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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 2.1890/​91

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Feddersen, Martin: Über polychrome Plastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.3773#0103

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Über polychrome Plastik.

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gelten. Die Farbe lenkt von der Betrachtung der
Form ab. Das ist uns gelehrt, das sind die Gründe,
die gegen die Bemalung der Plastik vorgebracht
werden.

Ich behaupte von beiden das Gegenteil. Erstens
kann in der Plastik nicht die Form allein gelten, da
die Plastik es ja gar nicht allein, unter keinen Um-
ständen allein mit der Form zu thun hat, weil durch
die Form allein ja gar nicht das ausgedrückt werden
kann, was die Plastik ausdrücken will, nämlich die
Nachahmung der Natur. Damit fällt doch auch zu-
gleich die Behauptung weg, dass die Farbe die Be-
trachtung der Form stört, dass sie von der Betrach-
tung der Form ablenkt. Die Farbe dient vielmehr
im Gegenteil dazu, macht es überhaupt nur möglich,
die Form, soweit diese Form überhaupt in der Pla-
stik in Betracht kommt, also in ästhetischer Be-
ziehung, zu erkennen. Der erste Einwand, dass die
Plastik es nur mit der Form zu thun hat, ist doch
nur so zu verstehen, dass es dieser Kunst möglich
ist, die wirkliche Form nachzubilden, ganz genau
so wie sie in der Natur vorliegt; insofern hat die
Plastik es allerdings unbestreitbar mit der Form zu
thun. Aber die Nachbildung der Form nur um der
Form willen, d. h. in dem Sinne, um eine An-
schauung von der Form zu geben, nur um uns die
Form als solche zu vergegenwärtigen, ist doch keines-
wegs die Aufgabe der Plastik; wäre dieses die Auf-
gabe, so würde es sich allerdings empfehlen, die
Körper eintönig zu halten, da wir bei einem eintönig
gehaltenen Körper allerdings an nichts denken können
als an die Form.

Aber die Plastik, obwohl sie die Form darstellt,
so stellt sie dieselbe doch nicht deshalb dar, um
uns dieselbe mathematisch begreifen, sondern um
uns dieselbe ästhetisch empfinden zu lehren. Die
Plastik hat es nicht mit dem mathematischen Um-
fang eines Körpers zu thun, sondern mit seinem
geistigen Inhalt und zu diesem geistigen Inhalt ge-
hört unbedingt die Farbe. Man betrachte doch
z. B. einmal zwei ganz gleiche Körper, von denen
der eine seine natürliche Farbe hat, der andere un-
gefärbt ist, etwa einen Naturabguss mit der Natur,
nach welcher dieser Abguss hergestellt wurde, und
man wird sich sehr bald überzeugen, dass der Ab-
guss einen anderen Eindruck macht als die Natur,
ganz gleichgültig, ob wir die Form als solche bei
dem Abguss auch deutlicher sehen, wir haben nicht
den Eindruck der Natur, und dieses will ich nur
vorerst feststellen. Der Abguss erscheint uns leerer,
formloser zu sein als die Natur, daraus folgt doch,

dass die Farbe dazu beitragen muss, dass uns die
Natur formenreicher erscheint, dass sie zur Hervor-
bringung dieses Eindruckes unbedingt beiträgt; daraus
folgt doch ferner, dass da, wo es sich um die Nach-
ahmung der Natur handelt, ganz gleichgültig, ob
ideal oder naturalistisch aufgefasst, die Farbe unbe-
dingt zu dieser Nachahmung gehören muss. Wenn
man diese Gründe den Künstlern und Laien gegen-
über vorbringt, die sie nicht widerlegen können, so
weisen sie als letztes Mittel mit einem gewissen
Triumph auf das Panoptikum und dessen schreck-
liche Wachsfiguren hin. Dieser Thatsache gegen-
über, meinen sie, müssen die Gründe für die Be-
malung der Plastik verstummen. Es ist wahr, der
Anblick der Wachsfiguren ist im allgemeinen ein
schrecklicher, aber ich bin zu der Überzeugung ge-
kommen, dass gerade das Panoptikum mit seinen
berüchtigten Wachsfiguren für heute noch ein schätz-
bares Material ist, das nach beiden Seiten, nach der
formalen und nach der koloristischen Seite hin, sehr
zu beachtende Fingerzeige für die Bemalung der
Plastik geben kann.

Auch Dr. Treu sagt in dem obenerwähnten Vor-
trage, wo er auf die realistisch bemalte Büste zu
sprechen kommt, folgendes:

„Stehen wir aber damit nicht wieder mitten im
Panoptikum? Durchaus nicht! Denn was ist das
Charakteristische an den Puppen unserer Wachs-
figurenkabinette? Doch wohl eben dies, dass sie
durch handswerkmässige Mittel, Verwendung wirk-
licher Haare, Kleider u. dgl. mehr hinterlistig auf
wirkliche Täuschung hinarbeiten, die dann um so
heftiger in Entsetzen und Widerwillen umschlägt,
wenn einem die leichenhaft bleiche, leere Wachs-
larve entgegenstarrt. Es ist gerade das geistig-
künstlerische Interesse an dem Prozesse der Formen-
; Übersetzung in einen anderen Stoff, das hier zu
. Gunsten der blossen Gafflust totgeschlagen wird. Kann
| man hiermit wohl ein Kunstwerk vergleichen, wel-
ches schon durch die Betonung des Majolikachfirak*
ters, durch seinen Zuschnitt als Büste u. dgl. ra. von
vornherein jede bis zur Täuschung gehende Illusion
abwehrt? Bei der das ganze Interesse auf der
packenden Wahrheit des geistig physiognoniisclu'"
Ausdrucks, auf der Virtuosität der plastischen uud
malerischen Mache beruht — also gerade auf 'l»'"1
; geistigen Reiz künstlerischer Übertragung von NataTi
formen in ein fremdes Material.-

Es ist ja soweit ganz richtig, dass bei den
Wachsfiguren auf die wirkliche Täuschung hinge'
arbeitet wird und dass, wenn wir durch aat&rHchea
 
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