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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 19.1884

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Distel, Theodor: Zacharias Wehme's sogenanntes Türkenbuch (1582)
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.5805#0102

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199

Korrespondenz aus Dresden.

200

nach, daß er in Gemeinschaft mit seinem Kollegen
Cyriacus Reder (beide erklärten die Malerei sür eine
freie Kunst und kein Handwerk) sich den Vorschriften
der Dresdener Jnnung nicht unterordnete. Wehme
starb zu Dresden in der Nacht vom 5. znm 6. Januar
1606 am Schlage.

Dresden. Theodor Distel.

Aorrespondenz.

Dresden, im Dezember 1883.

Seit einigen Tagen beherbergt derDublettensaal
der Brühlschen Tcrrasse eine Sammlung von Ge-
niälden Arnold Böcklins, wie sie reicher in Nord-
deutschland wohl nie gesehen wvrden. Der hvhe Gennß,
welchen diese Spezialausstellung der kleinen Gemeinde
intimerer Kunstfreunde bietet, ist der Berliner Firma
Fritz Gurlitt zu danken, die sich durch den Versuch,
den großen Schweizer Maler auch bei uns nach Ge-
biihr bekannt zn machen nnd das Verständnis siir seine
eigenartige Knnstlvcise zu lvecken, ein hohes Verdicnst
crworben hat.

Es ist über Böcklin so viel geschrieben wordcn,
wie nur je Uber einen bedeutenden Menschen, der von
wenigen verstanden wird. Und diese wenigen, die elwas
davon erkannt, die thöricht genug ihr volles Herz nicht
wahrten, — hat man von je gekrcuzigt und ver-
brannt. — Was Wunder, wenn jedes neu auftauchende
Werk des Meisters die Parteien von neueui in zwei
Heerlager spaltet und der Kampf um das Prinzip
mit alter Erbitterung beginnt. Denn um ein Prinzip
handelt es sich in erster Linie bei dem Streit über
den bestverleumdeten Künstler unserer Tage. Soll der
Maler, dem Dichter gleich, nur sich selber genügen, soll
er die Offenbarungen des Genius so zurückstrahlen,
wie sie seinem eigenen Herzen geworden, oder muß er
vor allem dem Geschmack des vielköpfigen Ungeheuers,
Publikum genannt, Rechnung tragen, sich den Launen
der herrschenden Geschmncksrichtung fügen? — Jch
stehe nicht an, diese Frage dahin zu beantworten, daß
unzweifelhaft das Publikum die Pflicht hat, sich dcr
Jndividualität des Künstlers anzupassen, und daß man
nicht umgekehrt vom Maler verlangen kann, er solle
sein ureigenstes Selbst in die tausend verschiedenen
Seelen der Menge zerspalten, den Augen aller ge-
nügen, von dcnen jeder etwas anderes sehen möchte.
Aber ich weiß auch sehr wohl, daß ich mit dieser An-
sicht so ziemlich vereinzelt dastehe und eine verlorene
Sache, ein ideales Phantom verfechte, das niemals
realisirt werden kann.

Die Gurlittsche Ausstellung umfaßt zehn Gemälde
des Künstlers und 25 Nadirungen und Photographicn
nach seinen Bildern, giebt also, wenn auch nicht den

ganzen Böcklin, so doch ein gnt Teil seines künstleri-
schen Schaffens. Da es sich bei einer solchen Anzahl
von Werken eiues noch lebendcu Künstlers naturgemäß
nur zuni kleinsten Teil um wirklich Neues handeln kann,
muß ich von vornherein die Nachsicht des Lesers er-
bitten, wenn ich bei Bildern, die schon früher an dieser
Stelle besprochen wurden, länger verweile.

Das bedeutendste, auch räumlich, nnter den aus-
gestellten Gemälden ist wohl die große Komposition
„Jm Spiel der Wellen", eine neue Variation des vom
Künstler mit Vorliebc behandelten Thema's voni heiteren
Meervolk. Jnmitten der hochgehenden Wogen des
stürmisch bewegten Meeres schwimmt ein alter Triton
neben einem jugendlichen Fischweib daher, das sich
ängstlich an ihn klammert und wie um Hilfe slehend
mit seinen wässerig meergrünen Augen aus dem Bilde
herausblickt. Der Alte hat sein rotgläuzendes Gesicht
mit dem flachsgelbcn wassertriefcuden Haar zn schaden-
srohem Grinsen verzogen und lacht die unerfahrene
Tochter der Wellen sv hell uud lustig aus, daß man
unwiderstehlich Vvn seiner homerischen Heiterkeit an-
gesteckt wird. Oben gedoch kommt auf den höchsten
Wogen ein gescheckter Seekentaur heran, ein echt Böck-
linsches Geschöpf mit struppigem Haar, aufgetriebenem
Bauch und seehundSartigen Füßen. Wie dieser plumpe
Bursch, dessen meuschenähnlich Teil einer häßlichen
Kröte gleich aus dem Pferderumps hervorzuguellen
scheint, von den Wassermassen nach vorn gedrllckt wird
und sich nur mit Mühe im Wellenansturm aufrecht
halten kann; das ist meisterhaft geschildert, und köst-
lich zugleich das tierisch stumpfsinnige Erstaunen, das
sich in seinem Gesicht spiegelt. Er scheint ganz außer
Fassung gebracht ttber ein Nixlcin, das mit keckcm
Sprunge vor ihm in den blauen Tiefen versinkt, so
daß nur noch ihre Beine über die Wasserfläche ragen.
Eine zweite Tochter des Mecres, schon iu gesetztercn
Jahren, lacht hell auf, und damit ist die Grund-
stimmung der ganzen Kömposition gekennzeichnet:
ungezügelter Übermut, wie er bei einem Bolk in den
menschenfernen Einöden des Oceans selbstverständlich
scheint und wie ihn eben nur Böcklin in so realer
Glaubwürdigkeit zu schildern versteht.

Das Bild ist entschieden minder poetisch als die
Meeresibyllen des Kllnstlers, es hat vielmehr etwas
Derbkomisches, Groteskes und geht darin selbst bis an
die äußerste Grenze des malerisch Erlaubten, aber es
ist im Sinne der Antike empfunden und durchgefllhrt,
es atmet den Geist der alten Griechen, ohne ihre
Formenwelt sklavisch nachzuahmen. Dabei ist die
Wiedergabe des Wassers, die krystallene Transparenz
der Wellen mit ihrer wechselndeu Belcuchtung so außer-
vrdcntlich wahr, daß man kühnlich behaupten kann,
cs sci niemals besseres Wasser gemalt worden. Wenn
 
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