Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 7.1896

DOI article:
Die Galerie Miethke in Wien
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5774#0259

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
505

Die Galerie Miethke in Wien.

506

hochnotpeinlichen Prüfung kaum standhalten würde —
die bräunlichen, vielleicht durchgeschlagenen Lufttöne
— aber doch ein überraschend markiger Wurf, in der
halben Regenstimmung, mit dem eigentümlichen atmo-
sphärischen Flimmern solcher Regentage. Ein kühler
Wind streicht darüber hin und die Blätter scheinen zu
fallen. Constable, der große Unabhängige, redet aus
diesen Tönen, ein Einsamer, ein Selbstvertrauender. Kein
Wunder, dass er lange wartete, ehe die Anerkennung
kam. Aber sein Glück war, dass er warten konnte:
er konnte eben auch in Bezug auf seinen Geldbeutel —
Engländer sein.

Der noch kaum genannte engliche Maler J. W. God-
ward ist durch eine im Tadema-Stil gehaltene pompe-
janische „lady" vertreten, deren üppige Glieder von
einem durchsichtigen Gazegewand lässig verhüllt sind.
Sie liegt in wohligem Behagen auf einem Tigerfell
schlafend und ihr aufgelöstes, rotgoldnes Haar breitet
sich darüber aus, während der linke Fuß vom Lager
herunter in einem langhaarigen schwarzen Bärenfell halb
verschwindet. Eine Variation auf das sinnenprickelnde
Thema: Weib und Pelz. Die sehr geschickte Technik
ist noch weicher als die von Alma-Tadema und auch
weniger klassizirend und „martnorisirend" in der Be-
handlung.

Unter den Schotten sind John Lavern, mit einer
flottbewegten Skizze vom beliebten Lawn-Tennis-Spiel,
und die Landschafter Brown und Nisbet vertreten.
Ferner Patersöh mit sehr originellem und feingetöntem
Aquarell. Dann George Henry (Pastell) und George
Pirie.

Für die Wiener von speciellem Interesse ist ein
vorzügliches Porträt Victor Tilgner's aus jüngeren
Jahren, von Rumpier. Man hat Mühe, ihn wieder zu
erkennen, wenn man nur den späteren Tilgner gekannt.
Doch der ehrliche Blick des derben, aber mageren Ge-
sichts ist derselbe.

Gabriel Max' „Herbstreigen" ist eines jener Werke,
zu denen das Auge jedesmal zurückkehrt, um neue
Schönheiten darin zu entdecken. Sattes, tiefes Kolorit
der Venezianer, in einer vornehmen Größe der Auffassung,
die dem Giorgione sehr nahe kommt. Ernste Hingabe
mit stiller Wehmut verbunden, jenes unsagbare Etwas,
jene gedämpfte Glut, die den jungdahingerafften Tizian-
rivalen kennzeichnet, lebt in diesem Werke auf. Noch
vermag sich die tiefe Sehnsucht nicht in Tizian's freie
Heiterkeit zu befreien. Am meisten spricht diese
Stimmung aus der Gestalt des am Baume lehnenden
Jünglings, der die Blume entgegennimmt. Und selbst
in dem langsam bewegten Reigen der Mädchen und
Frauen, in dem schweren Seidenbrokat ihrer Gewänder,
in Haltung und Blick liegt stilles Entsagen und das,
was Göthe ,.Wonne der Wehmut" nennt. Aber eine
ruhige Macht lebt in diesem Bilde, worin der Stich ins
Sentimentale, der Max zuweilen anhaftet, völlig durch

die Größe der Auffassung aufgehoben erscheint. Und
das dunkle Grün des Waldes klingt dazu in ernstem
Adagio.

Wir verlassen den Saal und gelangen im ersten
Stock zunächst in das derzeitige „Lenbackzimmer"r.
Während unten der Charakter größerer Ausstellungs-
räume immerhin beibehalten ist, trägt hier alles den
Stempel des Privaten, Tntimen. Magisches Halbdunkel,
mit Draperieen behangene Thüren, und der Fuß gleitet
geräuschlos über weiche Smyrnateppiche; reichgetäfelte
schwere Holz-Plafonds in Braun und Gold, Schränke mit
Elfenbein-Intarsia und im Hintergrunde führt eine pracht-
voll geschnitzte breite Wendelstiege aus Eichenholz zu
den Wohnräumen des Besitzers. Es scheint, als wäre
hier die ursprüngliche Anlage dem jetzigen Zweck und
Arrangement sehr zugute gekommen. Alles auf Ge-
schmack, Genuss und Komfort zugeschnitten. Ein Retiro
für Künstler und Träumer. Man kann sich Meister
Lenbach's Behagen vorstellen, mit dem er seine Werke,
eigenhändig in diese Umgebung „hineinarrangirte". Ohne
auf Einzelheiten diesmal einzugehen, mag nur betont
werden, dass ziemlich jede Gattung vertreten ist, von
dem ehrwürdigen Bildnis Kaiser Wilhelm's I. bis zu dem
Pastell, das die feinen, schwermütigen Züge der Duse
trägt, von den Damen der Aristokratie bis zur nackten
S ehlan genb e schwör erin.

Auf Lenbach folgt Makart, in einem helleren Raum,
der noch heller sein wird, sobald die hohe Hinterwand
des anschließenden Gebäudes, über dem Hofe, fällt. Und
sie nmss fallen, denn ihr Urteil ist bereits gesprochen.
Makart, dieser unzertrennlich mit Wien verknüpfte Name,
er sollte für alle pietätvolle Bedeutung haben, denn den
Wienern gab er sein Bestes und ließ den Strahl seiner
untergehenden Sonne über sie leuchten. Man mag über
ihn denken, wie man will, ein echter Künstler bleibt er
doch; dem heimatlichen Boden seine treueste Gestalt
zurückspiegelnd, entzog er aus ihm seine sieghafteste
Kraft. Und wenn es nur wäre, um seiner Abneigung
gegen alles Philosophische, Tiefe, Unmalerische, um seiner
göttlichen Unbefangenheit willen müsste man ihn lieb
haben. Eine schönheitdurstende Seele, die tief hinab-
taucht in die Glut der Farbe, an der sie sich dämonisch
berauscht, — was kümmern sie die „Gedanken"? Wenn
er ein Weib malte, war es ihm die Verkörperung aller
Herrlichkeit der Welt. Er liebte das Weib und wer
liebt, — der vergisst wohl das Denken. Vergessen
auch wir es und nehmen wir die Schönheit in uns auf!
Mehr verlangt sie gar nicht und mehr sollten wir auch
billig von Makart, ihrem glühenden Verkünder. nicht
verlangen. — Seine „Fünf Sinne" sind die Perlen dieses
Raumes Sie zeigen keine Spur von Verfall und es will
scheinen, als erwiesen sich die schrecklichen Geschichten
von der Zerstörung der Makart'schen Bilder als grobe
Übertreibungen oder eitel Märchen, die Superklugheit
oder Böswilligkeit in Umlauf gesetzt haben. Wo er,
 
Annotationen