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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 4.1893

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Schultheiß, Albert: Pietro Aretino als Maler
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https://doi.org/10.11588/diglit.5367#0124

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Pietro Aretino als Maler.

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haupt mit dein Manne ernstlicher beschäftigt, zuge-
standen worden; dass er aber hierzu ein geschultes
Verständnis besessen, ist eine noch wenig bekannte
Thatsache. Pietro Aretino, darüber darf nunmehr
kein Zweifel mehr bestehen, hat, freilich nur in re-
lativ früher Jugend und wohl nicht lange Zeit, sich
praktisch vorgebildet, als ausübender Jünger der
Kunst den Pinsel gehandhabt. Seit, vor kaum
einem Jahrzehnt, die italienischen Bibliotheken ihre
ängstlich gehüteten Schätze herausgegeben, vor allem
das Archivio Gonzaga zu Mantua sich erschlossen,
sprudeln völlig neu entdeckte Quellen und den Be-
mühungen der Forscher ist es gelungen, eine bisher
dunkel gebliebene Periode im Leben dieses merk-
würdigen Mannes, der in seiner Persönlichkeit ein
ganzes Zeitalter repräsentirt, dermaßen aufzuhellen,
dass nicht er allein, nein seine ganze Umgebung,
Zeit und Volk vorübergehend in eine andere Be-
leuchtung gerückt uns erscheinen.

Der verdienstliche Herausgeber einer Samm-
lung volkstümlicher italienischer Dichtungen, d'An-
cona, hat unter den sog. Marcianischen Hand-
schriften einen alten Druck aufgefunden, am 22.
Januar 1512 zu Venedig veröffentlicht: „Ein neues
Werk von dem sehr fruchtbaren jungen Maler Pietro
Aretino, d. h. Liebeslieder, Sonette, Capitoli, Episteln,
Barzellette (scherzhafte Einfälle) und ein Klagelied."
In der Vorrede versichert der Autor, dass er all dieses,
fast in einem Augenblick gemacht"; wir hätten es
also in diesem Falle mit einer Stegreifpoesie zu
thun und es wird uns das demnächstige Erscheinen
eines schon begonnenen anderen Werkes angezeigt.

Die ganze Sammlung bietet nun freilich, nach
dem Urteil berufener Kritiker, nichts als eine Wieder-
holung verbrauchter Gemeinplätze einer falschen
volkstümlichen Dichtungsart, eine sklavische Nach-
ahmung des Serafino Aquitano (1466—1500), der,
ein verspäteter Minnesänger, sich an den verschie-
densten Höfen Italiens herumgetrieben; aber das erste
Sonett gestattet keinen Zweifel an der Urheberschaft
unseres Aretino. Den Sonetten selbst geht der
Vermerk voraus: „Einige Sachen von einem Are-
tinischen Jüngling Pietro, dieser Fertigkeit — facoltä —
und der Malerei beflissen" und dann folgt ein Sonett
mit einer Widmung an den Peruginer Francesco de
Bontempi, der vielleicht identisch ist mit dem in Are-
tino's Briefen erwähnten Francesco Buoncampi, einem
Jugendfreund aus Perugia, wo der Dichter (geb. 1492)
bekanntlich einige Jahre verlebte.

Ein anderer Beweis wird uns erbracht durch
eine Aufzeichnung des Chronisten Sanudo, welcher

meldet, dass auf der Rialtobrücke zu Venedig an einer
Säule, denselben Zwecken dienend, zu denen die
Pasquino-Statue in Rom sich hergeben musste, sich
am 29. Nov. 1532 eine bissige Schmähschrift gegen
Pietro Aretino angeheftet fand, welcher, in Not ge-
raten, vorübergehend wenigstens, nicht im stände war,
seine Hausmiete zu bezahlen, und in Gefahr lief, ob-
dachlos zu werden. Seine scharfe Feder hatte ihm
viele Feinde geschaffen, jetzt in der Bedrängnis
wurde der sonst Gefürchtete gehöhnt: „Hättest du
deinen Pinsel nicht weggelegt, denn du bist, wie ich
höre, einstens Maler gewesen, so würdest du nicht
schließlich Hungers sterben auf einer Brücke."

Auch dieses Dokument, zweifellos echt, hat sich
unter den Marcianischen Handschriften vorgefunden
und es ist somit bis zur Evidenz der Beweis erbracht,
dass Pietro, eine Zeitlang wenigstens, den Plan ge-
hegt, sich der Malerei zu widmen. Dass er dieses
Vorhaben aufgegeben, brauchen wir gewiss nicht zu
beklagen, denn die Nachwelt hat nichts, rein gar
nichts dabei verloren: Aretino hätte ein ganz anderer
sein müssen, um in der bildenden Kunst auch nur
etwas zu erreichen, und es ist ohne weiteres klar,
dass er seine ersten, wohl gänzlich misslungenen
Versuche auf das ängstlichste verschwiegen, auch
diesen Teil einer unrühmlich verbrachten Jugend in
das Dunkel der Vergessenheit gehüllt wissen wollte.
Er am allerwenigsten war der Mann, dem es gegeben,
der Ausgestaltung eines begonnenen Werkes in selbst-

I loser Hingebung ganze Jahre zu widmen, er liebte
ein mühelos rasches Schaffen und rühmte sich laut,
an einigen wenigen Vormittagsstunden ganze Lust-
spiele, Dialoge und lange Tractate verfasst zu haben.

i „Wenn ich", so schrieb er seinem Gevattersmann
Marcolini, „nur den dritten Teil der Zeit, die ich
vergeude, zum Schreiben verwenden wollte, würden
alle Pressen nicht hinreichen, meine Werke zu drucken"
und für diejenigen, denen die Wahl des Ausdrucks
Mühe macht, hat er nichts als Spott und Hohn, als
»Pedanten" verfolgt er sie mit dem ganzen Ingrimm
seines Herzens. Gewiss ein solcher Mann ist nur
als Schriftsteller an seinem Platze, wenn es sich
darum handelt, das Publikum in Atem zu halten,
der Welt immer und immer wieder die eigene Per-
sönlichkeit vorzurücken, Reklame zu machen um

! jeden Preis; und so hat Tizian mit allem Recht den
Freund, dessen Bemühungen er nicht zum geringsten
Teil Ruhm und Ansehen dankte, bezeichnet als den
Condottiere der Litteratur, was wir übersetzen wollen
mit Stammvater der Journalistik. Aber wenn der
Aretiner es auch verstanden hat, „einzig mit einer
 
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