Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 6.1895

DOI Artikel:
Die Pariser Salons von 1895
DOI Artikel:
Wolf, August: Erste internationale Ausstellung in Venedig, [3]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5782#0275

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
537

Erste internationale Kunstausstellung in Venedig. III.

538

„Wunderthäterin von Lourdes" schildert, „restee d'une
delicate enfance pour ses ans, charmante quand meme",
ein Körper, den die seelischen Erlebnisse nie zur Fülle
ausreifen ließen. Wunderlich schaut aus der Eisenhaube
das Köpfchen hervor. Grobe Züge, eine Nase ohne jeden
Anspruch auf Klassicität und kleine Augen. Aber sie
schaut so zuversichtlich, so innig schwärmend zum
Himmel empor. Steil im hohen Kennsattel stehend, reckt
sie das Schwert empor, mit einer Geberde, als ob sie
es der heiligen Mutter Gottes weihend darbrächte. Es
ist keine rachedürstende Schwertheldin, es ist ein Weib,
von himmlischer Begeisterung überstrahlt, und in den
Kampf hinausreitend, als ziehe es sie zu den ewigen
Sternen hinauf, als stehe kein Feind mehr drohend
vor ihr.

Das Aufrichtige, Ungeheuchelte, so rein Empfundene
in dieser Mädchengestalt, das Charaktervolle in Haltung
und Bewegung, der B eiterin wie des Bosses, die seltene
Fähigkeit, keinen Zoll breit von der Natur, der Wahrheit
abzuweichen und doch so edel, so groß im Ausdruck zu
werden, die Fähigkeit, alles mit Leben zu erfüllen und
doch feierliche Kuhe über dem Werke schweben zu lassen,
das sind die Eigenschaften, welche dieses heute noch
nicht genügend gewürdigte Werk als mustergültiges
Meisterwerk erscheinen lassen. Die übrigen im Salon
ausgestellten Standbilder der Jeanne d'Arc von Mercie u. a.
sind allesamt weit entfernt von diesem schlichten Helden-
tum, effektvoll, aber doch nicht so überzeugend.

Von größeren Denkmalen scheint mir nur Theunissen's
„Verteidigung von St. Qnentin gegen die Spanier (1557)"
über das bei französischen Bildhauern übliche geschickte
Arrangement hinauszugehen.

Als Effektstück darf Fremict's „Orang-Utang, einen
Javaner erdrosselnd" nicht übersehen werden. Mag
Fremiet auch die Wahl des Sujets sich nicht weit von
jenen Tamtamhelden der Salonmalerei entfernen, die
Durchführung ist doch großartig und frappant. Mit
seinem frauenraubenden Orang-Utang hatte der Künstler
ja einen so überwältigenden Erfolg gehabt, dass die
Bückkehr zu dieser ersten Liebe berechtigt erscheint
Die dämonische Wildheit, das Biesenstarke dieser Bestie
auszudrücken, gelingt wohl keinem zweiten so wie Fremiet.
Dass er die tiefen Bisswunden im Fleische des nieder-
geworfenen Mannes, die aus einer Speerwunde heraus-
quellenden Eingeweide des Tieres mit sichtlichem Behagen
hervorhebt, und diese Wunden durch rötliche Tönung
noch auffallender macht, das muss man eben in den
Kauf nehmen.

Die Masse der übrigen plastischen Werke setzt
sich zusammen einerseits aus der üblichen Verkaufsarbeit,
Statuen, Borträtbüsten und Aktfiguren, darunter eine
üppige, Eubenshafte Susanna von Barran, eine delikat
gezeichnete von Falguiere, anderseits aus naturalistischen
Effektstücken. Von letzterer Gattung kann weder die
„Nativite" von Fulconis — eine nach Geburt ihres

Kindes erschöpft hingestreckte Frau — noch „les cartes"
von Frl. Janzion (Büste eines Skatspielers) uns fesseln.
Brillant aber ist das über Felsen mit hastigem Sprunge
setzende Pferd von Oalliard-Sansonetti, von feinster
Beobachtung des bewegten Körpers zeugend.

Ziehen wir das Facit, so ergiebt sich, dass unter
den Tausenden ausgestellter Werke beider Salons viel-
leicht nur die Jeanne d'Arc von Dubois als ein monu-
mentum aere perennius gelten darf. Wer aber das
furchtbare Kreuzigungsbild Munkacsy's sich vor Augen
hält, wird doch den Trost mit sich tragen, dass trotz
alledem die Gesamtleistungen, wenigstens in technischer
Hinsicht, rastlos höherer Vollkommenheit zustreben, und
all' diese gewaltige Arbeit der Zukunft einen frucht-
baren Boden bereitet.

ERSTE INTERNATIONALE AUSSTELLUNG
IN VENEDIG.
III.

Von der Skulptur, welche auf unserer Ausstellung
in annähernd 60 Nummern vertreten ist, lässt sich nicht
viel Erhebliches melden. Kaum kann dieser Teil der
Ausstellung für „international" gelten, denn nur ganz
vereinzelt haben Ausländer der Einladung entsprochen.
Die Büsten Tilgners dürften wohl die wichtigsten
Stücke der gesamten Ausstellung sein. Besonders
eine feine weibliche Marmorbüste, halb bemalt, ferner
diejenige des Geigers Strauß u. a. Ein sehr schöner
David, nur Gypsmodell, von van der Stappen, ist von
j diesem Brüsseler Künstler der Stadt Venedig geschenkt
worden. Unter den Italienern nimmt die erste Stelle
der Palermitaner Trentacoste ein, mit einer ungemein
zarten, weiblichen, nackten Marmorfigur. Er hat dieses
verlassen am Boden kauernde schöne jugendliche Wesen
„laDiseredata" genannt. Die Abmagerung des Mädchens
ist nicht so weit vorgeschritten, dass ihre Schönheit
darunter gelitten hätte. Außerordentlich schön ist die
bis ins Kleinste gehende anatomische Durchbildung des
Kückens und die edle Wendung des feinen Halses urd
Kopfes. Leider hat man sich von Seiten Italiens den
Ankauf dieses Meisterwerkes entgehen lassen: das Musen
Bivoltella in Triest hat es erworben.

Der Venezianer Urbano Nono hat seine Bronzefigur,
„ilturbine" genannt, an den Staat verkauft. Eine jugend-
liche magere Knabengestalt dreht sich in wildem Kreisel,
interessirt aber nicht in demselben Grade wie frühere
Arbeiten desselben Künstlers. Marsiii hat eine Grab-
figur in doppeltlebensgroßem Gypsmodell ausgestellt.
Beich drapirt steigt sie die zum Sarkophage empor-
führenden Stufen herab. Lorenxetti stellte einen im
Sturmlaufe begriffenen römischen Krieger dar. Sein
Gypsmodell wurde durch Ankauf von Seiten des Staates
ausgezeichnet. Von L. de Paoli aus Pordenone sehen
wir auch diesmal wieder eine tüchtige Arbeit: einen
 
Annotationen