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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 4.1893

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Böck, Rudolf: Die Jahresausstellung im Wiener Künstlerhause, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5367#0209

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Die Jahresausstellung im Wiener Künstlerhause.

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natürlichen Begabung, unsere Zeit zu schildern, treu
geblieben? Hoffentlich dauert dies Verkennen der
eigenen Kraft nicht länger an. — Walter bringt eine
Neubelebung eines von dem Doyen der Wiener Pastel-
liten, Georg Decker, zuerst vor vielen Jahren gewagten
Versuches, ein genrehaftes Straßenbild in Pastell, bei
dem nur das Lokale liebevollere Durchführung verdient
hätte; die gegebene Anregung sollte weiter gepflegt
werden. — Unter den Feinmalern im besten Sinne des
Wortes steht Altmeister Menzel, der Vater des modernen
Genre, obenan mit seiner Idylle in Aquarell: ein vor-
nehmer Herr lauscht, am Frühstücktisch im Freien
sitzend, der Arie eines kleinen gefiederten Natur-
sängers. — Von den Wiener Künstlern ist in der-
selben Richtung thätig Hessl, der besonders mit seinem
„Freier" einen bedeutenden Schritt vorwärts gemacht
hat. — Eine ganze Reihe Einheimischer können wir
nur summarisch zeichnen: Hamza und Gisela, diesen
mit einer spitzigen Wiener Straßenscene mit Klatsch-
weibern und Liebespaar von heute, jenen von vor
hundert und soviel Jahren; Kinzel ist auf ähnlichen
Abwegen wie Bernatzik, Konopa ist stark impressio-
nistisch, aber glücklicherweise nur in der Erfassung
des Momentes — die Ausführung ist solid, die Em-
pfindung in der Arbeit tief; es ist wirklich gefühlte
„ Andacht", die er malte. — Die Tradition der Altwie-
ner pflegt mit starkem eigenen Empfinden Ellminger
in seinem Tierstück „an der Waldquelle" und einem
lebhaft erzählten „Markt im Waldviertel". — »Ahn-
liche Scenen, nur im glühenden Lokalkolorit seiner
Heimat, liefert der Spanier Galofre. — Silvio Rotta
hat durch eine humorvolle Darstellung der Wirkung
eines Windstoßes auf die am Strande arbeitende
„Damenwelt" eines italienischen Städtchens das Flui-
dum des Windes wie einen Geist festgebannt; Ko-
walski-Wierusz hat in seinem „letzten Sonnenblick"
ein schweres Problem hochkünstlerisch gelöst, das
Zusammenstoßen und Ineinandergreifen warmer Töne
des Hintergrundes in die kalten des Vordergrundes,
den ein polnisches Liebespaar von sprechender Natur-
wahrheit belebt.

Das religiöse Bild hat seinen vorzüglichsten Ver-
treter in Jose Benlliure mit seinem in Tempera aus-
geführten, von tiefster Empfindung getragenen toten
„St. Franciscus von Assisi". — Otto Seitz's „Madonna"
verliert sehr durch die unschön angebrachten und
wenig sympathischen, zum Teil recht geschmacklos fri-
sirten Engelknaben und Engelmädchen, — die Kinder
sind geschlechtlich zu deutlich getrennt. Die im
Schatten der Nacht gehaltene Partie ist die Licht-
seite des Bildes. — Unser Franz Zimmermann hat in

seinem Abendmahl stark italienisirende Typen, aber
eine wie die andere lebenskräftig, und bietet in der
Gruppirung des Ganzen viel neue Gedanken. — Veitlis
„Heilige Caecilia" ist ein mehr dekoratives Meister-
stück von vornehm-freundlicher Farbenwirkung. —
Vielversprechend ist Ballö in seiner Pietä. — Einen
lebensvollen Kopf Johannes des Täufers hat Benczur
ausgestellt. — Eine bedeutende künstlerische und
dichterische Kraft ist Peter Sta-ehiewicz, was er in den
zehn Grisaillen der „Volkssagen von der Mutter
Gottes" als Künstler von Gottes Gnaden beweist.

Als feingebildeter Maler zeigt sich uns von einer
ganz neuen Seite der Wiener Seligmann mit seinem
monumentalen Bilde: „Der Weg zum Hades" .nach
der Odyssee XXIV, Vers 4 bis 12, einer edlen Dar-
stellung des Hermes Psychopompos, der, als einziger
aus der ganzen Schar mit süßem Leben begabt, fest
und stolz hinabschwebt zu den stygischen Gewässern
und der Wiese mit Asphodel; wie ein Magnet das
Eisen, zieht er die Schemen hinter sich nach, die in
ergreifender, empfindungsvoller Weise und mit dem
dazu nötigen Aufgebote eines vollendeten großen
Könnens Jugend und Alter, frühgebrochene Kraft
und Schönheit, Affekte und Leidenschaften charakte-
risiren. — Eine stark geschminkte Reminiscenz an
Cabanel's gleichnamiges Werk bietet uns Hirsehl in
seiner „Venus Anadyomene", die uns wie seine zwei
letzten großen Werke wünschen lässt, den Künstler
wieder den Weg gehen zu sehen, den er seinerzeit
in seinem „Pestbild" betrat. — Viel aufrichtiger in
Farbe und Zeichnung ist der Triestiner Wostry, der
in seinem Bilde „Chloe und Daphnis" zugleich ein
schönes Können als Landschafter und Tiermaler be-
kundet; nur seine Menschen lassen — an Natür-
lichkeit zwar nichts — aber umsomehr bei Themen
wie das hier besprochene an Anmut zu wünschen
übrig. — Knüpfer's Meernymphen, von Kentauren ge-
schreckt, sind so wenig mythisch und so gut modern,
dass wir das Bild eine vorzügliche Marine mit eben-
solcher Staffage nennen müssen. — Dettmann's „Hei-
lige Nacht" leistet an impressionistisch behandelter
Mystik das Höchste. Es zeigt viel schöne Licht-
effekte, ein deutliches Auseinanderhalten der auf
Erden wandelnden Menschen, denen die frohe Bot-
schaft zu teil wird, von den ätherischen Scharen der
heilverkündenden Engel, die in dichtem Gedränge
um die Geburtsstätte des Knäbleins zur Anbetung
versammelt sind. Viel tiefreligiöse Empfindung ver-
rät sich an manchem Orte und ein überwältigendes
Drängen und Sehnen nach Glauben liegt darin. Der
Erfolg wäre ein ganzer, wenn mehr Liebe auf die
 
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