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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 2.1890/​91

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Lützow, Carl von: Der neue "Correggio" des Städelschen Instituts
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.3773#0017

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Der neue „Correggio" des Städelschen Instituts. — Kunstlitteratur.

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falschen Inschriften der Aera Kohlbacher störten uns
nicht. An dem „Gelehrten" des fraglichen van der
Meer vorüber schritten wir schnell dem Saal der
Italiener zu.

Da hing also die „Madonna von Casalmaggiore"
und fesselte sofort unsern Blick durch ihre schöne
Landschaft, den warmen Gesamtton, die feine Ab-
stufung des Lichtes, die correggieske Süssigkeit der
Grundstimmung. Wir waren ganz danach angethan,
uns dem Eindrucke prüfungslos hinzugeben. Aber
da holte die Hand unwillkürlich das Glas aus dem
Futteral und um die naive Hingebung war es ge-
schehen ! Hören wir zunächst die Beschreibung des
Bildes, wie Direktor T. sie giebt: „Maria hat sich in
einer Landschaft niedergelassen und schaut auf den
kleinen Johannes herab, der von ihrem rechten Arm
umschlossen herausschaut und auf das jünger ge-
bildete Christkind hinweist, das seinerseits rittlings
auf dem Schosse der Mutter sitzt und eifrig be-
müht ist, die Aufmerksamkeit des Spielgenossen auf
sich zu lenken." Ein Kinderidyll, einfach genug,
um seine Beschreibung in eine einzige, wenn auch
etwas relativ satzreiche, Periode zusammenzudrängen!
Wie der Gedanke, so ist auch die Komposition
genrehaft, die Strenge durch Freiheit aufgehoben,
das Ganze vorwiegend malerisch gedacht, im Sinne
von Allegri's „Madonna della Scodella" und anderer
späterer Bilder.

Aber nun sehen wir uns einmal genau die Aus-
führung an! Denn diese entscheidet ja doch den
Wert des Bildes, diese zeigt uns allein, ob wir über-
haupt ein Meisterwerk vor uns haben. Direktor T.
kann sich gewissen Mängeln in den Formen der
Kinderkörper nicht verschliessen; er nennt sie
schwulstig, im einzelnen plump und massig; aber
er hilft sich über diese Beobachtung mit dem Trost
hinweg, dass „derartige Übertreibungen in der be-
sonderen Formenauffassung Correggio's überhaupt
begründet sind" und bei ihm „überall wieder-
kehren." Nun, dieser seiu „überall" schwülstiger,
plumper und massiger Correggio ist das gerade
Gegenteil von dem uns bekannten! Was aber
die Ausführung des Frankfurter Bildes anbelangt,
denn für uns handelt es sich nicht um den ver-
schwommenen Begriff der „Formenauffassung" —
8o ist diese eine so miserable, in Zeichnung und
Modellirung so durchaus unzureichende, dass kein
Sachverständiger von unbefangenem Urteil darüber
in Zweifel bleiben kann, welcher Gattung von Ma-
lereien dieser „Correggio" zuzurechnen ist. Alle

Fo

nnen, nicht nur die Körper der Kinder, sind un-

schön bis zur Missgestalt, die Köpfe und Gesichter
wie zerdrückt, der Mund der Madonna und der des
Johannes (in Übertreibung des dem Correggio
eigentümlichen Lächelns) verzogen, die Nasen der
Kinder zusammengekniffen, die Haare wie Perücken
auf die Köpfe gesetzt, die Füsse und Hände plump
wie die Extremitäten von Seetieren; besonders ver-
fehlt in der Zeichnung und Modellirung sind der
Körper und die Arme des Christkindes. Kurz, die
Frankfurter sogenannte „Madonna von Casalmaggiore"
ist, wie die italienischen Beurteiler sich ausdrückten,
ein „pasticcio", wie wir Deutschen sagen („0, was
ist die Deutsch Sprak für ein plump Sprak!'') —
eine betrügerische Nachahmung, durch welche Direktor
T. und sein Ratgeber sich haben täuschen lassen.
Der Fälscher war sichtlich ein besserer Maler als
Zeichner; es ist ihm daher der „Ton" des Bildes,
die Stimmung der Landschaft, das Helldunkel
einzelner Partien nicht übel gelungen, während ihn
bei der Ausführung aller feineren, schwierigen und
charakteristischen Details die Kraft im Stiche Hess.
Als Vorbild nahm er sich nicht etwa ein frühes
Bild des Correggio — mit den Jugendwerken des
Meisters hat die Frankfurter Madonna gar nichts
gemein — sondern dieses oder jenes Gemälde aus
dessen späterer Periode und stoppelte sich daraus
seiu Pastiche zusammen.

Eine erfreuliche Wahrnehmung, die wir bei
unserem letzten Besuche der Frankfurter Galerie
machten, war die, dass dem neu erworbenen Bilde
in dem grossen Saal der italienischen Meisterwerke
ein recht bescheidener Platz angewiesen ist: an der
Schmalwand rechts neben der Thür. Dort möge es
im stillen fortblühen, wie bisher unedirt und
unphotographirt! Denn wenn etwa zu der teuren
Acquisitum auch noch eine kostspielige Publikation
unter Correggio's Namen hinzukommen sollte, so
wäre das nicht nur ein Luxus für das betreffende
Institut, sondern auch eine Blamage für die deutsche
Wissenschaft.

KUNSTLITTERATUR.

Adolph Goldscrmiidt, Lübecker Malerei und Piastil; bis
10:10 gr. Fol. 39 S. und 43 Lichtdrucktafeln. Lübeck
. B. Nöhring. 25 M.
Mit dieser Darstellung der Malerei und Plastik in Lübeck
bis zum Jahre 1530 bietet .1. Ooldsehmidt einen wertvollen
Beitrag zur deutschen Kunstgeschichte. Der Verfasser hat
mit echtem Forschersinn die Lübecker Kunstdenkmäler in
der Stadt selbst und in der Diaspora gesammelt, historisch
geordnet und mit feinem Verständnis kritisch erörtert. Die
Durchforschung der schriftlichen Quellen, gedruckter wie un-
gedruckter, führte ihn zur Aufstellung eines erklärenden
 
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