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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 5.1894

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Warnecke, Georg: Die allegorischen Gestalten an den Mediceergräbern von S. Lorenzo
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https://doi.org/10.11588/diglit.5781#0129

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Bücherschau.

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die höchste Wonne irdischen Glückes im Erfinden
und Ausgestalten seiner großen Gedanken genossen
hat, sinkt herab in die Beschränktheit von Durch-
schnittsnaturen, sobald er sich in der Enge des
wirklichen Lebens unter Menschen bewegt. Von un-
endlich reizbarem Gemüt, hat er nie das Glück harm-
loser, ungebundener Fröhlichkeit gekannt, und wenn
auch die Arbeiten seiner jungen Jahre uns ein im
ganzen heller gestimmtes Gemüt zeigen, so kommen
schnell die Schatten. Es sind keine freundlichen
Sterne, die am Himmel seiner Seele heraufziehen:
Neid, Eifersucht, Misstrauen. Dazu bringen die
äußeren Umstände, in denen er lebt, wenig Sonnen-
schein. Frühzeitig mit Familiensorgen beladen, den
Familienfreuden bald für immer entsagend, in un-
ablässiger Arbeit sich abmühend, in ermattender
Nebenbuhlerschaft gegen Lionardo, Bramante und
Raffael, in ewigem Ärger und Verdruss über Kunst-
genossen und Arbeiter, ist er seines Lebens wenig
froh geworden. Seine Briefe sind voll von Klagen
über rastlose Anstrengungen, über leidende Gesund-
heit und den Druck häuslicher Sorgen. Die Traurig-
keit wird der Grundzug seiner Stimmung; Einsam-
keit des Lebens und Schaffens wird sein Trost.
Besonders schwer bedrückt sehen wir ihn in den
Jahren, die der Arbeit an den Mediceergräbern vor-
aufgehen. Er trauerte über das Juliusdenkmal, die
Tragödie seines Lebens; der Fassadenbau von San
Lorenzo hatte die bittersten Enttäuschungen ge-
bracht; er fühlte sich alt und matt. Da schweben
Nacht und Tag, Morgen und Abend heran, Allegorieen
eines nie ruhenden Kummers, eines fremden Kummers,
den sein Gemüt nicht kennt; aber sie werden von
neuem geboren aus seiner Seele heraus. Ob bewusst,
ob unbewusst — wer wollte das zu entscheiden
wagen vor einem Kunstwerke — mit Naturnot-
wendigkeit gießt er die große Trauer seines Lebens
in diese vier Gestalten.

Und nun können wir noch den letzten Schritt
thun. Von den Mediceergräbern als von einem poli-
tischen Denkmale zu sprechen, ist nicht mehr er-
laubt. Aber wenn durch Michelangelo's Briefe und
die Angaben von Zeitgenossen bewiesen ist, dass die
vier Figuren auf den Sarkophagen im April 1526
erst als angelegt gelten können, dass Michelangelo,
Anfang 1527 zu arbeiten aufhörte, dass er Ende 1530,
nachdem Alessandro von Karl V. zum erblichen
Herrscher der Stadt eingesetzt war, die Grabmäler
wieder begann, aber in tiefer Verstimmung, so kann
nichts gegen die Ansicht eingewendet werden, es
habe der Künstler, dem an und für sich die Trauer

die Hand führte, den Schmerz um die verlorene
Freiheit von Florenz in diese Gestalten mit hinein-
gemeißelt.

Mag die Decke der Sixtinischen Kapelle das
vollkommenste Werk des Meisters sein, die Alle-
gorieen der Mediceergräber bleiben seine persönlichste
Schöpfung. Wir fühlen ihn unmittelbar anwesend.
Wir stehen voll von Bewunderung und Staunen über
seine künstlerische Kraft, wir blicken mit wehmütiger
Rührung auf sein Leben. Unvollendet wie die
Statuen sind, erhöhen sie dieses Gefühl der persön-
lichen Berührung mit dem Künstler so sehr, dass
wir meinen, er müsste kommen, um den Meißel an
den Stellen, die uns die letzte unmittelbare Spur
seiner Hand zeigen, wieder anzusetzen. Die Trennung
von den Mediceergräbern wird uns schwer wie von
einem Freunde, von dem wir nicht wissen, ob wir
ihm je im Leben wieder begegnen werden.

BÜCHERSCHAU.

Brauch, Spruch und Lied der Bauleute. Von Paul
Roivald. Hannover, Schmorl und v. Seefeld Nachf. 1892.
Der Herausgeber dieser Sammlung ist einer der wenigen
Architekten, die geschickt die Feder zu führen wissen, ein
Mann von Witz, Humor und poetischer Anlage; das beweist
er auf jeder Seite des kurzweiligen Büchleins, das uns meist
alten Handwerksbrauch lehrt, der mehr und mehr im Aus-
sterben begriffen ist. Auf 183 Seiten macht uns Rowald
mit einer Menge kulturhistorischer Dinge bekannt, die er —
aus lebhaftem Interesse an seiner Kunst und ihrer Geschichte

— seit Jahren fleißig gesammelt hatte. Das allererten zerstreut
Gewesene ist hier mit Geschmack und Chic vereint und es
scheint uns zweifellos, dass manch alter Brauch, manch
alter Spruch nun zu neuem Leben erwachen wird. Besonders
interessant ist das Kapitel „Grundsteinlegung" mit seinen hi-
storischen Rückblicken und den poetischen Weihen, zu welch
letzteren auch der Psalm 127 gehört, der 1552 von Burchard
Waldis eine hübsche Unidichtung erfuhr. Nicht weniger
interessant sind das „Richtefest" und die Schlusssteinlegung;
wir erfahren durch einige „Schnürlieder der Maurer", woher
das Wort „schnüren" den Begriff von unmäßig „zahlen
müssen" hat. — Lustige Lieder aller beim Bau beteiligter
Handwerksleute, der Maurer und Zimmerleute, der Dach-
decker, Tischler, Glaser, Töpfer, Schornsteinfeger, Maler und
Schlosser führen zur sinnigen „Schlüsselüberreichung" hin-
über; zum Gelungensten gehört das Kapitel „Böse Zungen".
Das meiste an praktischem Erfolge versprechen wir uns
aber, wie schon oben angedeutet, von dem Artikel „Der
deutsche Hausspruch", der seit mehr als einem Decennium
wieder seine Auferstehung feiert und allerorten an und im
Hause angebracht wird, wenn er auch eine viel größere
Pflege verdiente, namentlich unter der Masse des Volkes,
das solcher Kernsprüche bedarf wie eines Himmelsbrotes.

— Das Büchlein, das uns so viel des Guten bietet, empfehlen
wir jedem Künstler auf das wärmste.

R. Bk.
 
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