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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 19.1884

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201

Korrespondenz aus Dresden.

202

man lange in diese sich tllrmende und senkende Flut,
in das kvchende, spritzcnde Wogengebraus blickt, fühlt
man unwillkllrlich eine Art Schwindel nnd glanbt sich
sclber auf dcn hochgehenden Wellenkännnen llber bvden-
insen Meerestiefen zu sehen.

Gern wendet sich der Blick dem benachbarten Bilde
„Frühlingsabend" zu. Hier ist alles Ruhe und stiller
Frieden. Die Chpressen nmrauschen das einsame Haus
und ringS dchnen sich sastig grllnc Weiden, von Wasser-
streifen durchzogen, bis zu dcn blauen Hvhen in äußer-
ster Ferne. Das Motiv schcint den Cascinen bei Florenz
cntlehnt. Es ist recht bedaucrlich, daß Böcktin gerade
sür dieses Bild, dessen poesievolle Schvnheit das Auge
unwiderstehlich fesselt, jenen blumigen, buntgetlipfelten
Vordergrnnd gewählt hat, welchem man auf seinen
jllngeren Schöpsungen so häufig bcgegnct nnd der uns
statt märchenhaft poetisch zu wirken, wie er vicllcicht
dem naiven inneren Angc des Kllnstlers erscheinen mag,
gerade umgekehrt aus dcr Stimmung reißt, nm uns
unsanst daran zn mahnen, daß wir nicht an den rciz-
umwobenen Ufern dcs Arno, sondern nur in Elb-
Florenz vor einem Böcklinschen Gemälde stehen. Was
soll ich nun erst von der Staffage, namentlich von
dem jungen Panr im Grase sagen? — Nein, allen
Respekt vor dem Genins eines gottbegnndcten Meisters,
aber diese Figuren sehcn nus, als ob sie von nnbe-
rufener Hand hinzugefllgt seien, so schlecht ist ihre
Zeichnung und so hart sind sic in das astige Grün
des Rasens eingefllgt. Mnn kann von einem Kllnstlcr,
der nur für sich schafft, freilich nicht verlangen, daß
cr das Nebensächliche mit gleicher Liebc und Sorgfalt
behandele, wie das ihm wichtig Scheinende, aberer darf
es auch seinerseits dem ungebetencn Publikum nicht
verübeln, wenn es iiber so schreiende Geschmacklosig-
keiten ein bescheidenes Erstannen laut werden läßt.
Jn diesem Bilde, wie kaum in einem anderen, tritt die
Sphinxnatur BöcklinS grell zn Tage: „Derwcilen des
Mundes Kuß mich entziickt, verwunden die Tatzen mich
gräßlich." — Und so wollen wir auch iiber das schlecht-
hin Unersreuliche in aller Kürze hinwegeilen zu dem
Schönen, das die Ausstellung, Gott sei Dank, in reicher
Flllle bietet.

„Odysseus bei Kalypso" ist das schwächste der zehn
Bilder. Man kann cs dem göttlichen Dulder nicht
verargen, wcnn er der reizlosen Nymphe und ihrer
ebenso reizlosen Felsenhöhle den Rücken kehrt und
hinansschaut über das blaue Meer zum schönen heimat-
lichen Jthaka. Ähuliche Gesiihlc des Mißfallens
ruft „Der Frllhling", ein buntes, unruhig fleckiges
Farbengewirr hervor, iibrigens ein verunglllckter Ver-
such des gern experimentirenden Kiinstlers, auf einer
Krcidegrundirung zn malen. Dns Bild wirkt mosaik-
urtig hart, nnd Böcklin soll dem schon jetzt ab-

bröckelnden Material dankbar sein, daß es seinen dnrch
andere Schöpfungen besser verdienten Nachruhm nicht
schmälern wird.

Das dritte der Frllhlingsbilder ist von einem
geradezn bestrickenden pvctischen Zauber und eine wahre
Perle der Ausstellung. Es gehört zn jenen Kunst-
werken, die unwillkiirlich musikalisch wirken. Man
könnte es ein Gedicht auf den Friihling nennen.
Da liegt der große Pan anf grünbemoosten Steinen
und weckt mit seiner Rohrflöte die Nymphen und
Dryaden. Weißlichcr Dunst entsteigt der tausrischen
Erde. Jungsränlichcr Frieden ist über die Felder ge-
breitet, die Natur erwacht am Frühlingsmorgen, am
Morgen des Jahres.

Der wildbewegtc „Kcntaurenkampf" ist noch von
der Miinchener Ausstellung des Jahres 1879 her in
bester Erinncrung. Mit welch unbändiger Wut dringcn
dic Halbmcnschen nuf einander ein! Nnd wie hat es
dcr Kllnstler verstanden, das Urweltliche, Tierische dcr
Leidenschaften wiederzugeben, die hier anf Tod und
Leben mit Zühnen und Hnfen kämpfen. Das sind
nicht die klassischen Kentauren dcr Gricchcn, welche nur
die äußere Zwiegestalt von Mensch und Tier gelichen
hnben, im Grunde aber doch schöne Menschen und
Griechen sind, wie die unsterblichen Götter des Olymp.
Bci Bvcklins Gestaltcn iiberwiegt entschieden das ticrische
Etement, die verwilderte, bestialische Natur der Fabel-
geschöpfe. Sie stehen den klassischen Kcntauren sicher-
lich an Schönheit nach, aber sie sind ihnen an Glaub-
würdigkeit überlegen, man könnte sie mit dem beliebten
Ansdrnck unserer Tage die histvrisch oder prähistvrisch
„echten" Kentauren nennen.

Gleich weit von der Vorstcllung der Alten mag
der „Prometheus" entfernt sein, dem aber an Groß-
artigkeit der Auffassung sich keines der ansgestellten
Gemälde vcrgleichen kann. Steile bewaldete Felsen
heben sich aus dcm tiefblauen Meer, nnersteigliche Berg-
gipfel ragcn dariiber cnipor zum wvlkigen Himmel,
gespenstig beleuchtet von einzelnen Sonnenstrahlen, —
nnd auf dcr Höhe dcs Gebirges liegt der angeschniicdete
Titan, das Haupt auf der höchsten Spitze, die Füße
meilenweit davon über Berge und Thäler gestrcckt, wie
eine riesenhafte Wolke, gleichsam die Berkörperung der
staubgeborenen, hilnnielstllrmenden Menschennatur, die
— gleich weit von Ursprung und Ziel — machtlos
gefesselt den Geier Tod erwartet.

Von den übrigen Bildern mag noch „Die Muse"
genannt werden, cine fleischgewordene tanagräische
Terrakottafigur, die auf glattpolirtem Marmorsockel in
unnahbarer Höhe dasteht, stiimm und starr vor sich
hinblickend. Tief unten dehnt sich in duftiger Ferne
das blanc Gebirg. Das Bild ist unverständlich, wenn
man nicht annehmen will, Böcklin habe die eigene
 
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