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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 22.1887

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Muther, Richard: Die Wiedergeburt der Holbeinschen Madonna
DOI Artikel:
Brun, Carl: Die schweizerische Kunstausstellung von 1887
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https://doi.org/10.11588/diglit.4107#0364

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Die schweizerische Kunstausstellung von 1887.

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staurator nicht zu denken sei", stellte Bode das nble
Prognostikon, daß „eine noch so ausgezeichnete Be-
seitignng derÜbermalung eine Rnine aufdecken würde."
Man entschloß sich daher in Darmstadt zu dem
schweren Schritte erst, als ganz neuerdings —- aus
nicht näher zn ervrterndem Grunde — der Firnis
trüb zu werden und sich mit haßlichen weißen Flecken
zu überziehen anfing, wodurch z. B. die noch in Dres-
den deutlich wahrnehmbaren Pentimenti ziemlich un-
sichtbar geworden waren. Der Darmstädter Galerie-
inspektor Hofmann-Zeitz erwarb sich das Verdienst,
daß er das Kleinod wohlbewacht nach München brachte
und es unserm hochverdienten, tausendfach bewährten
Meister Hauser übergab. Dieser nahm die künstlich
gefärbte Firnisdecke ab, beseitigte die Übermalungen,
und ein wahres Wunder enthüllte sich vor unsern
Augen: das Bild steht heute neugeboren vor uns, in
der ganzen hellen klaren Farbenpracht, die ihm der
große Meister vor fast vier Jahrhunderten verliehen,
so frisch und lebensvoll, als wäre eben erst der letzte
Pinselstrich daran geschehen. Über alles Erwarten
hat sich das von den Knnsthistorikern auf dem Dres-
dener Kongresse gefällte Urteil bestätigt, so daß nun-
mehr selbst die Künstler, welche damals die bekannte
Erklürnng unterzeichneten, sich bekehren dürften. Wir
haben nicht mehr nötig, durch mühevolle Vergleichung
mit dem Dresdener Exemplar die Schönheiten des
Holbeinschen Werkes zu erraten, das Darmstädter
steht in jeder Beziehung als weit, weit überlegenes
Meisterwerk da; zerstört ist die Annahme, daß der
Dresdener Kopist einen Holbein „veredelt" habe; es
zeigt sich im Gegenteil, daß die Schönheiten seines
Werkes nnr ein schwacher Abglanz des Originales
sind. Für die Spezialforschung ist ferner von Jnteresse,
daß außer den bereits bekannten Pentimenti noch
zwei weitere zum Vorschein kamen, welche auch die
Kopfbedeckung der jüngeren Frau und das Haar der
Tochter entsprechend den Baseler Zeichnungen angelegt
zeigen. Eine genauere technische und kunstkritische
Würdigung des Werkes, die in ihrem ganzen Um-
fange erst jetzt möglich ist, möge einer späteren Be-
sprechung vorbehalten bleiben. Für heute geziemt es
uns nnr noch, unserm verehrten Meister Hauser, der
nns dieses Kleinod deutscher Kunst nen geschenkt hat,
im Namen aller Kunstfreunde unsern herzlichsten,
wärmsten Dank zn sagen.

R. Muther.

Die schweizerische Aunstausstellung von j887.

Keit 1875 habe ich, mit Ausnahme der Jahre
1878 nnd 1884, zum Teil in dieser Zeitschrift, zum
Teil in der schweizerischen Bauzeitnng über nnsere
Ausstellungen Bericht erstattet und mich der undank-

baren Anfgabe unterzogen, das Fn- und das Aus-
land auf die Fortentwickelung der bildenden Künste
in der Schweiz aufmerksam zu machen. Es sei hier-
mit festgestellt, daß in den zwölf letztverflossenen Jahren
die Summe der Leistungen so ziemlich dieselbe ge-
blieben ist. Von Fortschritt kann kanm die Rede sein,
von eigentlichem Rückschritt zwar ebenso wenig. Stets
mnßte man in den Turnusausstellungen nach wirklich
guten Gemälden mit der Laterne des Diogenes suchen,
und nicht erst seit heute geht die Klage, daß die Kunst
bei uns des nationalen Gepräges bar sei. Jn der
That scheinen Alexander Calame und seiue Schüler
die letzten spezifisch schweizerischen Maler gewesen
! 5» sein.

Charakteristisch für die diesjährige Ausstellung ist
die häufige Vermischuug der verschiedenen Gattungen.
Hier sehen wir Historienbilder, die gradezu so gut
Genregemälde sein könnten, dort Porträts, welche an
das Genrehafte streifen. Der „Zwingli ini Familien-
kreise" von Tobler giebt wohl klar nnd deutlich ein
Zeitbild, aber keinen hervorstechenden Moment aus
dem Leben des großen Reformators wieder. Wir
haben hier einfach eine deutsche Familienscene aus dem
16. Jahrhundert vor uns; um Gewißheit darüber zu
erlangen, wer die Beteiligten eigentlich sind, muß man
! zuerst die lange, dem Werke beigegebene Erklärung
des Künstlers nachlesen. Der Beschauer hvrt die
Botschaft, daß jener Mann oben am Tisch der Held
von Kappel, das Weib neben ihm seine liebenswür-
dige und geistreiche Gattin Anna Reinhard ist, allein
ihm fehlt der Glaube. Das Jndividuelle der ge-
schichtlicheu Persönlichkeit tritt nicht genügend in die
Erscheinuug. Vor allem überzeugt uns die Ähulich-
keit Zwinglis nicht. Es will uns dünken, Tobler
habe aus falschen Quellen geschöpft, die silberue, vor
1640 entstandene Medaille von Hans Jakob Stampfer,
die uns allein die Züge des Mannes anthentisch wieder-
giebt, nicht zu Rate gezogen. Jeder, der sich mit
Zwingli beschäftigt, hat auf sie als auf sein ältestes
Bildnis zurückzugreifeu. Und wenn nicht einmal die
Hauptfiguren uns einen bestimmten persönlicheu Ein-
druck machen, um wie viel wcniger werden dies die
Nebenfiguren thun. Dieselben sind als historische
Charaktere nicht bedeutend genug, um uns dauerud
zu fesseln; was sie waren, kann uns uur die Geschichte,
nicht der Piusel des Malers vercinschaulicheu. Als
anouymes Familienbild aus der Zeit der Renaissauce
würe Toblers Gemälde, abgesehen vou der etwas
mangelhaften Luftperspektive, unaufechtbar, als Histo-
rienbild ist es ein Zwitterding, das den Ansprücheu
der Kritik nicht genügt.

Halb Portrüt, halb Genrestück ist das „Spiegel
gruß" genannte Bildchen von Stückelberg. Ein
 
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