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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 5.1894

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Korrespondenz aus Venedig
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https://doi.org/10.11588/diglit.5781#0160

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301

Korrespondenz

aus Venedig.

302

KORRESPONDENZ AUS VENEDIG.

Unter den mancherlei Verbesserungen und erheb-
lichen Verschönerungen, welche der Bequemlichkeit des
Galeriebesuchs zu Gute kommen und in die letzten
Zeiten fallen, darf vor allem die Ausschmückung des
neuen Assunta-Saales nicht unerwähnt bleiben: Ludwig
Passini hat in edler Freigebigkeit für dieselbe gesorgt,
indem er auf seine Kosten die Wände mit pracht-
vollem, hier gewirktem, grauem Damast schmücken ließ,
durch welch schöne würdige Wandbekleidung Tizian's
Assunta und Tintoretto's Meisterschöpfungen in neuem
Glänze strahlen und die Farbenpracht sämtlicher Bil-
der von Bellini, Paolo Veronese etc. unendlich gehoben
wird. — Auch einige neue Erwerbungen für die Galerie
dürfen nicht unerwähnt bleiben: Tiepolo's Name hat
so guten Klang, dass es gewiss von Wichtigkeit ist,
wenn ein großes Bild dieses Meisters im verflossenen
Jahre seine Auferstehung gefeiert hat.

Vor zwei Jahren war ich in der Hauptkirche in Castel-
franco-Veneto beschäftigt. Der Küster bot mir an, ein ver-
stecktes Bild des Tiepolo zu zeigen. Er möge es nur
immer bringen, antwortete ich etwas ungläubig. Zu
meinem Erstaunen schleppte der Mann eine riesig schwere
Bolle auf den Schultern herbei und entrollte sie vor
mir. Ein gegen 40' langer Fries entwickelte sich vor
mir auf dem Fussboden. Ich erkannte zunächst absolut
nichts, denn eine dicke Schimmelkruste bedeckte das
ganze Bild. Nach Entfernung derselben mittelst eines
kurzen Beisigbesens enthüllte sich vor meinen erstaun-
ten Blicken ein wenn auch furchtbar zerschundenes
Prachtwerk des G. B. Tiepolo von unzweifelhafter Echt-
heit. Es stellt eines jener Pestbilder dar, die in Venedig
so gern zum Lobe der Pestheiligen gemalt wurden. Im
gegebenen Falle „Moses und das WTunder der ehernen
Schlange in der Wüste". Durch vergoldetes Ornament
ist das Ganze in drei Teile getrennt, doch nur lose, denn
keines der drei Bilder konnte entfernt werden, ohne Teile
des daneben befindlichen mit herüberzunehmen. Auf der
Bückseite der Leinwand entdeckte ich die Aufschrift
S. Cosma alla Giudecca No. . . . Ich erkannte sofort,
dass es eines der unzähligen Bilder sei, welche aus
ihrer Kirche im Anfange des Jahrhunderts heraus-
gerissen , nirgends Platz finden konnten und von den
Begierungskommissären dann einer Anzahl Landge-
meinden übergeben wurden zu eventueller Verwen-
dung und „Aufbewahrung". — Dieses arme Bild nun
hat seit jener Zeit zerquetscht und halb verfault in
einem Keller gelegen, der der Kirchenverwaltung unter-
stellt ist. (Andere liegen noch dort, zum Glück wert-
losere Sachen!) — Bei den Kirchenvorständen, welche
ich besuchte, war kein Verständnis zu finden für das
Schicksal des Bildes, noch für das, was geschehen müsste.
— Sie könnten es nicht aufstellen, weil zu groß, nicht
restauriren lassen, weil sie mittellos seien, nichtverkaufen,

weil es der Begierung gehöre, ich möge aber über die
Angelegenheit und das Bild schweigen.

Ich schwieg natürlich nicht. Com. Barozzi, der der
hiesigen Galerie als Direktor vorsteht, hatte volles Ver-
ständnis für meine Mitteilungen: doch brauchte es ein
Jahr, bis es ihm gelang, das Bild zu requiriren für die
hiesige. Galerie.

Viel wurde vorher hin- und hergeschrieben (das Bild
war plötzlich fürCastelfranco wertvoll geworden!), bis
dasselbe endlich hier war. Es ward gefüttert und
Galerieinspektor Botti machte an einer einzigen Stelle
eine Probe mit Farbenausfüllung der zahlreichen Quet-
schungen. Com. Barozzi hatte jedoch vergessen, das Dafür-
halten der betreffenden Kommission vorher einzuholen.
Einige Mitglieder derselben, der Ansicht, dass man es
mit einem in seltenster Weise unberührten Gemälde zu
thun habe, nahmen voll Entrüstung ihre Entlassung und
Botti musste die Bestaurationsprobe entfernen. — In
dem neuen Oberlichtsaale, in welchem alle neueren Bil-
der der Sammlung, von Tiepolo an, vereinigt wurden,
fand nun der schöne „merkwürdig durch die seltene Gunst
der Umstände erhaltene (!) Tiepolo" seine endgültige
Aufstellung.

Dem Eintretenden gegenüber nimmt er die ganze
Breite des Saales ein. Die Brutalität der Menschen
hat ihn vor der Brutalität der Bilderrestauratoren ge-
schützt, als ein Opfer der Gleichgültigkeit früherer und
späterer Behörden. — Com. Barozzi, dem einsichtsvollen
Manne, gönnt man gerne das Verdienst, dieses Bild ge-
rettet zu haben. Hätte nicht die Verbindung der ein-
zelnen Teile des Frieses durch obengenanntes Ornament
dem Zerschneiden im Wege gestanden, das Bild würde
ganz gewiss das Schicksal vieler anderer Venezianischer
Bilder gehabt haben, in einzelne Teile zerlegt und
separat verkauft zu werden, und würde somit schon
längst aus Castelfranco verschwunden sein. Zum Glück
war es zu groß, um es verschwinden zu lassen.

Bewundern wir in genanntem Tiepolo ein wieder-
erstandenes Kunstwerk, welches unter den Lebenden
niemand an seinem ursprünglichen Aufstellungsorte ge-
sehen, so begegnen wir zwei weiteren Erwerbungen der
Galerie, bei deren Betrachtung in anderer Weise das
Bedauern über den Hingang aller irdischen Herrlichkeit
und Macht Platz greift. Es sind das die zwei im langen
Korridore aufgestellten Büsten von der Hand des großen
L. BrrniniunA beide stellen den KardinalScipio Borghese
dar, Bruder Paul's V. Sie bildeten vor dem Fall der
Familie Borghese, jüngsten Datums, mit anderen Fami-
lienbüsten den Schmuck jenes prachtvollen Spiegelzim-
mers, mit den Blumen des Mario dei fiori, und hoben sich
von den reichen Marmorverkleidungen so vornehm ab.
W arum die Begierung beide Büsten, die doch ein und
denselben Mann darstellen, gerade hierher geschickt hat
und der hiesigen Galerie zur Aufstellung übergab, das
soll ganz besondere Gründe haben. Sie kosteten 4000 Frk.
 
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