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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 2.1890/​91

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Rosenberg, Adolf: Das Lessingdenkmal in Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.3773#0112

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Das Lessingdenkmal in Berlin.

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Denkmal vollendet dasteht, mag sich das Publikum
damit abfinden wie mit einer jeden unabänderlichen
Thatsache.

Es ist in mehr als einem Punkte ein Spiegel-
bild der modernsten Kunstbewegung oder, richtiger
gesagt, der Kunst ä la mode: ein Versuch, durch
eine Verbindung von verschiedenfarbigem Stein
mit verschiedenartig getönter Bronze eine starke
koloristische Wirkung zu erzielen, ein enger An-
schluss an die Tageslaune des Barock- und Rokoko-
stils und eine entschiedene Neigung zu jener Abart
des Naturalismus, die sich an keine Stilgesetze bindet
und kein anderes Ziel vor Augen hat als das der
Wirkung um jeden Preis und mit allen Mitteln.
Man kann es aus geschichtlichen Gesichtspunkten
rechtfertigen, dass man einen Lessing darstellt und
sein Denkmal ausstattet in den Kunstformen der
Zeit, in der er lebte und kämpfte. Aber wenn auch
kein geschichtlicher Widerspruch darin liegt, so
doch eine ästhetischer. Denn Lessing bekämpfte
diese Kunstformen in der Dichtung, und was die
bildende Kunst anlangt, so bekannte er sich, theo-
retisch wenigstens — denn ein praktischer Kunst-
freund und Kunstförderer in unserem Sinne war er
nicht — zu der Richtung, die mit Winckelmann
ihren Anfang nahm und zunächst zur Vernichtung
des Rokoko, der Kunst des 18. Jahrhunderts führte.
Wir sind weit entfernt, daran die Forderung zu
knüpfen, dass man einen Lessing nur in einem an-
tikisirenden Stile darstellen dürfe. Unsere Zeit will
die Wahrheit, und die Wahrheit verlangt einen
Lessing mit Zopf, Schoßrock, Kniehosen, Strümpfen
«nd Schnallenschuhen. Und so steht er auch auf
dem Fußgestell des Berliner Denkmals da: die rechte
Hand in die Hüfte des rechten vorwärtsschreitenden
Beins gestemmt, zwischen den Fingern der herab-
hängenden Linken ein Buch haltend, das unbedeckte
'aupt etwas erliebend, als wäre ihm bei der Lektüre
e'Q Gedanke gekommen, der seine Züge mit einen)
leichten, fast ironischen Lächeln erhellt Es ist nicht
^er jugendlich feurige Lessing, der in Berlin seine
ersten kritischen Sporen verdiente, sondern ein
Alfter Mann von 45 bis 50 Jahren, der Herausgeber
der WolfenbOttler Fragmente und der Dichter des
»Nathan*. Mit dieser Altersstufe und Keife will
sich aber die gezierte, fast tanzmeisterhafte Stellang
niclit. vereinen, die der Künstler seinem Urgroßoheim

Kegeben hat. Immerhin bal die in weißem carrari-
8clien Marmor ausgeführte Statue noch die Baupt-
f°8e der monumentalen Baltungdea ersten Entwürfe

"'Wi,lirt. Aber in der Absieht, für die in Strumpfen

steckenden Unterschenkel einen vollen Hintergrund
zu gewinnen, lässt der Künstler von einem bis zur Höhe
des rechten Knies reichenden Pilaster den Mantel in
breiten, massigen Falten über die Plinthe der Statue
und dann noch ein ganzes Stück über das weit aus-
ladende Gesims des in rötlichem, polirtem Granit
ausgeführten Sockels hinabfallen. Man wird durch
diese hinabgleitende Last eines marmornen Falten-
wurfs an die stärksten malerischen Verwegenheiten
der Grab- und Ehrendenkmäler der Rokoko- und
Zopfzeit erinnert; doch wir wollen so tolerant sein,
an diesem technischen Kunststück noch keinen An-
stoß zu nehmen. Wenn nur der Sockel auf dieselbe
Tonart gestimmt wäre! Hier hört die malerische
Willkür eine Weile auf. Es ist ein vierseitiger, nur
| wenig an den Seiten eingezogener Sockel, an dessen
vier Ecken volutenartige Konsolen zu dem Gesims
mit der Deckplatte emporsteigen. Er steht auf
zwei Stufen von gleichem Gestein, die auf einem
achtseitigen, dreistufigen Unterbau aus grauem, ge-
schliffenem Granit ruhen. Es ist also in den Grund-
zügen ein streng architektonischer Aufbau, der auch
von einem Architekten, dem jetzigen Baudirektor
Rettig in Dresden, entworfen worden ist. Der Bild-
hauer hat jedoch das architektonische Gefüge nicht nur
nicht respektirt, sondern rücksichtslos zerrissen, so
dass von dem Gegenspiel der architektonischen Linien
nur wenig zur Geltung kommt.

Der Vorderseite des Sockels, in die eine bron-
zene Kartusche in Rokokoeinfassung mit dem Namen
des Dichters eingelassen ist, hat sich ein nackter ge-
flügelter Knabe vorgelagert, das linke Bein weit von
sich gestreckt, das rechte stark eingezogen. Mit der
Rechten erhebt er eine Schale mit loderndem Feuer
„dem Symbol der reinen Menschenliebe", und die
Linke, die einen Ölzweig als „Symbol des Friedens"
hält, stützt er auf eine Tafel, auf der die Schluss-
verse von Nathans Erzählung von den drei Ringen
zu lesen sind. Wenn wir es nicht aus einer ge-
druckten Erläuterung erfahren hätten, die das Komitee
vor der Enthüllung versenden und verteilen ließ,
würde niemand in diesem Jüngling den „Genius
der Humanität" erkennen, für den ihn das Komitee
erklärt. Die Symbolik, deren Trägerin diese Figur
ist, hat ebenso viel Unklares wie Erzwungenes, und
im Zeitalter des Realismus nicht gerade sehr
schätzenswerten Eigenschaften sind der entsprechen-
den Figur an der Rückseite des Sockels noch in
reicherem Maße zu teil geworden. Der halbwüchsige
Bursche, der mit frechem Grinsen in den gewöhn-
lichen Zügen eine Geißel mit der Rechten schwingt,
 
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