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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 24.1889

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Die Veräußerung von Hamilton-Handschriften
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.6239#0235

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451

Bücherschau.

452

helleres Licht gestellt wird und ihr Vortritt vor der karo-
lingischen Kunst abermals einen Beweistitel empfängt.
Wie das Evangeliarinm wird wahrscheinlich auch der
reich illustrirte Physiologus aus dem 12. Jahr-
hundert, welchen ein Dechant von Lincoln der Bed-
forder Kirche schenkte, nach England zurückwanderu.
Jn gleicher Weise ist das wahrscheinliche Schicksal der
sranzösischen und burgundischen illustrirten Handschriften
vorauszusehen. Sie werden in die Hände französi-
scher Kunstfreunde wandern oder den Louvreschätzen
eiuverleibt werden. Denn wunderbar wäre es, wenn
sich Frankreich den Wiedergewinn so glänzender Denk-
mäler entgehen ließe. Wir heben aus der reichen
Gruppe französischer illuminirter Handschriften nur den
Boccaccio-Kodex: los illu8trs8 inalbeursux, und den
^uZu8tiuu8, cko eivitats ckei, beide für König Karl V.
geschrieben und von einem burgundischen Künstler ge-
schmückt,*) und dann das Olkieiuiu Nariaz VirAinis und
die Übersetzung des vioäor 8ioulu8 hervor, in welchen
die Miniaturen uustreitig auf keinen geringeren als
Geofroy Tory zurückgehen. Schwer widersteht mau
der Bersuchung, auf die Leistungen der vlämischen
Schule genauer einzugehen und die Rechtstitel Rogers
van der Weyden und Gerard Davids auf einzelne
Miniaturen zu prüfen. Aber auch die deutsche Kunst
erfreut sich unter den 91 zur Veräußerung angesetzten
Handschriften einer guten Vertretung.

Auf folgende Werke sei die Aufmerksamkeit deut-
scher Kunstfreunde nachdrücklich gelenkt: Der mit 116
Miniaturen geschmückte „Welsche Gast" von Thomasin
von Zerclaere (Nr. 88) befand sich in der Bücher-
sammluug des Kaiser Max und trägt sein und seiner
Gemaylin, Maria von Burgund, Wappen. Das 1496
von Matthäus v. Rehec geschriebeneCancionale (Nr. 42)
ist nach dem Bildnisse des Kurfürsten Johann Cicero
und dem Hohenzollerschen Wappen zu schließen, ur-
sprünglich im Besitze des Brandenburger Fürsten-
hauses gewesen. Niederdeutschen Ursprunges ist ein
Missale ans dem 15. Jahrhundert (Nr. 39); anf Kölu
weist ein Breviarium aus dem Jahre 1480 hin (Nr. 28).
Der Wunsch ist gewiß nicht nnbescheiden, daß wenig-
stens diese Handschriftcn nnserem Lande erhalten
blieben. Schwer unterdrücken wir die Begehrlichkeit
uach dem Wiedererwerb einzelner livrss ä'llsnrss.
Der burgundische Ornamentenstil ist bei uns noch
lange nicht so bekannt, wie er nach seiner liebens-
würdigen Natürlichkeit und frischen Lebensfülle ver-

*) Der zweite Band des ^.uxustinus ist ein halbes
Jahrhundert später illustrirt worden. Überans lehrreich ist
der Vergleich der Miniaturen im 1. und 2. Bande, wie mit
dem Pariser Codex (tdnlls OaiAnisres 1379), welcher gleich-
zeitig mit dem ersten Bande (von derselben Hand?) des
Hamiltoncodex illuminirt wurde.

diente. Hier wäre für unsere kunstgewerbliche Samm-
lungen und Schulen eine vortreffliche, schwerlich
bald wiederkehrende Gelegenheit, die schönsten Vor-
bilder zu erwerben, um sie unseren Kalligraphen und
Ornamentisten nutzbar zn machen.

.4. 8.

Bücherschau.

Wenn diese Zeilen gedruckt vorliegen werden, dürfte die
Fastenzeit bereits lange verstrichen sein. Die passendste Ge-
legenheit, Predigten zu haltcn, ist also versäumt. Frenndliche
Miahnungen und ernste Warnungen dürsten aber vielleicht
auch jetzt noch gehvrt werden. Anlaß zu solchen bieten
mehrere vor kurzem erschienene Schristen, welche das Da-
sein einer Doppelströmung in der neuesten kunsthistorischen
Litteratur beknnden. Es wird die Anffassung der geschicht-
lichen Thatsachen von einer schrossen Tendenz beherrscht,
jedes Ereignis in einem künstlichen Lichte betrachtet; es wird
in anderen Fällen die alte Methode der Forschung als eine
lüstige Fessel empfunden, welche um jeden Preis gesprengt
werden muß, um den Offenbarungen des Genies sreien Laus
zu lassen. Eine subjektive Richtung, der Ausfluß kirchlicher
Parteistellung oder individueller Ungebundenheit, macht sich
einseitig geltend und droht die mühsam errnngene wissen-
schastliche Würde der Kunstgeschichte zu schädigen.

Seit einiger Zeit bemüht man sich eifrig, auch in ge-
lehrten Kreisen eine scharfe Trennung nach kirchlicben Be-
kenntnissen einzubürgern. Wir waren der Meinung. datz
gerade in der wissenschaftlichen Welt alle Parteiunterscksiede
dem gemeinsamen Ziele, der Erforschung der reinen Äahr-
heit untergeordnet werden müssen und auch untergeordnet
werden können. Jnsbesondere auf dem Gebiete der Archäo-
logie und Kunstgeschichte hat die ehrliche Bundesgenossen-
schaft von Männern, welche vielleicht sonst im Leben einander
seindlich gegenüberstehen, die besten Früchte getragen.

Es war hier nicht Sitte, nach dem Bekenntnis zu sragen
oder wohl gar das Ürteil über die wissenschastliche Bedeu-
tung eines Mannes von seiner Stellung zur Kirche und
Staatsregierung abhängig zu machen. Am weniqsten be-
sitzen katholische Kreise einen tristigen Grund, sich über
! die absichtliche Geringschätzung ihrer Kirche zu beklagen.
Wir könnten eine Reihe katholischer Gelehrten, treuer Söhne
ihrerKirche anführeu, deren wissenschaftliches Verdienst keines
wegs nur bei ihren Glaubensgenossen Anerkennung findet,
welche auch unter protestantischen Fachgenossen warme Ver-
ehrer besitzen. Oder erfreut sich nicht, um ein ganz nahe
liegendes Beispiel anzuführen, die vom Domkapitular
Schnütgen in Köln gut geleitete, von Fr. X. Kraus in
Freiburg und vr. Schneider in Mainz trefflich unterstützte
„Zeitschrift sür christliche Kunst" der Teilnahwe
aller deutschen Kunstfreunde? Wir wissen gar wohl, dav
manche kunsthistorische Aufgabe von Männern, welche de>n
alten kirchlichen Leben nahe stehen, am raschesten gelöst
wurde, gerade so wie einzelne nationale Züge von dcn An-
gehörigen dieser Nationalität richtiger verstanden und erklärt
werden. Daß gegenwärtig, nachdem die gemeinsame Arben
im Dienste der Wissenschaft segensreich gewirkt hat, eine
schrosfe Spaltung der Kräfte empsohlen und die Kunst-
geschichte in den Dienst einer kirchlichen Partei gestellt wird,
bleibt daher zu beklagen, ist aber nach dem Gange, welche»
bei uns die Dinge genommen haben, nicht zu ändern. So
mag es denn dabei bleiben. Wir müssen uns fvrtan »»>
einer„katholische»Kunstgeschichtschreibung" auseinandersetze»,
welche von folgendemGründsatze ausgeht: „Die Kunst, wenig-
stens die chrtstliche, ist so sehr mit der katholischen Kircye
verwachsen, daß eine den Katholiken besriedigende Geschichts
derselben nur vom katholischen Standpunkte aus betrachtet
geschildert werden kann."

Wir wollen über die Wahrheit dieses Fahnenspruchev
nicht streiten, nur an einem Rechte unbedingt festhalten: W>t
werden die Ladung, welche unter einer kirchlichen Partei-
flagge fährt, stets auf ihren wissenschaftlichen Äert gena»
untersuchen. Die beiden „Erstlinge katholischer Kunstgo-
schichtschreibung"sind doch einezu dürftige Ware. Der Glaube,
 
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