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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 8.1897

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Steinmann, Ernst: Moderne Kunst in Florenz, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5776#0104

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unter den Porträten behauptet Ernst Curtius von Lepsius,
eine feine Farbenstudie von edler, einfacher Auffassung',
den Vorrang, selbst vor den Selbstporträten Karl Becker's
und Leon Samberger's und dem anmutigen Frauenbildnis
der Sabine Lepsius. Wie viele wohlklingende Namen
fehlen doch von den deutschen Künstlern, immerhin können
wir wenigstens noch zwei ihrer besten nennen. Arnold
Böcklin hat die eben vollendete ,..Tagd der Diana" gesandt,
eine form- und farbenreiche, mit jedem Frühlingszauber
geschmückte Berglandschaft, in welcher allerdings das
Figürliche arg vernachlässigt wurde; Adolf Menzel ist
durch mehrere von der National-Galerie in Berlin ge-
liehene Zeichnungen und Aquarelle vertreten, unter denen
sich das unaussprechlich sauber gezeichnete, anziehende
und charaktervolle Selbstporträt des ehrwürdigen Meisters
aus jüngeren Jahren befindet. Wenn man den in Berlin
lebenden Maler Xormann unter die deutschen Künstler
rechnen darf, so verdienen die großartigen Naturschilde-
rnngen aus seiner nordischen Heimat hier Erwähnung.
Der Fjord von Lordal, ein Gemälde von kolossalen
Dimensionen, schildert die Vereinigung von See und
Gebirge, welche der Landschaft Norwegens den ernsten
erhabenen Charakter verleiht, mit den gereiften Kräften
echter Künstlerschaft.

Unter den englischen Künstlern finden wir die
gewohnten Namen. Alma Tadema sandte sein Selbst-
porträt, wie das Karl Becker's, für die Künstlergalerie
der Uffizien bestimmt, Sir Eduard Poynter, der Nach-
folger Frederic Leighton's als Direktor der Royal-Academy,
die sehr akademische Schilderung einer Neobule nach
antiken Mustern, liurne Jones die höchst originell er-
fundene Aurora. Ein etwas gespensterhaftes Wesen
ohne Fleisch und Blut, flattert die erwachte Gottheit
mit klingendem Tambourin durch die engen Gassen
der kleinen Stadt, welche noch ganz in bläuliche Däm-
merung gehüllt, tot und schweigend daliegt, während
ein heller Lichtstreif im Osten das Nahen des Tages
verkündet. Die Wirkung einer anspruchslosen Natur-
schilderung von Alfred East, von dem im letzten Sommer
auch in Berlin eine köstliche Abendlandschaft am Avon
zu sehen war, wird durch das Glas wesentlich beeinträch-
tigt; „eine Partie Karten" von Halle, kleine Landschafts-
bilder von Parsons und Lucas veranschaulichen die Eigen-
art englischer Typen und englischer Natur aufs beste.
Alle seine Landsleute aber überragt Frank Dicksee
durch seine „Träumerei". In einem Salon von vollendeter
Eleganz, den das gedämpfte Lampenlicht nur matt er-
leuchtet, erblicken wir ein junges Mädchen am Flügel,
auf dem ein großer Strauß dunkelblühender Herbst-
blumen steht. Sie singt ihrem Vater eine alte Weise,
der, in schwellendem Fauteuil ausgestreckt, in schwarzer,
tadelloser Gesellschaftstoilette im Vordergrund erscheint.
War es ein Allerseelenlied, das ihm so furchtbar schmerz-
liche Erinnerungen weckte, ein Lied wie das deutsche
„Stell' auf den Tisch die duftenden Reseden", wie das

französische ,.Au clair de la lune, mon ami Pierrot"?
Er hat das edel geschnittene Haupt, dessen Bart und
Haar das Alter noch nicht gebleicht hat, in die Rechte
gestützt und starrt mit weit geöffneten Augen auf das
Gespenst einer schönen jungen Frau, die, ein bleicher,
wesenloser Schatten, in langem weißen Kleid vor ihm
erscheint und mit bitterem Schmerzensausdruck auf den
Gatten herniederstarrt. Zwei Menschen, die sich liebten,
die sich für immer auf Erden verloren, dies furchtbar
tragische Thema wirkt noch ergreifender in der vor-
nehmen Atmosphäre eines mit jedem erdenklichen Luxus
ausgestatteten Salons, in dem die goldschinimernden
Rahmen der Gemälde und Spiegel, die kostbaren Blumen-
vasen und Geräte auf Tischen und Konsolen, die Möbel
und Teppiche endlich von rotem Sammet durch das
verschleierte Licht der Lampe mit unvergleichlicher
Meisterschaft auf denselben, in düsterem Abendrot glühen-
den Farbenton gestimmt sind. Die Kunst der Töne ist
zu Hilfe genommen, die Kunst des Pinsels zu erhöhen.
Wir meinen die schlichte Weise zu vernehmen, die das
völlig ahnungslose Mädchen singt und können uns nicht
losreißen von dem Anblick des geheimnisvollen Zwie-
gespräches zwischen Mensch und Schatten, das uns von
hoffnungsloser Liebe kündet und den Abgrund tiefsten
Erdenjainmers vor uns aufthut.

Auch aus der französischen Schule, die so aus-
gezeichnet vertreten ist, lässt sich niemand Frank Dicksee
an die Seite stellen. Vor allem, so scheint es, meistern
die modernen Künstler Frankreichs die aller übrigen
Nationen im Porträt. Man beginnt der Excellenzen mit
breiten Ordensbändern, der Militärs in schillernden Uni-
formen, der koketten Damen, die sich selbst und ihren
Kleiderstaat mehr oder minder selbstbewusst zur Schau
tragen, allmählich müde zu werden; man möchte wirklich
große Menschen von wirklich großen Künstlern so unbewusst
und edel dargestellt sehen, wie Raffael z. B. Julius II. ge-
schildert hat, man lässt sich Selbstbewusstsein von Geburt,
Verdienst und Stärke nur in der durch Form und Farbe
wunderbar verklärten Schilderung Tizianischer Halbgötter
gefallen. In dem einen Sinne ist Leon Bonnat's Bildnis
Renan's ein Meisterwerk, in dem anderen Benjamin Con-
stant's Porträt seines Sohnes. Ist im ersten Bilde mit
fast grausamer Realistik das mächtige geistige Über-
gewicht des tiefen Denkers zur Darstellung gebracht,
so entzückt uns im zweiten die kraftvoll sinnliche
Schönheit eines jungen Hünen, dem die schwarze alter-
tümliche Tracht, der Degen, auf den die wundervoll
geformte Rechte sich stützt, einen Anstrich vornehmer
Ritterlichkeit verleiht. Neben solchen Meisterwerken
ist nur noch Leon L'hermite's Spinnerin zu nennen.
In welch reine Luft friedlichen Erdenglückes versetzt
uns die kräftige Frau vom Lande, die im dämmernden
Zwielicht ihrer räucherigen Küche so eifrig die Spindel
dreht, während das Kind ruhig zu ihren Füßen spielt;
wie scharf und sicher ist die Zeichnung, wie warm die
 
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