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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 8.1897

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Klein, Rudolf: Die graphische Ausstellung in Köln
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https://doi.org/10.11588/diglit.5776#0178

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Die Graphische Ausstellung in Köln.

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sches Gestaltungsvermögen, wie es nur den größten
Bildhauern eigen. Was wir aber nicht aus diesen
Blättern beurteilen können, ist, ob Stauffer Empfindung
und Erfindungsgabe besaß. Das aber, worüber man
sich schon zu Stauffer's Lebzeiten gestritten, wird nie-
mand endgültig entscheiden können, denn er starb, als
er eben sein eigentliches Gebiet, die Skulptur, betreten.
Er ist aus dem Studium nicht herausgekommen.

Während so Stauffer nur der eminente Formen-
künstler, verbindet Klinger mit dem gleichen Vermögen
einen Ideenreichtum von ebenso vielseitiger Fülle wie
rätselhafter Tiefe, einer Tiefe, die das Gebiet der künstle-
rischen Empfindung nur allzuoft verlässt, um in den
abstrakten Regionen philosophischer Gedankenkon-
struktionen seine Architekturen zu bauen. Was einem
demzufolge bei Klinger, und vor allem an seinem letzten
Werk, der „Brahmsphantasie", auffällt, ist der eigene,
immer wiederkehrende Menschentypus, der eine voll-
ständige, aber absolut unabhängige, individuelle Wieder-
belebung der Antike ist. Diese Jünglinge und Mädchen,
die in hellenischer Keuschheit einander die straffen Glieder
zeigen, haben eine göttergleiche Schönheit, aber sind auch
kalt und blutleer wie Götterbilder. Sie sind die künstle-
risch tadellose Typenkonstruktion eines Philosophen, der
schwindelnde Gedankenpyramiden baut, aber das Leben nicht
mit dem Herzen fühlt, wie Menschen es fühlen. So
wie Klinger müssen die Griechen sich schon den Menschen
erdacht haben, Klinger's Menschen stehen ihrer wunder-
baren aber kalten, abstrakten Schönheit gleich, dieser
Schönheit, die ein Symbolismus der Form ist. Vielleicht
ist dies das letzte und höchste Ziel der Kunst (ger-
manisch zwar ist es nicht), sie vom Leben zu abstra-
hiren und dessen Sinn in künstlerisch tadelloser Form
zu symbolisiren. Das wäre ein über alle Zeiten erhabe-
ner Symbolismus, eben der der Antike. Aus diesem
letzten Werke Klinger's seien vornehmlich die Blätter
„Evokation", „Raub" und „Entfesselung des Prometheus"
genannt.

Friedrich von Schennis ist der denkbar stärkste
Gegensatz zu diesen beiden Bildhauern der Radirung. Er
liebt nicht das Leben als Form wie Stauffer, und nicht
seinen abstrakten Sinn wie Klinger, er hat es genossen
als geistreicher Sensualist. Seine Blätter sind daher
die Verkörperung der wehmütigen Träume des modernen
intellektuellen Epikuräers, der nach jedem Genuss ein-
gesehen, dass die Erinnerung das beste. Aus diesen
Erinnerungen, die in der Seele schlummern und nur des
leisesten Anstoßes bedürfen, um uns des Lebens ganze
Fülle wieder vorzuzaubern, kurz und in den Augenblick
gedrängt wie durch einen Tropfen süßen Giftes, er-
standen Schennis' sämtliche Blätter. Um sie zu ge- !
stalten, wählte er die Trümmer aller Kulturen: den '
zerfallenen Triumphbogen des Septimius Severus, die
Reste des Kolosseums, die morschen Baumruinen des
alten Parkes zu Versailles und — Leda's klassisches

Abenteuer. Und wir fühlen diese versunkene Herrlich-
keit wiederbelebt, wie wenn ihr Geist aus dem Grabe
gestiegen und auf ihren Trümmern trauere. —

Waren die Leistungen dieser Drei, die von Göttern
und Titanen, so müssen wir nun zu den Menschen hinab-
steigen, und sei an erster Stelle die Gruppe der Münche-
ner genannt. Die hauptsächlichsten der Münchener
Radirer zerfallen in drei Paare: Qreiner und Dasio,
Bohle und Raders, Zimmermann und Welti. Greiner
und Dasio haben sich zweifelsohne Klinger zum Vorbild
gewählt. Sowohl an der Technik erkennt man sie als
seine Verwandten, wie an dem hellenisch hellen Sinn,
der ihre Gestalten formt. Greiner erinnert manchmal,
z. B. in seinem „Tanz", ein wenig zu stark an Klinger.
In dem Blatte „Inferno" bemüht er sich Dore'scher
Phantasie, doch wirkt die Originalität dieser Typen ein
wenig gezwungen und monoton. Bohle und Baders
haben ihren Meister nur etwas mehr zurück gesucht, sie
sind im alten Nürnberg zu Hause, d. h. nur ihrem
Geiste nach, nicht auch der Technik, wie der Berliner
Sattler. Nachdem der Naturalismus in Misskredit ge-
raten, ist es sehr Mode geworden, sich mit den Requi-
siten früher Jahrhunderte zu drapiren, doch ist dies
eigentlich ein Zeichen künstlerischer Ohnmacht, denn es
ist viel leichter, mit diesen archaistischen Äußerlich-
keiten zu wirken, denn mit dem modernen Leben selbst.
Diese Ritter, deren Herz so fromm wie ihre Rüstung
hart, diesen Schimmel, der einst mit stolzem Nacken
zu den Turniren ritt, diese naive Landschaft mit ihren
dünn bewaldeten Thälern und spitztürmigen Burgen
auf schlanken Hügeln, wir kennen sie schon von Dürer's
Blättern. Manchmal auch, wenn Böhle den Bauernstand
schildert, scheint er von Thoma beeinflusst, ohne jedoch
dessen freie Originalität zu erreichen. Baders, ein
Böhle en miniature, ist im allgemeinen nicht so umfang-
reich und gestaltungskräftig wie dieser, scheint aber
manchmal empfindungstiefer. Das dritte Paar, Zimmer-
mann und Welti, liebt gewaltige Erd- und Menschheits-
revolutionen zu künstlerischen Vorwürfen. Da prasst
auf ihren Blättern die Menschheit in sardanapalischen
Lüsten, während schon ihre Götzenbilder in den Tempeln
wackeln; da steigen antidiluvianische Ungeheuer dräuend
am Horizont empor, und das Meer und der Regen ver-
schlingen die Erde. Rein technisch, wie in der Fähig-
keit, ihren Vorwurf zu gestalten, stehen sie den Vor-
genannten nach, beherrschen aber dennoch die Nadel
mit vieler Geschicktheit.

Karlsruhe, das am reichhaltigsten vertreten, giebt
in der Radirung wie in der Ölmalerei sein Bestes auf
dem Gebiete der Landschaft. Die Karlsruher Land-
schafterschule, die in der Ölmalerei nach gerade infolge
mangelnder Zufuhr neuen Geistes ein wenig monoton zu
werden schien, da sie schon zu lange vom alten Marke
zehrte, zeigt sich in der Radirung äußerst wirkungsvoll.
Aber man sollte nach der Wirkung einer Radirung
 
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