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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 4.1893

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Coronini, Carl Graf: Bemerkungen über das Wesen der Grazie
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https://doi.org/10.11588/diglit.5367#0115

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE.
Ankündigungsblatt des Verbandes der deutschen Kunstgewerbevereine,

HERAUSGEBER:

CARL VON LÜTZOW und DR. A. ROSENBERG

WIEN BEELIN SW.

Heugasse 58. Teltowerstrasse 17.

Verlag von E. A. SEEMANN in LEIPZIG, Gartenstr. 15. Berlin: W. H. KÜHL, Jägerstr. 73.

Neue Folge. IV. Jahrgang. 1892/93. Nr. 14. 2. Februar.

Die Kunstclironik erscheint als Beiblatt zur „Zeitschrift für bildende Kunst" und zum „Kunstgewerbeblatt" monatlich dreimal, in den
Sommermonaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der „Zeit-
schrift für bildende Kunst" erhalten die Kunstchronik gratis. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Inserate, ä 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshand-
lung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

BEMERKUNGEN ÜBER DAS WESEN
DER GRAZIE.

von CARL GRAF CORONINI- CRONBERG.

So wie es für empfängliche Seelen ein meta-
physisches Bedürfnis giebt, dessen Befriedigung
Aufgabe der verschiedenen Religionsbekenntnisse ist,
so hat auch der in der Atmosphäre der Kultur auf-
gewachsene Mensch, wenngleich er selbst wenig Bil-
dung haben mag, gewissermaßen ein künstlerisches
Bedürfnis, das insbesondere bei den Südländern ent- •
schiedener hervortritt und die Annäherung an das
ideabsirte Sinnliche mit mehr oder weniger Thatkraft
anstrebt. Deshalb üben insbesondere auf die Massen
die Kunstreiter eine sehr starke Anziehungskraft.
Teilweise wohl wegen der staunenswerten Fertigkeit,
mit welcher sie ihre Evolutionen vollführen, nicht
zum mindesten aber deshalb, weil sich die schönsten
Gebilde der Schöpfung, der Mensch und das Pferd,
zu den anmutigsten Gruppen verbinden und ihre
plastischen Formen, gehoben durch die graziöse Be-
wegung, reizend darstellen. Diese Betrachtung führt
mich auf den Umstand, dass man der Bewegung an
sich, vom künstlerischen Standpunkt aus betrachtet,
eine besondere Aufmerksamkeit nicht zu schenken
scheint, obwohl sie zunächst durch die Mimik und
den Tanz, der doch in den Rahmen der plastischen
Kunst, wenigstens der Verwandtschaft nach, hinein-
gefügt zu werden verdient, eine Anregung hierzu
finden könnte. Nebenbei sei in Erinnerung gebracht,
dass ja in der Musik und Poesie die Bewegung im
Takt und in der Metrik ihre Vertreter findet.

Die Plastik an sich scheint mir in der Beur- j

| teilung der schönen Form während der Ruhe allein
I noch nicht erschöpft, und ich meine, dass die schöne
Bewegung ebenfalls eine besondere Aufmerksamkeit
verdient. Und zwar umsomehr, als die Grazie, ohne
weiteres ein Attribut des Schönen, eben in der Be-
wegung am meisten hervortritt, obwohl sie auch
im Moment der Ruhe ihre volle Wirkung üben kann.
Die Grazie, von den Franzosen vielleicht am meisten
gepflegt, gewürdigt und verstanden und daher von
ihnen auch am meisten übertrieben und bis zum
Zerrbild aufgebauscht, ist wohl einer ästhetischen
Analyse wert und ihr Studium würde vielleicht
manchen neuen Lichtstrahl werfen auf den immer-
hin noch rätselhaften Reiz, den der Anblick des
Schönen auf den empfänglichen Sinn ausübt. Die
Venus von Milo, der Apollo vom Belvedere, der
Antinous, der Narciss u. a. sind nicht bloß des-
halb Kunstwerke ersten Ranges, weil sie allen An-
forderungen künstlerischer Proportionen im Sinne
der klassischen Bildner entsprechen. Stellen wir
dasselbe Vorbild, das dem Künstler bei Schaffung
des Apollo vorschwebte, das heißt mit denselben
Proportionen, wie einen Ladestock hin, oder die Venus
wie eine Pagodenfigur, so ist es aus mit der Schön-
heit. Zu der Tadellosigkeit der einzelnen Glied-
maßen des Kunstwerkes und ihren relativen Propor-
tionen gehört somit auch ihre absolute und gegen-
seitige Richtung im Räume, um dem Geschmack zu
genügen, und diese Richtung muss nicht allein
zweckmäßig, das heißt der beabsichtigten Wirkung
entsprechend, sondern sie muss auch graziös sein.
Unzweckmäßiges oder besser gesagt Zweckwidriges
| verträgt sich nicht mit dem Wesen des Schönen,
 
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