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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 22.1887

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243

Kunstlitteratur.

244

sich doch nicht leugnen, daß der Standpunkt des Wiener
Kunstgelehrten nber eine allerdings scharf eindringende
formale Betrachtung sich nicht erhebt, und daß es ihm
nanientlich nicht gegeben war zu den letzten Gründen,
auf welchen die Kunst Dürers ruht, vorzudringen.
Vischer spürt den tiefsten Quellen der Dürerschen Kunst
nach und sucht dieselben zunächst da auf, wo sie in
der Gesaintkunst seiner Zeit ihre Wurzeln hat. Hier
finden sich feine und tief eindringende Bemerkungen
über die Richtung der Phantasie jener Zeit, über das
„Streben nach optischer Polyphonie", Uber den Hang zu
abstraktem Umrißzeichnen, Uber den Einfluß der Holz-
technik und der Goldschmiedekunst auf die gesamte Ent-
wicketung der bildenden Künste. Hier findcn sich

besonders auch treffende Bemerkungen über die Ein-
wirkung der Goldschmiedetechnik auf die immer krauser
werdende spätgotische Architektur. Wertvoll ist sodann,
wie Vischer in den Schranken und Mängeln unserer
damaligen Kunst auch die positiven Seiten hervorzu-
heben weiß. Es kann hier nicht meine Aufgabe sein,
allem Einzelnen nachzugehen, Zustimmung oder auch
abweichende Ansicht darzulegen; aber ein Bedenken
muß ich anssprechen, weil auch die Mehrzahl der übri-
gen Abhandlungen es hervorruft. Es ist die durch

Crowe und Cavalcaselle schon so maßlos betriebene,
bei Vischer aber fast noch ausschweifender auftretende
Jagd nach äußeren Ähnlichkeiten. Daß Dürer in
seiner Jugend außer den Schuleinflüssen Wohlgemuts
noch stärkere Eindrücke von Schongauer empfing, ist
nicht nur durch sein frühestes Selbstporträt, nament-
lich aber durch die Madonna von 1485, sondern auch
durch andere Werke seiner Frühzeit aufs schlagendste
bewiesen. Nun soll Dürer aber auch von dem soge-
nannten Amsterdamer Meister nnd von einer Menge
anderer Künstler direkte Einflüsse empfangen haben.
Sodann in dem Zeitpunkt, wo die italienische Kunst
auf ihn einwirkt und wir die Spuren Bellini's, Man-
tegna's, Verrochio's in seinen Arbeiten erkennen, will
Vischer auch noch die Einwirkungen einer Anzahl
anderer italienischer KUnstler, namentlich der Ferraresen,
Bolognesen, eines Francia, Costa, Tura, Cossa u. s. w-
bei ihm wittern. Etwas ähnliches begegnet uns auch
in dem Aufsatz über Nafael, wo kaum irgend ein
Künstler der früheren Zeit übergangen wird, der nicht
in Rasaels Werken nachzuweisen wäre. Um die Gruppe
der Jünglinge auf der linken Seite der Disputa zu
erklären, wird auf das bekanute Nelief Dvnatcllo's im
Santo zu Padua hingewiesen und daraus gefolgert,
Rafael müsse in Padua gewesen sein. Als ob er
dieses Motiv nicht jeden Tag im Leben hätte beob-
achten können. So wird auch bei Gelegenheit des
Sebaldusgrabes an ein halbes Dutzend italienischcr ^
Künstler erinnert, so daß für Peter Bischer kauni etwas

! Eigenes übrig bleiben dürfte. Ebenso wird später in
dem übrigens wiederum sehr gehaltvollen Aufsatz zur
Geschichte der bayerischen Kunst, um ihre Eigentüm-
lichkeiten zu erklären, nicht weniger als ein Dutzend
italienischer und anderthalb Dutzend deutscher Künstler
herangezogen. Man muß vor dieser Art, die Kunst-
werke nach dem Vorgange von Crowe und Caval-
caselle in ein buntes Gewirr äußerer Beziehungen
aufzulösen, wobei das originale Prachtgewand eines
Meisters schließlich aus lauter fremden Flicken zu-
sammengestückelt wird, aufs entschiedenste warnen. Wir
kommen dadurch zu einer Mikrologie und Mikromanie,
welche Vischer selbst, auf S. 320, mit Recht aufs
schärsste tadelt. Was soll man z. B. zu der Ver-
gleichung von Rafaels heiligem Georg (S. 604) mit
der Darstellung desselben Gegenstandes im Breviarium
Grimani sagen, wo Vischer eine „höchst auffallenve
llbereiiistimmung" findet, dann aber so ehrlich ist, in
8H2 Zeilen so viele Abweichungen anzuführen, daß
nichtS Gleiches bleibt als der Gegenstand. Wenn man
nun einen mit ofsenem Blick siir alles Künstlerische
ganz entschieden ausgestatteten Forscher sich so in cine
äußerliche Auffassung verirren sieht, während er an
so vielen Stellen eine selbständige Auffassung des
wesentlichen Kerngehalts der Kunstschvpfungen be-
thütigt, so ist man nicht bloß berechtigt, sondern ver-
pflichtet, eine Warnung auszusprechen.

Jn dem Aufsatz über Michel Wohlgemut weist
Vischer die vielfach wunderliche Stellung, welche Thau-
sing diesem Meister gegeben hat, niit Recht zurück und
betont es aufs schärsste, daß wir Wohlgemut als einen
Künstler zu betrachten haben, dessen Arbeiten durchaus
im Anschauungskreise der nordischen Kunst des 15. Jahr-
hunderts beschlossen sind und den man nicht mit
Thausing zu einem Bahnbrecher der Renaissance in
Deutschland stempeln darf. Vischer bringt in dankens-
werter Weise ein reiches Material sür die Beurteilung
des handfertigen Meisters und seiner Schule bei, ver-
kennt aber nicht, daß für eine erschöpfende Darlegung
seiner Kunst das Material noch nicht ausreichend ge-
sichtet sei. Er kvmmt sodann auf eine der schwierigsten
und wichtigsten, durch Thausing in Fluß gebrachtcn
Frageu, diejenige nach den mit bezeichneten Stichen
und dem Berhältnis Dürers zu denselben. Vischer
tritt, wie mir scheint, mit vollem Recht den Aus-
führungen Thausings entgegen, die offenbar von einer
Verkennung des eigentlichen Wescns Wohlgemuts nicht
frei zu sprechen sind. Daß untcr dem Zeichen IV
sicherlich drei verschiedene Meister sich verstecken, ist
auch mir bei wiederholter Betrachtung unzweifelhaft
geworden; ebenso gewiß muß ich sagen, daß ich keine
Spur von Wohlgemnt darin zu entdecken vermochte.
Diirer knm, wie so viele andere in jener Zeit, von
 
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