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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 21.1886

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Lipperheide's Holzschnittwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.5792#0224

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435

Lipperheide's Holzschnittwerk.

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Holzschnitte zeigen, auch in Deutschland allgemein ver-
breitet sehen. Wenn das Bedürfnis nach Schnelligkeit
der Produktion und nach blendendem Effekt in erster
Linie befriedigt werden soll, dann mag dies gelten.
Für den Unternehmer einer großen illustrirten Zeitung
ist der Ruf nach „raschem Schnitt" und „leichtem
Druck" ein ganz natürlicher. Daß aber dem deutschen
Holzschnitt mit der Publikativn solcher „Muster", wie
es die meisten Blätter der Lipperheide'schen Sammlung
sind, auf die Beine geholfen werden könne, das be-
zweiseln wir ganz entschieden.

Der Herausgeber ist über die Ursachen der Män-
gel unserer Holzschneidekunst durchaus nicht im Un-
klarcn. Er brauchte nur dic Wahrheiten zu verwirk-
lichen, die er selbst in der „Einleitung" zu seiner
Publikation ausspricht: damit wäre dem deutschen
Holzschnitt besser gehvlfen als durch die Publikation
Vvn ausländischen Clichös. Herr Lipperheide schreibt
dort: „Jn Deutschland ist ein Mangel an guten
Zeichnern nicht zn verkennen; jeder Künstler verlegt
sich so schleunig als mvglich aufs Malen, und so wird
von sehr vielen Malcrn das Zeichnen nicht besonders
goutirt." Ein von ihm zu Rat gezogener Maler siigt
hinzu: „Die Hauptsünder sind die Buchhändler und
die Fkünstler selbst: die Buchhändler, weil sie mit Vor-
liebe die nachgerade mehr als langweilig werdenden
Holzschnitte nach gewissen süßen Bildern bringen:
M'ntterglück', ,Vatcrfrcndensi — nur alles rccht
hübsch fürs deutsche Gemüt! — Dann kommen aber
gleich die Maler selbst. Unsere Künstler verhalten
sich der Jllustration gegenüber zu Passiv. Es
ist bekannt, wie ungeschickt und schwerfällig sich der
deutsche Maler anstellt, wenn er etwas zeichnen soll."
— „Jn Frankreich ist die kllnstlerische Entwickelung
eine ganz andere; dort legt man von vornherein mehr
Wert auf das Zeichnen" u. s. w.

Jn dicsen Sätzen ist die Lage der Dinge treffend
gekennzeichnet. Wir stimmen mit ihnen völlig überein.
ALer auf welchem Wege vermögen wir den Übelstän-
den abzuhelfen? Nach unserer Überzengung kann es
darauf nur eine Antwort geben: durch Emanzipation
des Holzschnittes von den Buchhändlern und Buch-
händlerstädten und durch Einrichtung tüchtiger Zeichen-
schulen, durch Stärknng des zeichnerischen Elementes
in der Bildung unserer Künstler! Das ist die ein-
sache Schlußfolgerung aus den von Herrn Lipperheide
selbst konstatirten Thatsachen. Der Weg dagegen, den
er mit seiner Publikation eingeschlagen hat, vas Hin-
weisen auf die breite, flotte Manier der Engländer
und Amerikaner, führt uns nur noch tiefer in die
Misöre hinein. Das Breite, Flolte, Blalerische ist das
Ende, das Ergebnis von reicher Begabung und langer
Übung im strengen, feinen, treuen Nachahmen der

Natur. Diese Übung kann nur im Zeichnen bestehen.
Beweis dasür sind alle großen Künstler alter und
neuer Zeit. Selbst ein Makart, der Flotteste der
Flotten, hat zwanzig Jahre lang unablässig gezeichnet,
fein, zart, empfindnngsvoll die Natur mit Stist und
Feder nachgebildet, bis er mit den unermeßlichen Ge-
dächtnisschätzen so frei und verschwenderisch zu schalten
vermochte, wie wir es an ihm bewnnderten. Und
vollends Menzel! Man vergleiche nur die Holzschnitte,
die das Lipperheide'sche Werk von ihm enthält, mit
denen der Engländer und Amerikaner, z. B. mit den
Holzschnitten nach den Grisaillen des gefeierten Wood-
ville, und man wird sinden, daß sie ihnen denn doch
noch überlegen sind, überlegen durch nichts anderes
als durch die meisterhafte Zeichnung! Und die weni-
gen ganz breit und malerisch behandelten Schnitte, die
sich mit den Menzelschen auf gleicher Höhe befindcn,
wie z. B. der aus „Harper's Weekly" entlehnte „Ge-
heimnisvolle Gast" nach H. Pyle (geschnitten von
Lagarde), ferner niehrere französische Holzschnitte und
die prachtvollen Bildnisse von Klinkicht (dem nach unserer
Ansicht hervorragendsten Porträtholzschneider unserer
Zeit) bernhen auf bewnßt zeichnerischer Durchbildung.

Herr Lipperheide meint: „Der Zeichncr und Maler
ist persönlich wohl in den seltensten Fällen in der Lage,
anf den Uylographen bildend einzuwirken. Von den
Holzschneideschulen an unseren Akademien und den Pro-
fessoren der Holzschneidekunst wird schwerlich elwas zu
erwarten sein. Überhaupt wird der Staat nichts thun»
ebensowenig wie in anderen Ländern."

Wir sind in allen diesen Punkten der gerade ent-
gegengesetzten Überzeugung. Nur der Zeichner und
Maler vermag bildend auf den ikylographen einzu-
wirken und hat in alter wie neuer Zeit auf ihn bil-
dend und bahnbrechend eingewirkt. Dürer und Holbein,
Menzel und Richter beweisen das zur Genüge. Und
wenn man neben der Einwirkung bedeutender Jndi-
vidualitäten sich ein konstantes erzieherisch wirkendes
Element schaffen will, so kann dies nur in tüchtig ge-
leiteten Zeichenschulen und in Fachschulen der Holz-
schneideknnst bestehen, welche am besten mit den Aka-
demien in Verbindung zu bringen sind. Man versorge
dieselben dann nur auch mit den nötigen Aufträgen!
Jn Berlin und an anderen Orten wurden solche Professu-
ren für Holzschneidekunst bekanntlich schon vor Dezennien
errichtet, in Wien ist man unlängst diefem Beispiele
gefolgt. Von einem „Nichtsthun" des Staates kann
also wohl nicht die Rede sein. Ja, selbst wenn die
bestehenden Tylographenschulen bisher nicht die erhofften
Früchte getragen hätten, spräche das noch keineswegs
gegen ihre Notwendigkeit. Es kommt eben darauf an,
daß das Zeichnen überhaupt an unseren Kunstschulen
und Akademien ernster und ausgiebiger gepflegt werde.
 
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