Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 9.1898

DOI Artikel:
Schölermann, Wilhelm: Die erste Ausstellung der "Vereinigung bildender Künstler Österreichs", [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5777#0186

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
355

Die erste Ausstellung der „Vereinigung bildender Künstler Österreichs".

356

der Franzosen, Puvis de Chavannes, in drei grossen
Kartons zu studieren (aus dem Leben der heiligen
Qenovefa), eine Vorarbeit zu den neuen, noch nicht
ausgeführten Wandgemälden für das Pantheon in
Paris. Ein anderer französischer Meister, der Bild-
hauer Bartholome, ist im selben Raum durch den
Gypsabguss eines Teiles seines berühmten Grabmonu-
mentes auf dem Friedhof Pere-Lachaise in Paris
und mehrere Abbildungen dieses grossartigen Werkes
(„Monument aux Morts") vertreten. Wer den macht-
vollen Genius dieses Künstlers in seiner selten hohen
Verbindung von Realismus und Idealismus erkannt
hat und auf sich einwirken lässt, kann sich nicht leicht
wieder von ihm trennen.

Die sich nach beiden Seiten anschliessenden fünf
grösseren Säle wurden durch feine Tönung der Wände
in ruhige Harmonie gebracht; nicht glatt getüncht sind
die wandbedeckenden Stoffe, sondern »aufgespritzt",
wodurch eine weit luftigere Wirkung erzielt wird; der
eine Raum matt-resedagrün, der andere pompejanisch-
rot u. s. w. Oben läuft durch jeden Saal ein ori-
gineller, mit duffem Gold durchsetzter Pflanzenfries
von starker, fast heraldischer Stilisirung. Das Sekre-
tariat und das daran anschliessende »Ver Sacrum-
Zimmer« ist in Rot und Blau gehalten, die originellen
Möbel sind mit glänzendem Kupfer beschlagen, die
Plafondträger mit vielen kleinen Tierfiguren belebt;
dieser » Brettlstil", wie der Wiener es nennt, ist zum
behaglichen Verweilen in dem mit Vorhängen und
modernen Vasen (von Heider und anderen) aus-
staffirten kleinen Raum höchst einladend und an-
heimelnd. So weit die eigentliche Ausstattung, um die
sich in erster Linie die Architekten Olbrich und Hoff-
mann und die Maler Böhm und Lenz verdient gemacht
haben.

Was die Kunstwerke selbst betrifft, so werde ich
um so weniger nötig haben, mich viel ins einzelne
zu verlieren, als ein Teil der Ausstellungsobjekte
bereits älteren Datums ist und in erster Linie zu
»pädagogischen Zwecken" (weil eben neu für das
Wiener Publikum im allgemeinen) herbeigeschafft
wurde. Dazu gehören Werke wie Böcklin's »Spiel
der Wellen", Uhde's »Christi Predigt am See«, eine
ganze Reihe herrlicher Thoma's aus früheren Jahren,
das Porträt Henri Rochefort's von Roll und andere
Werke, auf die ich auf meinem Rundgang nur kurz
hinweisen kann.

Von den Ausländern sind am stärksten (durch
gemeinsame Thätigkeit der Delegirten Engelhart und
Jettel herbeigeschafft) die Pariser vertreten, sowohl die
Franzosen wie die Pariser Amerikaner. Allen letzteren
voran John W. Alexander mit einer Reihe seiner
genialen Frauenporträts, die indessen . wegen ihrer
breiten wuchtigen Technik und gänzlichem Mangel
an „hübscher Ausführung" dem durch seine durch-

| wegs „chicken" heimischen Porträtisten verdorbenen
i Wiener Publikum noch nicht recht munden wollen.
Man kann sehr ergötzliche Zornesausbrüche und spon-
tane Kundgebungen der Entrüstung vor diesen Bildern
vernehmen. Doch das giebt sich gewiss auch mit der
Zeit. — Erwähnt seien noch unter den Franzosen:
Besnard (nicht gerade sehr hervorragend), Lagarde,
Carricre, Aman-Jean, Billottc, Dagnan-Bouveret,
Armand Berton (mit seinem Porträt des Bildhauers
Dampt und zwei kleinen herrlich gemalten Nuditäten,
die gleich am ersten Tage der Eröffnung „wie warm
Brot" abgingen), L''Hermitte, Jeanniot und der in Paris
acclimatisirte Schönheyder-Möller, der einen „Sonnen-
aufgang in Fontainebleau" geschickt hat, einen Haupt-
anziehungspunkt der Ausstellung, weil darin das Kunst-
stück glänzend gelöst ist, die stechende Wirkung, welche
durch den Kontrast der kalten weissen Sonnenscheibe
mit den umgebenden warmen Tönen entsteht, hervor-
zubringen. „Man wird ja ordentlich geblendet von
der Sonne", so tönt es bewundernd aus den Gruppen
der Zuschauer. Der Künstler, der das Geheimnis
kennt, mag lächeln ob dieser Verwunderung.

Eine interessante Erscheinung ist der in Paris
lebende Russe Theodore Botkine, von dem zwei
dekorative, in Öl gemalte Panneaux ausgestellt sind,
betitelt „Jeune fille regardant le bäs de sa robe" und
„Das aufgelöste Haar", beide in einer Art Plakatstil
gehalten, von feiner koloristischer Harmonie und einer
suggestiven Liniensprache von grossem Reiz und Ge-
schmack. Zwischen die Vorhänge und Möbel diskret
placirt, fügen sie sich sehr vornehm in das Arrangement
hinein. Botkine einmal in einer Kollektivausstellung
kennen zu lernen, müsste interessant sein.

Mit einer Kollektion von zwanzig Werken ist der
Brüsseler „Mystiker" Fernand/(hnopff vertreten. Selten
wird man wohl Gelegenheit haben, ihn besser kennen
zu lernen. Die erstaunliche Beherrschung des ver-
schiedensten künstlerischen Materials, Marmor, Gips,
Öl, Pastell, Aquarell und Zeichenstift, muss höchste Be-
wunderung einflössen, selbst wenn man die Mystik,
„die in Rätseln spricht", dem Künstler zum Vorwurf
machen wollte. Übrigens bin ich weit davon entfernt,
denn Khnopff's Rätselkunst übt einen unwiderstehlichen
Zauber auf mich aus, und vor seinem intensiv mystischen
Empfinden ist es mir so recht zum Bewusstsein ge-
kommen, dass eigentlich alle Kunst im Grunde Mystik
ist. Kunstgefühl wurzelt tief im Mystischen — nur
liegt's für jeden wo anders. Das Unklare, nicht das
Klare — für den Verstand nämlich — gehört der
Kunst. Mystik liegt in einem einfachen Stück Natur,
im Waldesweben, im Sonnenstrahl, im Wasser,
darin sich die dunklen Stämme tausendjähriger
Baumriesen spiegeln. Sind denn Böcklin, Thoma,
Uhde, Klinger, Stuck, Rembrandt, Dürer, Michelangelo,
j Botticelli etwa keine Mystiker? Warum denn nicht
 
Annotationen