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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 9.1898

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Das Kunsthandwerk im Glaspalast in München
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https://doi.org/10.11588/diglit.5777#0274
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DAS KUNSTHANDWERK IM GLASPALAST
IN MÜNCHEN.

Im vorigen Jahre waren es nur zwei Räume, die
dem neuen Kunsthandwerk im Glaspalast zur Ver-
fügung gestellt waren. Dort drängte sich ein buntes
Allerlei von Möbeln, Teppichen, keramischen und
Metall-Arbeiten, die alle modern sein wollten, im übrigen
aber nichts Gemeinsames hatten. Heuer ist es den
energischen Führern der zukunftsvollen Bewegung
gelungen, acht zum Teil grosse Zimmer zu erobern,
in denen die Grundsätze der neuen Dekorationskunst
klar und sogar einheitlich demonstriert werden
können. Das Interesse des Publikums ist gross, die
Künstler setzen alle Kräfte daran, das Feld zu gewinnen,
Zeitschriften und Tagesblätter verkünden eine gewaltige
Umwälzung, mindestens so stark wie die positiven
Leistungen ist die negative Kritik, die die gesamte
Entwicklung des Kunstgewerbes seit 1870 als einen
Irrweg bezeichnet. Wir haben es also mit einer sich
schnell erweiternden Bewegung zu thun, die sich seit
langem unbeachtet aber stetig vorbereitet hat.

Der Anstoss ist durch das Beispiel des Auslandes
gekommen, vornehmlich durch den Aufschwung des
Kunsthandwerks in England und Belgien. In Deutsch-
land hat man in München, Dresden, und Berlin
so ziemlich gleichzeitig angefangen, der Modernisie-
rung unseres Hausrates Aufmerksamkeit zu schen-
ken. Denn das ist das Bezeichnende in dem Pro-
gramm der neuen Möbelkünstler, dass sie sich mit
ihren Arbeiten in den Dienst des bürgerlichen Hauses
stellen. Es gilt nicht Prunkstücke für fürstliche Pa-
läste zu schaffen, sondern die Wohnung des Wohl-
habenden einheitlich auszugestalten, einheitlich natür-
lich im modernen Sinn. Modern aber sind die Ar-
beiten deswegen, weil sie von allen Zierformen früherer
Stilarten absehen, lediglich die praktische Brauchbar-
keit, die Zweckform im Auge halten und deswegen
nur n konstruktive" Glieder betonen. Wenn ein Schmuck
erlaubt wird, dann darf er nur in dem edlen Material
liegen, nicht aber in irgend welchen Zieraten. So
lautet die Theorie.

In praxi aber sieht es ganz anders aus. Denn
schon die beiden Räume, die sich durch die Ge-
schlossenheit ihrer Ausstattung besonders auszeichnen,
die von Berlepsch-Zimmer, weichen von dem Programm
in mehreren Punkten ab. Nicht zum Nachteil! Ein
phantasiebegabter Künstler, wie Hans E. von Berlepsch,
konnte sich nicht mit dem Konstruktiv-Notwendigen
allein begnügen. Überall reicher, feingegliederter
Flächenschmuck an den Decken und am Getäfel, und
an den Möbeln eine reiche, aber doch nicht aufdring-
liche Eleganz durch zierliche Eisenbeschläge, und ein
neues Dekorationsmaterial in den Füllungen, das so-
genannte Xylektipom. Hinter dem monströsen Namen

I versteckt sich ein einfaches Holzprodukt; es sind
glatte Hölzer, deren Maserung durch ein kombiniertes
chemisch-mechanisches Verfahren prachtvoll inWirkung
gesetzt ist. Als edle Schmuckteile für Möbel em-
pfehlen sich diese farbigen Holztafeln um so mehr, da
sie lediglich als Material wirken.

Auch dem Zimmer von Wilhelm Bertsch ist Vor-
nehmheit nicht abzusprechen, doch macht sich, ebenso
wie in dem Raum von Martin Dülfer (Grau und
Gold), der anspruchsvolle Ausstellungscharakter allzu-
stark geltend. Vollends geht ein Reichtum der Farbe
und Wirkung, wie an der grün-goldenen Decke von
Theodor Fischer, ganz gewiss über die Grenzen selbst
des patrizischen Bürgerhauses weit hinaus. Doch ist
mit Genugthuung festzustellen, dass die geistlose Nach-
ahmung alter Formen überall vergessen ist. Eine
frische Erfindungskraft, die an den Naturformen selbst
studiert, kommt zu glücklichem und geschmackvollem
Ausdruck. Sehr feine Arbeiten (Esszimmerausstattung)
hat Bernhard Pankok geliefert, ebenso auch Richard
Riemerschmid, Alfred Petrasch; nur dass der pracht-
volle grüne Bücherschrank durch die eingelegten
Bronzereliefs in seiner Wirkung geschädigt wird. Die
Anlehnung an den englischen Stil ist glücklicherweise
nirgends so stark, wie wohl befürchtet werden konnte.
Ganz deutlich zeigt sich bei allen Künstlern eine
selbständige Haltung. Der köstliche Farbensinn
Hermann Obrist's besticht wieder in ausgezeichneten
Stickereien, die alles andere in Schatten stellen. Auf
diesem Gebiet sind natürlich die Damen auch durch
eigenerfundene Muster stark vertreten. In keramischen
Leistungen ist wieder die Familie von Heider zu
nennen, und vor allem Schmuz-Baudiss in Form und
Farbe, der immer kräftigere Accente anschlägt. Unter
den vielen Versuchen, für das elektrische Licht, als
den neuesten Beleuchtungsstoff, brauchbare Lampen
zu schaffen, nenne ich nur die Tischlampe von Otto
Eckmann (Berlin) und die höchst elegant bewegten
Leuchter von Richard Riemerschmid (München.)

Was neben diesen zukunftsvollen Bestrebungen
die alten Reminiscenzen in dem Fuggerhof von Friedr.
von Thiersch und in der gotischen Kapelle von Karl
Hocheder besagen wollen, ist nicht zu verstehen,
wenigstens nicht im Zusammenhang mit den modernen
Arbeiten rings um sie herum. Dass das Alte durch
das Neue nicht schlecht werden kann, ist gewiss, und
der reizende Marmorraum mit Mosaik und Muschel-
werk von Emanuel Seidl zeigt das zur Evidenz. Nur
muss das Bedürfnis respektiert werden, das der mo-
derne Mensch an die Dinge zu stellen berechtigt ist,
die ihn im täglichen Leben zum Gebrauche umgeben:
Zweckmässigkeit, Anpassung an die Grenzen einer
bürgerlichen Haushaltung, Dauerhaftigkeit und wenn
möglich etwas Komfort und Geschmack der Form
— das sind wohl unumgängliche Forderungen. A. W.
 
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