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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 7.1896

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Grasset, E.: Pflanzen-Ornament von E. Grasset
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https://doi.org/10.11588/diglit.5774#0222

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431

Pflanzen - Ornament.

432

PFLANZEN-ORNAMENT.

VON E. QRASSET.

Wer die geistvollen Illustrationen zu den Haymonds-
kindern, und die unlängst erschienenen Monatsbilder
und Affichen des Künstlers kannte, musste mit Spannung
dem angekündigten Werke „Die Pflanze und ihre orna-
mentale Verwendung" entgegensehen. Nunmehr ist die
erste Lieferung erschienen1) und eine Einleitung im
Lapidarstil macht uns mit dem Gedankenkreise bekannt,
aus dem die Arbeiten der Künstlergruppe unter der
Führung Grasset's hervorgegangen sind. Grasset will
keine „neue Kunst" erfinden, eine Sache, die übrigens
unmöglich ist, er will sich mit dem Versuch begnügen,
voranzuschreiten, indem er absieht von irgend einer
Nachahmung der ornamentalen Kunst eines andern Zeit-
alters.

„Es ist notwendig, dass die Künstler unserer Tage
sich in den Zustand der archäologischen Unwissenheit
der Arbeiter von ehedem versetzen, jener, welche die
schönen Dinge betrachteten, aber sie nicht „nachpausten"
(qui regardaient les helles choses, mais ne les decal-
quaient pas). Seit dem Ende des letzten Jahrhunderts
giebt es keine Tradition mehr, die man fortsetzen könnte,
und auf die man sich stützen könnte; es ist also besser,
sich ohne weiteres den klar erkannten Ursprüngen der
Kunst zu nähern.

Der Entwurf muss aus den besonderen konstruktiven
Gesetzen des Gegenstandes entwickelt werden, die Motive
der Verzierung sind der Natur entnommen.

Diese natürlichen Formen können nur in der Weise
angewendet werden, dass man sie in jedem Falle an-
passt an das Material, das zur Hervorbringung des
künstlerischen Erzeugnisses verwendet wird. Die Ver-
kennung dieser einfachen Wahrheit bewirkte, dass alle
Stile in Verfall geraten sind."

Grasset will kein selbständiges Kunstwerk liefern
(bien loin de pretendre au chef-d'oeuvre); er und sein
Kreis begnügen sich, der Industrie vor allem praktische
Beispiele zu liefern, unter Wahrung des Grundsatzes:
„Unerbittlicher Krieg der Nachahmung des schon Da-
gewesenen".

Eine bemerkenswerte Äußerung, die wohl der
Hauptsache nach aus Pariser Verhältnissen erwachsen
ist, finden wir betreffs der künstlerischen Frauenarbeit.
„Was mich betrifft, so gehe ich vertrauensvoll und
siegesgewiss in diesen Kampf, umgeben von einer beschei-
denen Phalanx, aber einer frischen Truppe, denn sie
zählt in ihren Reihen immer mehr junge Angehörige des
weiblichen Geschlechts, und sie sind nicht die schwächeren
in diesen Tagen, da das Leben hart geworden ist, umso-
weniger, als das Pflichtgefühl bei dem starken Ge-

1) La plante et ses applications ornamentales, public sous
la direction de E. Orasset. Librairie centrale des Beaux-
Art«, E. Levy, 13 rue Lafayette, Paris.

schlecht oft abgestumpft ist, oder überhaupt fehlt, und
nur ersetzt wird durch eine abscheuliche Eitelkeit,
welche den Namen „dekorativer Künstler" (Ornemaniste)
für eine ebenso große Beleidigung erachtet wie den Titel
„Feldmesser".

Mit einer gewissen Feierlichkeit, wie vor einem
schweren Kampf, ertönen diese Worte. Es ist als ob
es sich um die Durchsetzung eines neuen Prinzips handle.

Auch für Frankreich, einem in künstlerischen Dingen
außerordentlich konservativen Lande, scheint dies nicht
mehr der Fall zu sein. Erinnern wir uns doch, wie bei
der Ausstellung der Preisarbeiten von Lyon und St.
Etienne, auf der Pariser Ausstellung von 1889, jene
Entwürfe die großen Preise erhielten, welche sich in
derjenigen Richtung bewegten, welche wir die natura-
listische nennen; und wurden doch in Chicago 1893
unter den französischen Silberarbeiten gerade die Ge-
fäße von Christofle am meisten bemerkt und gerühmt,
welche sich am engsten an die Naturformen anschlössen.

Allerdings: denken wir uns in die dem französischen
Geiste entsprechende Folgerichtigkeit hinein, so müsste
ein harter Kampf entbrennen, wenn nun etwa die in
festen Traditionen vielleicht zu sehr beharrende Möbel-
industrie oder die größtenteils von der Imitation lebende
Bronzeindustrie angehalten würde, sich in kurzer Zeit in
der von Grasset angegebenen Weise umzuformen.

Aber die Geschichte ist immer, auch in Frankreich,
karg gegen das Ideal, und es ist dafür gesorgt, dass die
Bäume nicht in den Himmel wachsen.

Die „Alten" werden in ihrer Routine fortarbeiten,
bis sie an den Einnahmen merken, dass sich im Ge-
schmack des Publikums eine Wandlung vollzogen hat.
Und diese Wandlung geht heutzutage rasch vor sich. Die
Neigung bei Erfindung ornamentaler Muster auf die Natur
zurückzugehen, liegt sozusagen in der Luft.

Die großen Verdienste Grasset's für die Förderung
dekorativer Kunst sind unbestreitbar; er hat in An-
lehnung an japanische Kunstübung eine originelle farbige
Illustrationstecknik geschaffen, hat in seinen Haynionds-
kindern die frühfränkische Zeit mit einer Art von hell-
seherischer Kraft erweckt, und in den Zierleisten dieses
Werkes mit unerschöpflicher Phantasie Neues gegeben;
er hat in den Monatsbildern Farbensymphonieen von
durchaus neuen Wirkungen und von der anmutigsten
Schönheit hervorgebracht, und sein Werk über die
Pflanze wird — da3 darf man nach den ersten sechs
Blättern schon sagen — die Bewegung der ornamentalen
Kunst in naturalistischer Richtung erheblich fördern.
Grasset ist eine ausgeprägte Charakterfigur unter der
kleinen Schar der Pfadfinder, aber als den Bahnbrecher,
der in hartem Kampf einer Welt gegenüber einen neuen
Gedanken durchsetzt, — wie es seine Vorrede will —
als solchen vermögen wir ihn nicht anzuerkennen. Und
dies aus dem für ihn nicht verletzenden Grunde, weil
die Bahn schon seit geraumer Zeit eröffnet ist.
 
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