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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 7.1896

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Feld, Otto: Bing's "L'art nouveau"
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https://doi.org/10.11588/diglit.5774#0228

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443

Bin^g „l'Art nouveau".

444

Teil sehr schöner Gläser und Fayencen, Stoffe, Möbel,
Kacheln, Beleuchtungskörper, Bronzen, Schmuekgegen-
stände, Bucheinbände u. s. w. in allen möglichen Ge-
schmack- und — Moderichtungen. Ergiebt die Gesamt-
heit von all dem die neue Kunst, so schlechtweg „die"
neue Kunst?! Wer wird dieser neuen Kunst die Grenzen
abstecken wollen? Wann hat sie begonnen? Mit Millet,
mit Monet, mit Besnard oder mit Khnopff?! — Oder ist
etwa „die neue Kunst", die Herr Bing meint, diejenige,
deren Produkte man an sog. moderne Menschen verkaufen
kann? —

Doch schauen wir uns zunächst einmal in dem
Kaufhaus etwas genauer um! Den Hauptteil des Baumes
nimmt ein Lichthof ein, auf dessen beiden Galerieen wir
im ersten Stockwerk an den Wänden hinter einer Beihe
sehr schöner Thongefäße in buntem Durcheinander eine
Zeichnung von Menzel neben einer Lithographie von
Maurou, ein rohes Pastell von Ranfft neben einer
getuschten Zeichnung von Condey, einen sehr skizzen-
haften Raffaelli, eine etwas absichtlich in den Baum
gebrachte Radirung Köpping's und ähnliches mehr noch
finden. Die gegenüberliegende Wand füllt eine Samm-
lung sehr schönfarbiger Kacheln. Im zweiten Stock-
werk einige entsetzlich geschmacklose, kindlich un-
beholfene Sachen von Valloton, dicht dabei ein paar
meisterhafte Arbeiten des köstlichen Humoristen Ibels,
zwei sehr interessante Blätter farbiger Radirungen, einen
schön gezeichneten und technisch sehr gut behandelten
Akt von Köpping (Radirung), einige helle Landschaften
von Sounier und ein paar stimmungsvolle Skizzen von
Roussel. Im ganzen neben vielem Verfehlten ein paar
hübsche Arbeiten, aus denen wir aber über ihre Schöpfer
nichts erfahren, was wir nicht von anderen Ausstellungen
hier schon über sie wissen.

Der Hauptwert scheint in dem Hause auf eine An-
zahl kleinerer Räume gelegt zu werden, in denen augen-
scheinlich gezeigt werden soll, was die „neue Kunst"
für die Gestaltung von Wohnräumen zur Verfügung hat.
Durch ein kleines Vorzimmer betreten wir im Erd-
geschoss einen kleinen Salon, dessen Hauptschmuck eine
Reihe dekorativer Malereien ausmachen, die Besnard aus-
geführt hat. Der Plafond ist eine vortreffliche Arbeit
und reiht sich würdig neben die großen Leistungen des
Meisters in der Eeole de Pharmacie und im Hotel de
Ville. In der Mitte des Rundbildes sehen wir eine
Figur, Sterne ausstreuend, die als ein Kranz anmutig
bewegter Frauengestalten sie umgeben. Linienführung
und Farbengebung sind von hoher Schönheit und das
Bild wirkt in dem starken Ton und trotz der lebhaften
Bewegungen der Figuren vornehm und dekorativ. In
den elf Panneaux, die in die Wände eingelassen, land-
schaftliche Darstellungen geben, spricht ein starkvioletter
Ton ein wenig zu kräftig und giebt mit der gelben
Farbe des Sammetstoffes, mit dem die Möbel und Wände
bekleidet sind, keinen erfreulichen Zusammenklang. Die

Wirkung dieser Landschaften geht über das Dekorative
hinaus und ist, wenigstens für den kleinen Raum, zu
stark. Drei winzige Bänke, in die Nischen eingefügt,
von deren Fenstern aus der Salon sein Licht empfängt,
sind die einzigen Möbel in diesem Raum. Der in die
Wand zurücktretende Kamin fügt sich mit seinen gelb-
lichen Kacheln dem Ganzen gut ein. In zwei Vitrinen
stehen schöne farbige Gläser.

Die Reihe der Wohnräume im ersten Stockwerk be-
ginnt mit einem Rauchzimmerchen. Ein mächtiger, viel
zu schwer wirkender Aufbau in Mahagoniholz nimmt
die eine ganze Wandfläche ein. In unschönen wulstigen
Linien baut sich über dem großen Sophasitz eine Rück-
wand auf, die einen Spiegel einschließt. Ein Bordgesims,
das an den Fries anstößt, sucht nach oben einen Ab-
schluss zu geben. Der rötliche dunkle Ton des Holzes
mit der blauen Farbe des Sitzbezuges, auf dem zwei
tiefgelbe Kissen liegen, zusammen mit der Schwere in
der Linienführung des Möbels machen das Zimmer düster
und unerfreulich. Ein ganz kleines kniehohes Tischchen
mit vier mageren Beinen lässt die großen Formen des
Sophamöbels noch drückender erscheinen. — Einem ähn-
lichen Missverhältnis begegenen wir in dem anstoßenden
Esszimmer. Der riesige Tisch, der den größten Raum
der Abteilung einnimmt, ist viel zu groß für das
Zimmer, wie im Verhältnis zu den niedrigen Schränken,
die wohl auch als Servirtische gedacht sind. Die
Tischplatte des Esstisches ist in der Mitte durch ein
etwas überhöhtes Feld unterbrochen, in das rötliche
Kacheln eingelassen sind. Diese Idee mag neu sein,
glücklich erscheint sie mir nicht. Soll dieses Feld, das
doch wohl bei Benutzung der Tafel unbedeckt bleiben
muss, die Schüsseln oder die Ziergeräte tragen?! — Es wird
immer wie ein Fleck in dem weißen Tischzeug wirken.
Sehr schön fügt sich in die Täfelung, die wie alle Möbel
des Raumes aus Natur-Cedernholz gefertigt ist; auch hier
der große mit grünen Kacheln bekleidete Kamin, den
ein großes Tiffany'sches Transparent überragt, das von
hinten beleuchtet wird. Zwei schwere Lehnstühle zu
den Seiten des Kamins vervollständigen das Bild.

Der nun folgende Raum, ein Wohnzimmer oder
Cabinet d'amateur oder dergl., wirkt mit seinen mageren
Möbeln frostig und leer. Das gradlehnige Sopha, das
sich von dem üblichen Bordsopha nur durch die Dürftig-
keit des Holzgestelles und durch ein winziges Schränk-
chen unterscheidet, das über dem langen Bord kaum
30 cm hoch sich erhebt, die Schränkchen mit allerhand
Vorrichtungen, um Mappen und Bücher u. dergl. unter-
zubringen, die niedrigen Fauteuils, deren ungepolsterte
Armlehnen so weit von einander entfernt stehen, dass
man nur schwer die Arme aufstützen kann, geben kein
angenehmes Ganzes. Hier, wie an allen den Möbeln, die
wir in den Räumen finden, ist jede Zierat ängstlich
vermieden. Aus Furcht, von einem der alten Stile ent-
lehnen zu müssen, was man selbst zu erfinden nicht im
 
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