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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 20.1885

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Vom Christmarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5807#0086
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Vom Lhristmarkt.

sö9

in den Bildern, welche die volle Seite einnehnien, sind
nicht nur die Hauptsignren. svndern anch der zienilich
dunkle Hintergrund auf das sauberste ausgearbeitet
und detaillirt, wodnrch im Berein mit dem Dampse
dcü brvdelndcn Theekessels nnd dem Scheinc dcs Herd-
seucrs die Dämmerstunde vdcr der nebelige Herbstabend
naturwahr charakterisirt werden. Jedoch nicht in aklen
Zeichuungen gehen Streben nnd Gelingen in gleichem
Maße Hand in Hand; einige sind nicht srei von steifem,
ungelenkem Wesen, vder ein sremder Geist scheint plötz-
lich in die Gestalten und Phhsiognvmien eingezogen zu
scin: sv hat der staunende John in
der Erkcnnungsscene fast nichts mehr
von dem plumpen, biderben Fuhr-
inanue; man kvnnte sich beinahe
vcrsncht fiihlen, ihn fiir u tdllovv
ok 8t. 3okm's Oollegv zu halten,
wcnn sein Prvfil nicht wcit cher
dcm spanischcn als dem englischen
Typns zuneigte. Dvch svll uns
dics die Freude an den trefflichcn
Bildern, aus denen uns fast durch-
gängig ein Hauch warmer Empsin-
dung cntgegenweht, keinesfalls vcr-
knmmern. Thut doch auch die
ungewvhnte Tracht das ihre; nnd
vieles, was wir im Bilde ost nnbe-
wußt vermissen, wie die sansten und
wahrhaften Stimmen der Heim-
chen, jener mächtigen Geister, welche
die Herzen rühren und besänftigen
und siir die kleine Dot sv innig
sprechcn, kann wohl des Dichters
d'ippc, abcr nicht des Malers Pinsel
schildern. Der Kiinstler wollte viel-
leicht sclbst darauf hindeuten, als
cr nach dem Verschwinden des
Elfcnspukes den Lorbeer zu deö
Dichters Bildnis legte.

Aus den cngen Räumen des kleinstädtischen Lebcns
Altcnglands führt uns das folgende Werk hinaus in
dustige Wälder, zu Waffeuspiel und Minnesang. Jm
Borjahre überraschte uns Rudolf Baumbach durch
cin zierliches Bändchen deutscher Dichtungen, welches
sich aus dem Verlage von A. G. Liebeskind, unter
dem Titel „Abenteuer und Schwänke", gleich
seinen älteren Geschwistern in kecker Art schnell und be-
hende Bahn brach und aller Orten fröhliche Einkehr
hielt. Heute werden sie uns, von Paul Mohns
Künstlerhand reich illustrirt und mit stilvoll geschmückter
Decke, welche uach einem Einbande von anno 1544
gczeichnet wurde, von nenem auf den Weihnachtötisch
gelegt. Wie bekannt, schöpfte der Dichter seine Stoffe

16i»

hier nicht aus Eigenem, svndern cntlchntc manch
„heldenhaften Lebenslauf" und manch „vcrteufelte Ge-
schichte" Dichtcrn sriihcrer Jahrhunderte, wie dem im
10. Jahrhunderte entstandenen Mvdus Liebine die Ge-
schichte vom Schneekinde und den ursprünglich deni
Französischen entstammcnden Schwank vvm Häslein
ciner Handschrift des 13. Jahrhunderts. Banmbach
hat jedoch diese Dichtungen nicht nur den altcn
Meistern nacherzählt und ihnen das urspriinglich An-
stößige und uiigeschminkt,Derbe genvmmen, sonderu
zugleich liebliche Anmut und vollendete Fvrm ver-
liehcn, vhne ihnen ihre frische nnd
humorvolle Art zu rauben. Mohns
Zeichnungen, wclche sich dcr Nach-
dichtung ebenbürtig anschlicßcn, ha-
bcn vieles mit Ludwig Richters nnd
Hngo Beckers Manier geincin: ab-
gesehen von den klaren, cncrgischen
Konturen und dcr einfachcn nnd
volkstümlichen Haltnng dcrPersouen
würde schvn die Bcrwcrtung des
landschaftlichen Elements, dic Bc-
handlung von Baum und Strauch-
werk nnd bis zu eincm gewisscn
Grade auch dic Verwcndnng dcr
Schatten, wenn sie sich nicht sil-
hvncttenartig übcr allzu ansgcdehnte
FlächeU erstrecken, an die gcnannten
Kiinstler erinnern. Wie kein andercr
aber versteht es Mohn, uns mit
wcnig Mitteln in den Zauber cincr
Mvndnacht zu versenken, wovvn
die Bilder zu dem Schwank voui
Teufel und dem Arzle nnd zu der
rührenden Romanzc vom AngeZcug -
nis ablegen. Wir sind dnrch die
GUte der Verlagshandlung in dcu
Stand gesetzt, das letzterwähnte
Bild diesen Zeilen cinzuverlciben. Mit ähnlichcu
Lichteffekten wirkte der Künstler bereits in seinem
„Märchenstrauß". Dort vcrkörperten mächtige dunkle
Wäldcr und hochragende Ritterburgcn, mondbe-
lcuchtete vielgewundenc Straßen und ziehendc Wvlken
die echte Märchenstimmung; hier sind es, außer
Rittcrn, Mvnchen nnd fahrendem Volke, lauschige
Winkel an Hag und Rain, mit Lichtern, von Frau
Sonne durch das Gezweig auf das Thor des Burg-
hoses oder auf die Gestalt einer schöncn Schläfcrin
in altdeutschcr Tracht geworfen, welche uns der Gegen-
wart cntrücken und jenen Zeiten zuführen, in dencn
sich unsere Vorfahren an denselbcn Schwänken män-
niglich ergötzten. Und an der Hand der beiden kun-
digen Führer wird auch dem heutigen Leser die Freude
 
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