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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 4.1893

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Nautilus, ...: Vom Christmarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5367#0066

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Vom Christmarkt.

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buhlen. Ein uraltes Rezept hat in wieder neuer
Ausführung bei dem von Bodenstedt herausgegebe-
nen Werke1) „Liebe und Leben" herhalten müssen.
Das Mädchen aus der Fremde wurde herbeigerufen,
seine unverwelklichen Gaben auszustreuen, und um
ihm recht gute Aufnahme zu sichern, ließ der Ver-
leger ihm ein eigenes buntes Kleid herstellen. Es
ist eine Anthologie, die das wechselnde Empfindungs-
leben der Frau in seinen verschiedenen Phasen dar-
stellen will. Bodenstedt hat kurz vor seinem Tode
sich an diese Aufgabe, deren Lösung schon oft ver-
sucht wurde, mit Eifer gemacht. Es ist gewiss
keine leichte Aufgabe, in dieser Weise auf dem
Parnass zu botanisiren und die so verschieden ge-
stalteten und duftenden Blumen zu einem schönen
Kranze zusammenzufinden. Der Verleger ist nun,
um das Verschiedenartige etwas mehr zusammen zu
stimmen, auf den Gedanken gekommen, eine viel-
genannte Dichterin zur Mitwirkung heranzuziehen;
ihre Poesien sollten gewissermaßen die Wende-
punkte des weiblichen Lebens charakterisiren. Diese
Idee lässt sich hören, sie würde bei rechter Aus-
führung dem Ganzen etwas Rückgrat verleihen. Die
Hauptsache ist und bleibt freilich bei einem Werke
dieser Art die lllustrirung, die verständigerweise in
eine Hand gelegt wurde. Der Künstler, dem die
Aufgabe oblag, das künstlerische Zierwerk zu dieser
Poesienreihe zu entwerfen, hätte durch geeignete
Behandlung dem poetischen Mosaik zu einheitlichem
Eindruck verhelfen können. Merkwürdigerweise ist
aber dazu nicht der leiseste Versuch gemacht wor-
den. Sowohl die farbigen Blätter von oft berücken-
der Buntheit, als auch die vielfach ausgestreuten Text-
abbildungen sind so heterogenen Charakters, dass es
den Anschein hat, als habe der Künstler absichtlich
solches künstlerisches Allerlei geben wollen. Er
giebt bald moderne Figuren, bald Rokokogestalten,
bald sogenannte Renaissancekostüme, bald die Mode
des Empire, und stellt sogar die antike Muse ans
moderne Klavier. Verlangt man von einem Werke
solcher Art nichts als eine Reihe bunter Bilder und
auf jeder Textseite eine Illustration, so mag dieses
Buch gelten. Der Ausstattung kann, was Papier
und Druck anlangt, unbedingtes Lob erteilt werden.
Die Verschiedenartigkeit der Lettern stört ein wenig,
war aber nicht zu vermeiden, wenn eben ein be-
stimmtes Gedicht in einen bestimmten Raum ein-
gefügt werden sollte.

Mit dem Frauenleben beschäftigt sich auch das

1) Leipzig, Ad. Fischer's Verlag. Fol. Geb. M. 15 —

bei Ad. Titze in Leipzig erschienene Werkchen1) von
Rene Reiiticke und Frida Schanz: „0 du selige Back-
fischzeit!" (Preis geb. M. 8.—) Der feinsinnige
Künstler stellt hier in acht Bildern, die durch Licht-
druck vervielfältigt worden sind, das hoffnungsreiche
Leben des Zwitters zwischen Kind und Dame, der
den wenig liebenswürdigen Namen Backfisch trägt,
zierlich und in modernster Gestaltung dar. Auf
dem Eise, beim Kränzchen, in der Tanzstunde,
beim ersten Balle zeigt er uns die schmächtigen
Figürchen, deren noch ein wenig eckiges Be-
wegen besonders in den prächtigen Originalen
zur Erscheinung kommt. Die Nachbildung ent-
behrt natürlich etwas der zarten koloristischen Reize
des Originals, doch sieht man auch den Verkleine-
rungen in Schwarz und Weiß noch an, dass eine
feinfühlige, wohlgeschulte Hand diese kleinen Kunst-
werke schuf. Zu den Bildern hat Frida Schanz eine
Reihe passender Verse hinzugefügt, die ihre eigen-
tümliche, nie versagende Begabung wiederum deut-
lich beweisen. Einen tieferen seelischen Anteil ver-
mögen diese wohlgepflegten Reime nicht zu er-
wecken. Sie schildern uns allgemeine Empfindun-
gen, die jeder wohl versteht, nicht aber die inneren
Erlebnisse eines Individuums, die man mitfühlt.

Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein!
möchte ich angesichts der prächtigen novellistischen
Leistung von Jeanne Schultz2) ausrufen, die in einem
zartblau gebundenen Bande uns verkündet, „was
der heilige Joseph vermag." Es ist ein allerdings
j sehr profanes Wunder, das er einem liebenswürdigen
Backfisch zuliebe zuwege bringt. Dieses kleine
Persönchen sitzt, von einem Drachen von Tante be-
hütet, auf der verschneiten, einsamen, verfalleneu
Burg ihrer Väter und wartet auf „ihr Abenteuer".
Leider will das Abenteuer aber nicht von selbst er-
scheinen, und das Warten ist doch gar zu lang-
weilig. Ein altes Mütterchen im Dorfe, das im Ge-
rüche steht, allerlei wunderbare Kuren ausführen zu
können, verweist die ungeduldige Kleine an den hei-
ligen Joseph, zu dem sie neun Tage lang eifrig
beten solle. Auf eine ganz überraschende Art führt
dann der silberne Heilige des Boudoirs wirklich das
Abenteuer herbei, und nun beginnt der kleine, köst-
lich behandelte Roman dieses lustigen Dorn-
röschens, der schließlich zu dem wohlbekannten er-
wünschten Ende führt. Diese Erzählung ist in
einem so frischen Ton gehalten und von so fröh-

1) Leipzig, Ad. Titze. 8°.

2) Stuttgart, Engelhorn. Geb. M. 12.—
 
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