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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 21.1886

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J. Scheurenbergs Wandgemälde im Justizpalaste zu Kassel
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.5792#0152

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291

Korrespondsnz aus Frankfurt a/M.

292

vom Ende des 15. Jahrhunderts, mit einfachem falten-
reichen Gewande, weist mit der rechten Hand, die sie
warnend erhoben, einen Jiingling zurück, der von links
anstiirmend, die Hand am Dolchgriff, soeben auf einen
alten hageren Mann losfahren will, der, nach der
Jdee des Künstlers vielleicht ein Wucherer, den jungen
Fant durch verbrecherische Steigerung seiner Schulden
zur Verzweiflung gebracht. Mit der Linken hält die
Frau einen Zügel als das Symbol der von ihr re-
präsentirten Tugend empor, während sie mit wunder-
voll mildem, fast träumerischem Blick den verfiihrten
Jllngling anblickt. Man weiß nicht, was man niehr
bewundern soll, diese edle Gestalt voll anmntsvoller
Schönheit, oder die prachtvoll charakteristischen Figuren
des Alten und seines Opfers, welche, in die sattesten
Farben getaucht, einen vortrefflichen Gegensatz zu der
gedämpften Weichheit im Ton der weiblichen Figur
bilden. Der Borgang spielt sich vor einer Renaissance-
Nische ab, in welcher die Mäßigung steht und neben
welcher links und rechts zwei Treppen auswarts zu
einem nach vorn offenen Gemach führen, in welchem
Gruppen von Männern und Frauen die Unmäßigkeit
in Speise und Trank darstellen, als Parallele zu dem
iin Vordergrunde geschilderten maßlosen Zorn.

Anf der gegenüberliegenden Wand zunächst dem
Fenster solgt die „Weisheit". Sie sitzt anf einem Lehr-
stuhl mit hoher Rückwand, in dunkelviolettem Gewande,
das herunterfallende graue Haar mit einem schwarzen
Tuche bedeckt, eine alte Frau, das merkwürdig durch-
geistigte Ange durchdringend auf den Beschauer geheftet.
Jhre Linke hält ein großes Buch gefaßt, das sie auf
den Schoß stützt; die Rechte hebt sie lehrend empor.
Links vor ihr zwei Jünglinge, von denen der cine
sitzend ihre Lehren aufschreibt, der andere stehend mit
andächtiger Miene zu ihr emporlauscht. Rechts ein
sinnend vor sich hinblickender älterer Mann und ein
junges Weib in hellgrünem Gewand, blauer gold-
randiger Haube und weißem Mantel. Sie hält dic
gefalteten Hände im Schoß und blickt gleichfalls zur
erhabenen Lehrerin enipor — eine schlln gegliederte
Gruppe, Vvn reicher Farbe gesättigt. Grüne Vvrhänge ^
trennen sie vom Hintergrund, der auf einem Strome
Sebastian Brants Narrenschiff zeigt, das, schon über-
voll, von vielen noch hinzueilenden Thoren erstrebt wird.

Am anderen Ende dieser Wand schließt der Cyklns
der vier Kardinaltugenden ab mit der „Gerechtigkeit".
Unter einem rotgemusterten Goldbrokatbaldachin thront
sie inmitten des Bildes, jugendlichen, aber ernsten, edlen
Antlitzes, in weißem goldumsäumten Kleide und gleichem
Mantel, das lang hinabwallende dunkelblonde Haar
mit goldener Krone geschmückt. Sie ist eben im Be-
griff, mit hochgehaltencn Armen den Stab über einen
rechts vornstehenden Delinguenten zu brechen, dem die

Sünde auf der Stirn geschrieben steht und der mit
schlotternden Knieen und auf dem Rücken gefesselten
Armen zu ihr emporstarrt, während links ein Weib
kniet mit weit ausgestreckten, angstvoll ringenden Händen,
das weinende Antlitz voll des tiefsten Jammers auf
den Mörder ihr gegenüber gerichtet. Es ist seine Mutter,
die noch in letzter Minute versucht, das Mitleid der
unerbittlich waltenden Gerechtigkeit für ihren unglück-
lichen, verlorenen Sohn wachzurufen. Zwischen beiden
am Boden erblicken wir ein blutiges Messer und einen
Beutel, dem der Sündenlohn entfallen ist, womit der
Berbrecher als gedungener Mörder gekennzeichnet er-
scheint. Der Raum, in dem sich diese Handlung ab-
spielt, wird begrenzt durch ein von Säulen und Pfeilern
getragenes Gewölbe, welches einen Durchblick frei läßt
auf eine öde, felsige Landschaft, die von Nebelstreifen
hier und da durchzogen und von einigen scharfen Früh-
rotlichtern schwach erhellt, auf steiniger Anhllhe den
Galgen und das Rad zeigt, von krächzenden Raben
umkreist.

Es erübrigt uns nur noch zu sagen, daß die vier
Wandgemälde durchweg den Stempel hoher künstle-
rischer Vollendung tragen und von großer monumen-
taler Wirkung sind. Es frcut uns zu sehen, wie
Scheurenberg, den wir schon seit einer Reihe von
Jahren in seinen trefflichen Bildnissen nnd reizenden
Genresachen kannten, sich nun auch mit so bedeutendem
Erfolge in der Monumentalmalerei bewährt hat. Dem
Künstler wie der Stadt Kassel und insbesondere dem
Justizgebäude können wir nur Glück wünschen zu dem
ausgezeichneten Bilderschmuck und legen es jedein Knnst-
sreunde warm ans Herz, sich den Genuß desselben nicht
entgehen zu laffen.

Aorrespondenz.

Frankfurt a/M., Mitte Januar.

— Unter den Einsendungen auswärtigcr Künstler
ragen zwei größere italienische Landschaften Oswald
Achenbachs hervor. Der „Blick aus die Jnseln
Nisida, Jschia und Procida" von einer hochgelegenen
Straße aus über die sonnenwarme Niederung und llber
das Meer hinweg ist von feffelnder Wahrheit. Die
volle Glut der nachmittägigen Sonne, wie sie die
Ferne mit dnfligen Schwaden leicht uinspannt, wie
sie das saftige Grün der Gärten aufdeckt und grell
aufleuchtet auf hellen Häusergruppen und staubiger
Straße — das alles ist mit sicherer Hand in dem
leuchtkräftigen Bilde zu harmonisch-warmer Wirkung
zusammengefaßt. Noch nnmiltelbarer indcffen wußte
der DUffelvorfer Meister die herbe, gegensatzsuchende
Naturschönheit der Mittelmeerländer in dem zweiten
Bildc zum Ausdruck zu bringen. Aus einer von
 
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