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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 7.1896

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Rosenberg, Adolf: Die internationale Kunst-Ausstellung in Berlin, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5774#0270

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527

Die internationale Kunstausstellung in Berlin. III.

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(ein gelangweiltes Ehepaar in einer Gondel auf der
Lagune Venedigs bei Frühjahrsnebel) sind sogar Stim-
mungsmaler ersten Eanges. Sie haben die bloße Vedute
mit ihrer stereotypen, farbenglänzenden Schönheit auf-
gegeben und suchen die Einfachheit des Motivs durch
tiefes Eindringen in die Naturseele und durch ein vir-
tuoses Spiel mit allerlei Licht- und Luftstimmungen zu
einem starken Accord zu steigern. Von demselben Streben
sind auch die Spanier Francisco de Pradilla und Enrique
Serra erfüllt. Sie sind trotz ihrer Geburt nach ihrer
künstlerischen Erziehung Italiener. Pradilla hat vor
einem halben Jahre Kom, wo er die besten Jahrzehnte
seines Lebens zugebracht hat, verlassen, um einem Eufe
als Museumsdirektor nach Madrid zu folgen. Aber die
Wurzeln seiner Kunst sind in Bom geblieben, und so
wird das kleine Bild aus den pontinischen Sümpfen, eine
Anglerin im Kahn, wohl kein Abschiedsgruß für immer
sein. Die pontinischen Sümpfe sind jetzt ein Lieb-
lingsstudienfeld der italienischen und spanischen Maler,
die in Eom leben. Enrique Serra hat zwei Partieen
daraus mit einer koloristischen Virtuosität und mit
einer Kraft poetischer Empfindung gemalt, dass jeder
Mensch, der noch einen Funken gleichen Gefühls im
Herzen führt, voll Bewunderung bei solchem Anblick
schweigt. Hier tritt der Schöpfer so hinter seinen
Schöpfungen zurück, dass es eine traurige Pedanterie
wäre, dabei noch von Kolorit, von Malweise oder von
anderen technischen Dingen zu reden. Das eine dieser
Bilder, eine halb natürliche, halb künstlich angeordnete
Ansammlung von Wasserflächen, in denen sich das fahle
Licht der Abendsonne spiegelt — im Vordergrunde eine
Pansherme, die mit ihrer scharfen Silhuette dem Ganzen
einen phantastischen Zauber giebt — hat das städtische
Museum in Magdeburg angekauft, außerdem noch in der
spanischen Abteilung eine von noch stärkerem Stimmungs-
gchalt erfüllte Herbstlandschaft von Sanchez Perrier.

Der oben erwähnte Italiener Caprile, der zum ersten
Male auf einer Berliner Ausstellung erscheint, ist das
typische Beispiel eines modernen italienischen Malers,
der Landschaften, Marinen und Figuren gleich gut malt.
Diese Fertigkeit ist noch das einzige Bindeglied zwischen
den italienischen Malern der klassischen Zeit und ihren
Nachkommen im 19- Jahrhundert, die von jenen gar
keinen idealen Schwung, aber den ganzen Eealismus
ihres Sehens geerbt haben. Nicht Giorgione, sondern
Gentile Bellini ist der Schöpfer dieses Genres von
Architekturbildern, eigentlich von Straßen- und Platz-
architekturen, die mit zahlreichen Figuren belebt werden,
die sich entweder zu Festlichkeiten vereinigen oder
ihren Geschäften nachgehen. Caprile ist, wie sein „Oster-
markt in Neapel" zeigt, mehr ein Erzähler des Alltags-
lebens. Zu festlichem Glanz hat dagegen Pio Joris
dieses Leben in der bunten Volksscene am Johannistage
vor der Prachtfassade von San Giovanni in Laterano
gesteigert. Es ist auch wieder ein Bild, das etwas Voll-

kommenes, in sich Fertiges darstellt, ein Werk, worin
sich Absicht und Ausführung ganz und gar decken.
Solcher Bilder finden wir auch viele bei den Spaniern.
Der Menschheit innersten Grund wühlen sie nicht auf,
auch wenn Episoden aus der spanischen Geschichte oder
Scenen aus den für die Spanier äußerst wichtigen Er-
lebnissen der Stierfechter in großem Maßstabe, meist
mit entsprechender koloristischer Virtuosität, dargestellt
werden. Aber man bewundert doch immer wieder den
unendlichen Fleiß, der einer großen Malerei ebenso
willig geopfert wird, wie den kleinen gefälligen Kirchen-
interieurs, in denen hohe Feste, Taufen und Trauungen
gefeiert werden. Glänzende Beispiele dafür sind die
Bilder von Luque Rosello (Vom Altar zur Arena), Jose
Gallegos (Anbetung des Kreuzes im Dom von Toledo
und Kommunion im Dom zu Sevilla), Jose Villegas, Jose
Benlliure y Gil und Viniegea y Lasso, dessen Bild „Vor
dem Stierkampf" — ein Stierfechter mit seiner Frau
oder Geliebten in inbrünstigem Gebet vor der Madonna,
zwei lebensgroße Figuren — durch ebenso starke Eeize
des Kolorits fesselt, wie das elegante Kostümstück
„Guitarrenunterricht" und der marokkanische Schlangen-
bändiger, der seine Künste einem Kreise brauner Genossen
in einem halbunterirdischen Gemache zeigt. Wenn man
Pradilla und Serra, der übrigens auch ein ausgezeichneter
Figurenmaler und Darsteller architektonisch reich aus-
gestatteter Interieurs ist, noch hinzurechnet, hat man
die ganze Blüte der spanischen Malerei wie in einem
Blumenstrauß zusammen. Es sind so ziemlich die-
selben Künstler, die vor 13 Jahren auf der Münchener
Ausstellung den Euhm der spanischen Malerei begründet
haben, und dass dieser Euhm noch heute unerschüttert
ist, ist in unserer Zeit rascher Wandlungen eine immer-
hin bemerkenswerte Thatsache. Man vergleiche damit
nur, was aus der Münchener Malerei in dem gleichen
Zeiträume geworden ist! Wo sind die geblieben, die
damals die Herrschaft der Piloty'schen Schule gestürzt
haben?

Dass die österreichische Abteilung in gleichem
Maße wie die italienische und spanische den Eindruck
einer Eliteausstellung macht, scheint uns in weit ge-
ringerem Grade das Ergebnis einer sorgfältigen, auf
bestimmte Wirkungen berechneten Auslese zu sein. Die
österreichische Hauptstadt ist bisher am wenigsten von
den Kämpfen berührt worden, die in anderen Kunst-
metropolen zwischen den Alten und Jungen, der mo-
dernen Naturanschauung und der alten, gemütvoll-naiven,
noch keiner fremden Brille bedürftigen Art zu sehen
ausgefochten werden, ohne dass übrigens bei diesen
Kämpfen bisher viel herausgekommen ist. Bei den
Deutsch-Österreichern herrscht immer noch ein warmer
Idealismus, der, wenn er auch nicht allzuhoch zu den
Wolken dringt, doch auch nicht mit den französischen
Graumalern paktirt und der auch noch einen speeifisch
Wienerischen Zug hat, und daneben macht sich ein ge-
 
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