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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 3.1892

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Farbige Stiche als Modeartikel
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https://doi.org/10.11588/diglit.5366#0097

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Farbige Stiche als Modeartikel.

182

FARBIGE STICHE ALS MODEARTIKEL.

*Wer Gelegenheit hat, den Strömungen des
heutigen Kunstlebens und Kunstverkehrs an einem
der großen Mittelpunkte derselben tiefer auf den
Grund zu sehen, wird bemerkt haben, dass der Ge-
schmack der Liebhaber und Sammler sich in immer
gesteigerterem Grade wieder den farbigen Stichen
aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zu-
wendet. Vor 50—60 Jahren waren das ganz alt-
modische, für zopfig erklärte Dinge, die im Handel
kaum mehr vorkamen und von ihren Besitzern häufig
ganz gering geschätzt oder gar weggeworfen wurden.
Jetzt bilden sie wieder die haute nouveaute der
kunsthändlerischen Mode, werden bei Versteigerungen
mit enormen Preisen gezahlt und repräsentiren ein
kleines Vermögen für den, der sie etwa aus früherer
Zeit noch besitzt oder vor fünf Jahren in Witterung
der kommenden Dinge in seinen Besitz gebracht hat.
Es sind sowohl englische, punktirte oder Aquatinta-
Blätter als namentlich geschabte farbige Stiche der
französischen Schule aus den achtziger und neunziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts.

Jede derartige Erscheinung hat ihre allgemeinen
und ihre besonderen Ursachen. Zunächst hängt die
wieder mächtig hervortretende Vorliebe für den
farbigen Stich mit der Herrschaft des koloristischen
Sinnes überhaupt zusammen. Die weiße Tünche,
mit der die Voreltern den Freskenschmuck der alten
Kirchen überzogen hatten, gilt uns als Barbarei.
Alles wird polychrom bemalt, selbst die Plastik. Für
Monumentalgebäude wie für Wohnhäuser besteht
als oberster Grundsatz ihrer inneren Schönheit die
Regel, dass die Räume in harmonischem Farben-
schmucke prangen müssen, damit nirgends Nüchtern-
heit oder vollends grelles Weiß das Auge störe.

Der koloristische Stich wird deshalb gesucht
weil er sich in diesen malerischen Gesamtorganis-
mus trefflich einfügt. Versetzen wir uns in Ge-
danken nur um 30 oder 40 Jahre zurück: wie ärm-
lich, unkünstlerisch und insbesondere unmalerisch
war damals die gangbare Ausstattung unserer Wohn-
räume! Da fand freilich das Kunstvereinsblatt mit
seinem weißen Rand und schmalen Goldrahmen
seinen ganz entsprechenden Platz. Es waren dies
meistens handwerksmäßige, oft in gemischter Manier
ausgeführte Stiche, als solche in unseren Augen und
wohl für alle Zeiten völlig wertlos. Auf einer ver-
hältnismäßig viel höheren Stufe stand schon damals
Paris mit seinem großen tonangebenden Verlags-
hause Goupil; außer einigen in der traditionellen
Linienstickteclmik ausgeführten Blättern nach alten

oder modernen klassischen Gemälden, waren es je-
doch meistens Erzeugnisse in gemischter Stichmanier,
nach affektirten und süßlich sentimentalen Origi-
nalen, welche aus dieser Quelle hervorgingen und
den Tagesbedarf deckten. Blätter nach Alfred de
Dreux oder nach Brochart bildeten die beliebtesten
Stücke im damaligen Pariser Kunsthandel. Auf
einer rühmenswerten Höhe hielten sich noch die
Engländer mit ihren Sittenbildern von Faed, Frith,
ihren Landschaften und Tierstücken von Landseer
u. a., an deren Wiedergabe eine treffliche Kupfer-
stecherschule, mit Samuel Cousins an der Spitze,
sich herangebildet hatte.

Seit etwa 25 Jahren hat sich nun auch bei uns
der oben angedeutete Umschwung vorbereitet. Die
Gründung der Kunstgewerbemuseen und Kunstge-
werbeschulen hat an demselben einen nicht zu unter-
schätzenden Anteil. Architekten von vorzugsweise
dekorativer Begabung standen dabei an der Spitze.
Die Vorkämpfer für den kunstgewerblichen Fort-
schritt waren zugleich die Streiter für den polychromen
Schmuck. Es seien nur die Namen Owen Jones,
Semper, van der Nüllhier genannt; und vollends der Stil
Makart, der bei uns die zweite Periode der modernen
Innendekoration beherrschte, ist ja ein durchaus
malerischer Stil. Der Dekorateur oder Tapezierer,
der aus den modernen Kunstgewerbeschulen hervor-
gegangen ist oder ihnen doch die Richtung seiner
„Ideen" verdankt, kann allenfalls Ölfarbendrucke
oder kolorirte Photographien als Zimmerschmuck
zulassen, aber nimmermehr Stiche in Linienmanier
oder andere Schwarzdrucke mit breitem, weißem
Rand und wären es auch die delikatesten Arbeiten
eines Henriquel Dupont oder Mandel, denn diese
„machen Löcher in die Wand", wie der Kunstaus-
druck lautet.

Zum vollen Durchbruche kam die Bewegung,
als das Haus Goupil sich der Führung bemächtigte.
Nach jahrelangen Versuchen in seinen großartigen
Ateliers zu Asnieres bei Paris, brachte Goupil eine
Reihe von Aquarell-Faksimiles in den Handel, welche
auf Grundlage von Photogravüren hergestellt waren
und das am Ende des 18. Jahrhunderts namentlich
in England vielfach angewendete Verfahren der Re-
produktion durch einen einzigen farbigen Druck in
dieser neuen Technik zu imitiren strebten. Eines
der ersten auf diese Weise wiedergegebenen Blätter
war die gegen Ende der siebziger Jahre erschienene
kolorirte Photogravüre nach Detaille: „Le hussard
et son cheval". Die Firma hat das Verfahren seit
jener Zeit zur. höchsten Vollendung entwickelt und
 
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