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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 1.1889/​90

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Necker, Moritz: Der Städtebau nach künstlerischen Grundsätzen
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https://doi.org/10.11588/diglit.3772#0219

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE.

Ankündigungsblatt des Verbandes der deutschen Kunstgewerbevereine,

HEKAUSGEBER:

CARL VON LÜTZOW und ARTHUR PABST

WIEN
Heugasse 58.

KÖLN

Kaiser-Wilhelmsring 24..

Verlag von E. A. SEEMANN in LEIPZIG, Gartenstr. 15. Berlin: W. H. KÜHL, Jägerstr. 73.

Neue Folge. I. Jahrgang.

1889/90.

Nr. 27. 29. Mai.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur „Zeitschrift für bildende Kunst" und zum „Kunstgewerbeblatt" monatlich dreimal, in den
Sommermonaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der „Zeit-
schrift für bildende Kunst" erhalten die Kunstchronik gratis. — Inserate, ä 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Ver-
lagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, ßud. Mosse u. s. w. an.

DER STÄDTEBAU
NACH KÜNSTLERISCHEN GRUNDSÄTZEN.

Es dürfte sich wohl sehr selten der Fall ereig-
nen, dass die Rezension eines neuen Buches von der
Wirkung, die es im Publikum ausgeübt hat, über-
holt worden ist: gewöhnlich kommt der Rezensent
noch immer zeitig genug, um die Bedeutung einer
neuen litterarischen Erscheinung seinen verehrten
Lesern auseinanderzusetzen. Bücher, die ihr Publi-
kum im Sturm erobern, sind gar seltene Ereignisse.
Bücher, die nach der ersten Lektüre gleich über-
zeugend und wahrhaft einschneidend auf die Praxis
wirken, sind noch seltener. Ein solches Buch ist
das vorliegende von Camillo Sitte.*) Kaum ein Jahr
ist es her, dass es ausgegeben wurde, das Vorwort
ist datirt vom 7. Mai 1889; es stellt sich einem
herrschenden Systeme radikal entgegen, und schon
liegt eine Reihe von Zeugnissen dafür vor, dass es
die berufensten Fachmänner für sich gewonnen hat,
so verblüffend zunächst die letzten Folgerungen Sitte's
erscheinen, wenn man sie, ohne ihren grossen syste-
matischen Hintergrund zu kennen, vernimmt. In
mehreren Städten sowohl Deutschlands als Öster-
reichs sind teils festgesetzte Pläne für neue Stadtteile
auf Sitte's neue Lehren hin verworfen und ihnen
gemäss umgearbeitet worden, wie mLtt.dwigshafena.Rh.
und in Altona; teils sind die neuen Pläne gleich von
vornherein nach Sitte's Grundsätzen verfasst worden,

*) Camillo Sitte, Der Städtebau- nach seinen künstleri-
schen Grundsätzen. Ein Beitrag zur Lösung modernster
Fragen der Architektur und monumentalen Plastik unter be-
sonderer Beziehung auf Wien. Mit 4 Heliogravüren und
109 Illustrationen und Detailplänen. Wien, 1889. Verlag von
Carl Graeser. 8.

wie Karl Henrici's preisgekrönter „Konkurrenzentwurf
zur nordwestlichen Stadterweiterung von Dessau"
(Aachen, C. Mayer's Verlag 1890); teils ist Sitte
selbst mit dem Entwurf neuer Stadterweiterungspläne
betraut worden, und zwar von Olmütz; Brunn und
Linz suchten seinen Rat. Weder Lokalpatriotismus
noch Reklame konnten bei diesen Erfolgen mitge-
wirkt haben: Sitte's Ideen haben ihre Bekenner ge-
funden bloss durch die Kraft allein, die ihnen inne-
wohnt, durch die schlichte Grösse seiner begeisterten
Darstellung, durch die geniale Einfachheit, mit der
sie dargestellt sind. In der kurzen Zeit des einen
Jahres hat Sitte's „Städtebau" schon seine Geschichte
und demgemäss wird aus dem Rezensenten ein Re-
ferent, um nicht das unbescheidene Wort Historiker
zu gebrauchen.

Wie sich einem geistreichen Manne eine Einzel-
frage unter der Hand zu grossen grundsätzlichen
Problemen erweitert; wie ein solcher Mann bestrebt
ist, auf möglichst breiter wissenschaftlicher Basis
die Lösung der einen brennenden Aufgabe zu geben;
wie fruchtbar für eine grosse Anzahl anderer Fragen
so ein Bestreben wird; wie wenig mit bloss negativer
Kritik in Kunstdingen geleistet wird; wie aber ein
schöpferischer Kopf aus der kritischen Analyse des
Vorhandenen zu wirklich wertvollen Grundsätzen für
eine neue Praxis gelangen kann: das alles lehrt Sitte's
Untersuchung. Sein Buch ist in Wahrheit nicht
bloss ein Projekt für die Vollendung der Wiener
Monumentalbauten, sondern auch ein Beitrag zur
praktischen Ästhetik, wie Sitte selbst es ausspricht.
Es ist aus dem Gefühl eines starken künstlerischen
Naturells entsprossen. Es lehrt uns auf Verhält-
nisse schauen, die wir bisher nur selten bis auf ihren
 
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