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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 5.1894

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Der kunsthistorische Kongress in Nürnberg, [2]
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Die erste Ausstellung der Sezession in München
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Die erste Ausstellung der Sezession in München.

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schlossenem Festakte übernahm Herr Stadtsekretär
Schüssler die Führung der Kunsthistoriker im Rat-
hause. Zuerst wurde der große Saal einer eingehen-
den Besichtigung unterzogen und dabei das ehemals
daselbst befindliche Peter Vischer'sche Bronzegitter
besprochen, dann kam die alte Ratsstube mit der
prächtigen gotischen Holzdecke und der aus dem
Jahre 1471 stammenden schönen Vertäfelung an die
Reihe. Hierauf fesselten den Blick der Besucher
die herrlichen Kamine der beiden Rathausgänge und
besonders die schöne Stukkoarbeit am Plafond des
zweiten Korridors, das Turnier oder das Gesellen-
stechen. Dass dabei Paul Ritter's treffliches Bild:
„Die Einbringung der Reichskleinodien" nicht ver-
gessen wurde, ist selbstverständlich. Der in der Re-
staurirung nach Professor Wanderers Plänen befind-
liche sog. kleine Rathaussaal interessirte besonders
die Beschauer durch den vollendet schönen, mit Male-
reien von Juvenel geschmückten, reich vergoldeten
Plafond. Im Standesamtssaal konnten sich die Be-
sucher an den herrlichen geschnitzten Portalen und
den dem Meister Peter Flötner zugeschriebenen Holz-
skulpturen der Vertäfelung erfreuen. Beim Durch-
schreiten der Gänge wurde der Architektur des Rat-
hauses und besonders den nach den Plänen des
Direktors v. Essen wein hergestellten Neubauten die
entsprechende Aufmerksamkeit gewidmet und die
hohe Vollendung der letzteren allseitig anerkannt.
Den Schluss der Wanderung bildete der Besuch der
Galerie, und hier war es vor allem Anselm Feuer-
bach's Kolossalgemälde: „Die Amazonenschlacht",
welches lange die Blicke der Besucher fesselte.

An den Besuch des Rathauses knüpfte sich eine
Wanderung durch die Hallen der nahegelegenen
Sebalduskircheund die Bauhütte derselben, aus welcher
die pietätvoll hergestellten Ersatzstücke für das in
Restaurirung begriffene herrliche Denkmal des spä-
teren Mittelalters hervorgehen. Ein Besuch der Burg
bildete den Abschluss des an mächtigen Eindrücken
reichen Tages.1)

DIE ERSTE AUSSTELLUNG
DER SEZESSION IN MÜNCHEN.

Das Wagnis der Sezession ist gelungen! Und
ein Wagnis war es. Eine Handvoll Künstler unter-
nimmt es, trotz direkten Widerspruchs der Behör-
den, trotz mannigfacher Behinderungen seitens der

1) Im ersten Teile dieses Berichtes, Nr. 1, Sp. 2, Z. 10
v. o. ist zu lesen: „werden" (statt: waren).

leitenden Stellen, trotz des eingebürgerten, weltbe-
kannten Rufes der Künstlergenossenschaft, sich ein
Heim zu erbauen und die Nationen zu sich einzu-
laden. Und sie kommen. Die Versprechungen, dass
das Unternehmen international und dass es eine
Kunstausstellung sein solle, sind glänzend erfüllt wor-
den. International, denn die Franzosen, die Eng-
länder, Schotten, Spanier, Italiener, Dänen, Schweden,
Norweger, Belgier, Holländer sind mit ihren besten
Namen vertreten; eine Kunstausstellung, denn es ist
nichts vorhanden, was nicht ein ernstes Streben,
eine beachtenswerte künstlerische Intention zeigte.
Nicht, dass nur lauter Meisterwerke bei einander
wären. Das zu verlangen, wäre thöricht genug,
aber das Niveau des Durchschnittes ist ein so hohes,
, wie es noch keine deutsche Ausstellung gezeigt hat,
und es fehlen vor allen Dingen jene Handelserzeug-
nisse, die man sonst in so großer Menge antraf.
Die Ausstellung der Künstlergenossenschaft bietet
eine Reihe außerordentlich interessanter Werke. Es
ist höchst verdienstlich, dass man eine so große
Anzahl herrlicher Böcldin's zusammengetragen hat,
dass eine Meissonier-Sammlung, dass Victor Müller,
Mittet, Corot, Daubigny, Courbet zu sehen sind. Aber
bei Beurteilung der Güte einer Ausstellung kommen
diese Namen nicht in Betracht, es kann sich nur
um das handeln, was das letzte Jahr hervorgebracht
hat, und von diesem Standpunkt ist es außer allem
Zweifel, dass die Leistung der Sezession bei weitem
die höhere ist.

Die Zahl der Nummern ist klein, kaum die
Hälfte von der des Glaspalastes, aber trotz oder
vielleicht gerade wegen dieser kleinen Zahl spiegeln
sich all die vielen Strömungen, in die sich das mo-
derne Kunstempfinden ergießt, getreulich wieder.
Wer diese Säle durchwandert hat, bekommt ein ziem-
lich vollständiges Bild von dem rastlosen Suchen,
dem Tasten und mühevollen Studiren, dem Gewor-
denen und dem im Werden Begriffenen. Das ist
eben der eigene Reiz, dass man die Anfänge und
alle die Etappen des Weges hier verfolgen kann.
Da sind die Fertigen, die noch in der altmeister-
lichen Tradition stecken und in diesem Kreise
Reifes und Ausgezeichnetes schaffen. Da sind die
Fertigen, die auf dem Boden der Entwickelung stehen,
welche die europäische Kunst seit den dreißiger
Jahren dieses Jahrhunderts durchgemacht, da ist
endlich die große Schar der Unfertigen, die, nicht
zufrieden mit dem Erreichten, nach neuen, unbekann-
ten Zielen streben, die technische Experimente
machen, um durch diese neuen Darstellungsmittel
 
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