und wenn man sieht, mit welcher Virtuosität Schick,
Hammer, Götz, Schmidt-Pecht u. s. w. diese Formen
handhaben, sollte man fast glauben, daß dieser Deko-
rationsstil eine nationale Bedeutung erlangt hat und
daß das Formgefühl der Gegenwart in deni „gezähm-
tem Barock" seinen richtigsten Ausdruck findet.

Von Goethe zu Heinrich Heiue — das ist ein
Schritt von lichten Bergeshöhen zum nebelerfüllten
Thale. Das Zwiespältige in Heine's Dichterseele, die
schlichte Anmut natürlicher Empfindung und die ner-
vöse Sentimentalität, welche nach grausigen Vor-
siellungen dürstet, die heitere Laune, die sich dem Augen-
blicke hingiebt, und der cynische Spott, der selbst das
eigene Jch nicht schont, dieses rätselhafte Doppelwesen
offenbart sich auch in dem Bilderschmucke, mit welchem
Thumann die bei Adols Titze erschienene Quartaus-
gabe des Buchs der Lieder versehen hat. Der statt-
liche Band trägt, ebenso wie die neue Goetheausgabe,
die Uniform seiner Borgänger in demselben Berlage:
Chamiffo's „Frauenliebe und Leben" und Hamerlings
„Amor und Psyche". Uud nicht bloß die Uniform ist
dieselbe, auch manchc Gestalten erkennen wir wieder,
die schlanken sittigen Mädchen mit der ovalen Kinn-
bildung und dcm Stnmpfnäschcn, die wohlgestalteten
Jünglinge, die sich um der Schönen Gunst bemühen,
die reizenden Kinderengel mit den Schriftbändern und
Schrifltafeln, das alles erscheint fast wie ein feststehen-
 
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