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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 9.1898

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Schölermann, Wilhelm: Die erste Ausstellung der "Vereinigung bildender Künstler Österreichs", [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5777#0193

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE.

HERAUSGEBER:

ULRICH THIEME und RICHARD GRAUL

Verlag von SEEMANN St Co. in LEIPZIG, Gartenstrasse 17.

Neue Folge. IX. Jahrgang. 1897/98. Nr. 23. 28. April.

Redaktionelle Zuschriften nimmt ausser Herrn Dr. U. Thiene, Leipzig, Erdmannstr. 17 auch Herr Dr. A. Rosenberg,
Berlin SW., Yorkstrasse 78 ejntgegen.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur „Zeitschrift für bildende Kunst" und zum „Kunstgewerbeblatt" monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der „Zeitschrift für bildende
Kunst" erhalten die Kunstchronik gratis. - Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlags-
handlung keine Gewähr. Inserate, ä 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditonen von Haasen-
stein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

DIE ERSTE AUSSTELLUNO DER „VEREINIGUNG
BILDENDER KÜNSTLER ÖSTERREICHS".
(Schluss.)

Ein zweiter grosser Mystiker der neuen Kunst
ist Giovanni Scgantini. Das wird niemand bestreiten,
der ihn hier in seiner Vollständigkeit kennen zu lernen
Gelegenheit findet. Nicht nur in seinen Ölgemälden
mit ihrer flimmernden Helle, mir ihrer Sonnenleuchte
und ihrem grossen stillen Leben in der hohen reinen
Alpenwelt des einsamen Meisters, auch in Pastellen
und kleinen Zeichnungen kann man ihn hier intim
•belauschen. Ich habe Stunden der Andacht vor diesen
kleinen Blättern durchlebt, und mir ist dabei die Ge-
stal^ eines grossen Toten aufgestiegen: Jean Francois
Millet's, des Meisters von Barbizon. Vergleiche hinken
ja immer und man soll sie nicht herbeiziehen. Aber
dieser hat sich mir förmlich aufgedrängt. Wie viele
Maler haben seit Millet Bauern gemalt. Und doch
keiner wie er. Zum ersten Mal tritt mir in Scgantini
eine gleichgrosse Auffassung entgegen. Segantini malt
die Bauern im Geiste Millet's. Wenn seine Burschen
und Mägde die Herde langsam heimtreiben in den
Schafstall, oder in grosser Silhouette auf dem Ernte-
felde gegen den abendlichen Himmel sich abheben,
dann durchleuchtet die Gestalten ein Schein von der
stillen Hoheit Millet's, der dem Landmann zum ersten
Mal in der Malerei Schönheit und Würde gab. Und
noch eins. Beide, Segantini wie Millet, sind in ihren
Seelentiefen Melancholiker, Melancholiker aber von
jener hoheitsvollen, starken, abgrundtiefen Melancholie
eines Giorgione, Dichter, die aus der steten Sehn-
sucht nach dem Einsfühlen und Aufgehen in der Natur
ihre schöpferische Kraft in Schmerzen gewinnen und
nur in diesem schmerzensreichen Genüsse, dem edel-

sten und höchsten, schaffen können. Das ist die
Seelenverwandtschaft zwischen Millet und Segantini:
beide suchen und fühlen in sich das heilige Leben
und Weben des Alls in der Natur, und beide sind
sie zugleich auch die Maler der grossen Traurigkeit.

Zu den wunderlieblichsten Schöpfungen Se-
gantini's möchte ich die reizende Madonna rechnen,
die mit den Zeichnungen zusammen im oberen
Saal ausgestellt ist. Dies Ölbild, betitelt „L'Angelo
della Vita", ist von einer Anmut erfüllt, die wie aus
dem Geiste Schongauer's geboren erscheint. Dabei
in derselben krausen mosaikartigen Farbentechnik ge-
malt, wie die grossen Ölbilder. Doch genug von
diesem Meister, den man kaum besser wird kennen
lernen können, als auf dieser Ausstellung.

Der Holländer Storni van Oravensande ist mit
interessanten Algraphien vertreten.

Unter den Skandinaven sind /(royer und Thaulow
hervorzuheben, ersterer mit Porträts (Studien zu dem
Bilde „Die Börse in Kopenhagen") und einem grösseren
Gemälde vom Ostseestrand, letzterer mit einem seiner
feingestimmten Flussbilder von der Seine. Als dritter
der Finne Liljefors mit seiner Fuchsjagd im Schnee.

Unter den Engländern, Schotten und Amerikanern
seien noch erwähnt Whistler (mit Originallithographien),
Brangwyn (der „Teppichmaler"), Strang, Shannon (mit
interessanten Lithographien), Fowler, Sargent, Lavery,
Walton, Robert Brough (mit einem herrlichen Porträt
von W. D. Ross Esqr, dem schönsten der englischen
Abtheilung) und die in England angesiedelten Henry
Mahrmann (mit landschaftlichen Skizzen von Hamp-
stead) und George Sauter (mit einem Porträt Uhde's
und einem viel feineren Frauenporträt in Weiss).
Auch der Deutsch-Amerikaner Melchers ist gut ver-
treten.
 
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