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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 9.1898

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Lyka, Karl von: Ein ungarisches "Barbizon"
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https://doi.org/10.11588/diglit.5777#0097

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE.

HERAUSGEBER:

ULRICH THIEME und RICHARD GRAUL

Verlag von SEEMANN & Co. in LEIPZIG, Gartenstrasse 17.

Neue Folge. IX. Jahrgang. 1897/98. Nr. 12. 20. Januar.

Redaktionelle Zuschriften nimmt ausser Herrn Dr. U. Thieme, Leipzig, Erdmannstr. 17 auch Herr Dr. A. Rosenberg,
Berlin SW., Yorkstrasse 78 entgegen.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur „Zeitschrift für bildende Kunst" und zum „Kunstgewerbeblatt" monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der „Zeitschrift für bildende
Kunst" erhalten die Kunstchronik gratis. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlags-
handlung keine Gewähr. Inserate, ä 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditonen von Haasen-
stein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

EIN UNGARISCHES „BARBIZON« .

Die hier jüngst eröffnete Sonderausstellung der
nagybanyäer Künstlergruppe brachte viel Überraschung.
Es ist die dritte Kunstausstellung, welche im ver-
flossenen Monat in der ungarischen Hauptstadt die
Produktion des Jahres zur Schau bringt. Sie ist auch
die beste und führt uns eine Reihe teils neuer, teils
bisher totgeschwiegener Talente vor. Es sind meist
junge Leute, die Jahre hindurch in München, Paris,
England und Italien lebten und nun, im Zeichen mo-
derner Kunst vereint, ein kleines ungarisches Nest
abseits der Karpaten, Nagybänya, aufsuchten, wo sie
fern von jedem städtischen Getriebe ein wahres Bo-
hemeleben führten. Ihrer fünf sind in Ungarn und
wohl auch in Paris keine neuen Namen, doch wur-
den sie hier durch den althergebrachten akademischen
Zopf lange beiseite geschoben. Mit seltener Stand-
haftigkeit Hessen sie allen Unglimpf über sich er-
gehen und zogen sich in das malerische Karpaten-
nest zurück. Da giebt es hohe Alpengebirge mit
ungerödeten Waldungen, dann weitgedehnte Plateaus,
wo halbwilde rumänische Hirten ihre Schafe hüten.
Auf der angrenzenden Steppe arbeitet das primitive
Landvolk, am Bergesabhang ist eine Anzahl Stollenge-
werke und Gruben, von Bergwerkerfamilien dicht
besetzt. In dieser Umgebung entstanden nun die
150 Zeichnungen und Gemälde, welche das Buda-
pester alte Künstlerhaus derzeit beherbergt. Diese
Säle sind voll echter Landluft und urwüchsiger Poe-
sie. Die kleine Kolonie, gleichsam ein neues Bar-
bizon, bricht völlig mit aller Schablone, man malt
und zeichnet hier in den freien Stimmungen der
nagybanyäer Luft. Es entstanden so einige Leistungen,
welche jetzt einen argen Federkrieg heraufbeschworen

haben, weil in ihnen das alte akademische Gerümpel
Revolution wittert. Karl Ferenczy und Johann Thorma
sind die meist umstrittenen. Wohl auch die besten.
Beide zeigen uns Jesus, der eine mit imposanter
Kraft auf einer Riesenleinwand, der andere im stillen,
sanften Licht des Waldsaumes. Im hellen grünen
Hintergrunde schmiegt sich der alte Wald an den
Bergesrücken, auf der Wiese, mitten im üppigen
Gras sitzt Jesus, schlicht und kindlich und spricht
den Leuten die Bergpredigt zu. Und diese, wa-
lachische Ziegenhirten, rauhe Bergarbeiter, kleine weisse
Mägdelein und junge Studenten hören da im hellen
Grase die sanften Worte. Es ist die Gesellschaft,
welche das neue Barbizon belebt, dann Männer,
Kinder und Frauen aus allen Zeiten und allen Län-
dern, gleichsam als kämen alle Menschenkinder zu
Jesus. Es ist eine freie und neue Luft, die man hier
atmet, keine jener nachempfundenen Rembrandt- oder
Uhde-Imitationen, sondern aus der Stimmung der
nagybanyäer Natur herausgehoben. Wahrlich, an
sanften Abenden, wenn hier, eben an diesem Waldes-
saume, die kleine Kolonie der melancholischen Zi-
geunermusik, alten ungarischen Weisen, lauscht,
wenn aus dem Thal der langgezogene weisse Schleier
des Nebels emporsteigt, und wenn dann alles still
und sanft wird, da ertönt die leise Stimme der Berg-
predigt zu all diesen Kämpfenden, all den Belasteten
und Unschuldigen. Es ist ein feines Bild, auch in
technischer Beziehung hervorragend und wohl das be-
deutendste, was die ungarische Kunst im letzten Jahr-
zehnt hervorbrachte. Ferenczy hat noch eine Reihe
Porträts ausgestellt, auch Zeichnungen, welche ur-
wüchsige Auffassung und grosse Eleganz zeigen.

Das Kolossalgemälde Johann Thorma's versetzt
uns in jene feuchten, fahlbeleuchteten Kellerräume,
 
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