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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 7.1896

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Michaelis, Adolf: Raffael's Geburtstag
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https://doi.org/10.11588/diglit.5774#0099

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE.
Ankündigungsblatt des Verbandes der deutschen Kunstgewerbevereine.

HERAUSGEBER:

CARL von LÜTZOW und Dr. A. ROSENBERG

WIEN

Heugasse 58.

BERLIN SW.

Warten burgstraße 16.

Verlag von E. A. SEEMANN in LEIPZIG, Gartenstr. 15. Berlin: W. H. KÜHL, Jägerstr. 73.

Neue Folge. VII. Jahrgang.

1895/96.

Nr. 12. 16. Januar.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur „Zeitschrift für bildende Kunst" und zum „Kunstgewerbeblatt" monatlich dreimal, in den
Sommermonaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der „Zeit-
schrift für bildende Kunst" erhalten die Kunstchronik gratis. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshaudlung keine Gewähr. Inserate, ä 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung
die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

raffael's geburtstag.

Der Neudruck von Anton Springer's „Raffael und
Michelangelo" veranlasst mich, einen kleinen Fund mit-
zuteilen, den ich vor Jahren bei Gelegenheit anderer
Studien machte und, wenn icli mich nicht irre, damals
meinem verstorbenen Freunde meldete. In der neuen
Ausgabe hat er keine Erwähnung gefanden. Leider
bietet er nicht sowohl eine ganz gesicherte Lösung einer
vielumstrittenen Frage, als vielmehr neue Zweifel und
Möglichkeiten.

Über Raffael's Geburtstag besitzen wir bekanntlich
zwei Zeugnisse, das des Kardinals Pietro Bembo und
die Angabe Vasari's. In Bembo's Grabschrift, die bald
nach Raffael's Tode verfasst ist, heißt es von diesem:
vixit an. XXXVII. integer integros: quo die natus est
eo esse desiit VIII. Id. April. MDXX. Hätten wir nur dies
eine Zeugnis, so würde wohl niemand diese Worte anders
verstehen, als dass der 6. April 1520 zugleich Raffael's
Geburtstag war, an dem er sein 37. Lebensjahr voll-
endete; er würde demnach am 6. April 1483 geboren
sein. Wenn daneben auch die Angabe Fabio Chigi's in
seiner Lebensbeschreibung Agostino Chigi's (S. 30 ed.
Cugioni) geltend gemacht wird: obiisse constat anno
MDXX die VI Aprilis, eadem qua natus erat Septem
supra triginta ante annos, so scheint es mir einleuchtend,
dass hier kein selbständiges Zeugnis vorliegt, sondern
nur Bembo's Ausdruck fast wörtlich wiederholt wird.
Beide Äußerungen schweigen davon, dass Raffael's Todes-
tag auf den Karfreitag fiel.

Anders steht es mit Vasari: nacque . . . l'anno 1483
in venerdi santo (d h. 28. März) a ore tre di notte, und
nachher: fini il corso della sua vita il giorno medesimo
che nacque, che fer il venerdi santo, d'anni trentasette.
Allerdings legt der Hinweis auf den giorno medesimo

che nacque die Annahme nahe, dass Bembo's Elpgium
auch hier zu Grunde liege und die Bezeichnung des
Karfreitags als des Geburtstages nur ein falscher
Schluss Vasari's aus dem Todestage, der auf einen Kar-
freitag fiel, sei. Der so viel jüngere Vasari, der zur
Zeit von Raffael's Tode noch ein Knabe war, scheint
gegen das Zeugnis des unmittelbaren Zeitgenossen und
Bekannten vixit annos XXXVII integros nicht auf-
kommen zu können. Allein dass Vasari doch nicht bloß
aus Bembo's Epigramm seine Kunde geschöpft hat, be-
weist die in diesem fehlende Angabe der Geburtsstunde
a ore tre di notte. Eine solche Angabe bringt Vasari.
so viel ich sehe, nur noch bei Michelangelo (il sesto di
di marzo, Ja domenica, intorno all' otto ore di notte),
in sachlicher Übereinstimmung sowohl mit dem Eintrage
des Vaters Buonarroti in seinem Hausbuch, als auch mit
dem vermutlich auf Michelangelo selbst zurückgehenden
Zeugnis Condivi's. Aber während Vasari bei Michelangelo
diese genaue Angabe in Verbindung mit dem Horoskop
bringt, fehlt so etwas hei Raffael. Das Misstrauen
gegen eine so genaue Kunde wächst, wenn wir erfahren,
dass die angebliche Geburtsstunde wiederum mit der
sicheren Todesstunde zusammenfällt. Gewiss mit Recht
erblickt Springer darin einen Ausfluß von Vasari's „über-
treibendem pragmatischem Stile". Nichtsdestoweniger
bleibt die Thatsache bestehen, dass Vasari's Angabe nicht
einfach auf Bembo's zugespitzte Fassung zurückgehen
kann.

Die Nachricht von Raffael's Todesstunde verdanken
wir dem lehrreichen und schönen Briefe, den der Vene-
zianer Marcantonio Michiel (der sog. Anonymus Morel-
lianus) am 11. April 1520 an einen Freund in der
Heimat richtete; eine Kopie des Briefes ward von Ma-
rino Sanudo in seine ausführlichen handschriftlichen
Diarii aufgenommen und ist daraus im Jahre 1800 von
 
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